| # taz.de -- Nachruf auf Fethullah Gülen: Das Ende von Erdoğans Erzfeind | |
| > Der Chef der wichtigsten islamischen Bewegung der Türkei wurde vom | |
| > Mitstreiter des Präsidenten zu seinem Widersacher. Nun ist Fethullah | |
| > Gülen gestorben. | |
| Bild: Fethullah Gülen im Jahr 2013 vor seiner Residenz in Saylorsburg, Pennsyl… | |
| Istanbul taz | Der langjährige Chef der wichtigsten türkischen islamischen | |
| Bewegung ist nach Informationen aus dem Netzwerk des Predigers und | |
| Sektenchefs in der Nacht von Sonntag auf Montag in den USA gestorben. | |
| Fethullah Gülen wurde 83 Jahre alt. Über Jahrzehnte war er der | |
| unangefochtene Chef der islamischen Hizmet-Bewegung (Hizmet = dienen), die | |
| in der türkischen Öffentlichkeit zumeist nur „Cemaat“ (Gemeinde) genannt | |
| wird. | |
| Er entwickelte sich von einem einfachen, staatlich angestellten Imam zum | |
| einflussreichsten islamistischen Prediger der Türkei, der nach einer langen | |
| Phase intensiver Zusammenarbeit mit Erdoğans AKP zuletzt einen erbitterten | |
| Machtkampf gegen diesen führte. Erdoğan warf Gülen vor, den Putschversuch | |
| im Sommer 2016 initiiert zu haben. | |
| Nach Außen stellt die Hizmet-Bewegung sich selbst als harmlose | |
| Bildungsorganisation dar, die für den Dialog der Religionen wirbt und sich | |
| dem Westen gegenüber aufgeschlossen gibt. Kritiker wiesen, unterstützt | |
| durch Aussagen von Aussteigern, jedoch nach, dass es sich im Kern um eine | |
| reaktionär-chauvinistische Sekte handelt, die zum Ziel hat, die Macht in | |
| der Türkei zu übernehmen. | |
| ## Gülen-Bewegung unterstützte AKP ab 2003 | |
| Seit dem Putschversuch wird die Gülen-Bewegung in der Türkei als | |
| Terrororganisation verfolgt. Gülen selbst, der eine Beteiligung immer | |
| bestritt, hatte sich bereits 1999 in die USA abgesetzt, als in einem | |
| heimlich mitgeschnittenen Film deutlich wurde, wie er seine Anhänger | |
| aufforderte, den türkischen Staat zu unterwandern. | |
| Als Erdoğans AKP bei den Wahlen 2003 die absolute Mehrheit errang und | |
| alleine eine Regierung bilden konnte, stand sie vor einem Dilemma. Die | |
| neugegründete Partei hatte so gut wie keine regierungserfahrenen Leute in | |
| ihren Reihen und sah sich anfangs mit einer ihr eher feindlich | |
| eingestellten Bürokratie konfrontiert. | |
| In dieser Situation bot die Gülen-Bewegung ihre Hilfe an. Gemäß den | |
| Aufforderungen ihres Gurus hatten genügend Hizmet-Anhänger den langen Weg | |
| durch die Institutionen angetreten, um nun den Brüdern und Schwestern von | |
| der islamischen AKP unter die Arme greifen zu können. Zu dem Zeitpunkt war | |
| die AKP dankbar für die Unterstützung. | |
| ## Macht über Medien und mutmaßliche Geschäfte mit der CIA | |
| Vor allem in der Justiz und der Polizei waren die Gülen-Leute sehr | |
| erfolgreich. Aber auch darüber hinaus wuchs der Einfluss der Sekte enorm. | |
| Sie besaß mit [1][Zaman eine der größten Zeitungen], kontrollierte | |
| TV-Kanäle, wurde zu einem Wirtschaftsgiganten mit eigenen Banken, | |
| Versicherungen und Immobilienunternehmen. | |
| Vor allem betreibt die Gülen-Sekte private Schulen: Zuerst in der Türkei, | |
| nach der Auflösung der Sowjetunion expandierten sie in die | |
| zentralasiatischen turksprachigen Länder und hatten innerhalb kürzester | |
| Zeit dort ebenfalls einen großen Einfluss. Damals soll die Bewegung der CIA | |
| geholfen haben, in diesen Ex-Sowjetrepubliken Fuß zu fassen, weshalb | |
| Fethullah Gülen seit seiner Übersiedlung unter deren Schutz gestanden haben | |
| soll. Das würde erklären, weshalb er eine umstrittene Green Card bekam und | |
| vor allem warum die USA sich nach dem Putschversuch 2016 immer weigerten, | |
| Gülen an die Türkei auszuliefern. | |
| In der Türkei erreichte die Bewegung in den Jahren nach der ersten | |
| Wiederwahl Erdoğans 2007 den Höhepunkt ihrer Macht. Vor der Wahl hatte die | |
| AKP knapp ein Verbotsverfahren überstanden, nach seinem zweiten Wahlsieg | |
| war Erdoğan festentschlossen, seine kemalistischen, säkularen Widersacher | |
| in Militär und Justiz aus dem Weg zu räumen. | |
| ## Korruptionsanklagen gegen AKP-Funktionäre | |
| Das Militär wurde in großem Stil gesäubert, anstelle säkularer Militärs | |
| rückten Gülen-Leute nach. Wer sich in diesen Jahren gegen die „Cemaat“ | |
| stellte, sah sich schnell mit der geballten Macht des Staates konfrontiert. | |
| Der linke Investigativjournalist Ahmet Sik, der „Die Armee des Imam“ | |
| verfasst hatte, wurde verhaftet, das Buch noch vor Erscheinen verboten. In | |
| Gülen-Medien wurden kritische Oppositionelle verunglimpft, alles sehr zum | |
| Gefallen der AKP. | |
| Der Bruch zwischen Erdoğan und Gülen, der trotz vielfacher Einladung der | |
| AKP lieber in den USA geblieben war, kam, als es galt, die Beute zu teilen. | |
| Gülen forderte mehr, als der nunmehr fest im Sattel sitzende Erdoğan bereit | |
| war, ihm zu geben. Nach seinem großen Wahlsieg 2011 brauchte er Gülen nicht | |
| mehr. Jetzt zeigte sich, dass die Bewegung längst zu stark war, um sie | |
| einfach abzuservieren. Im Dezember 2013 veröffentlichten Gülen-nahe | |
| Staatsanwälte plötzlich schwere Korruptionsanklagen gegen hohe | |
| AKP-Funktionäre, die selbst Minister und die Familie Erdoğans betrafen. | |
| Damit war das Tischtuch zerschnitten. Erdoğan ging zum Gegenangriff über. | |
| Einige Minister mussten zwar zurücktreten, doch Gülen-Verbindungen zu | |
| Justiz und Polizei wurden nach und nach zerschlagen. Erdoğan ließ Gülens | |
| Wirtschaftsunternehmen schließen, auch seine Medien mussten irgendwann | |
| dichtmachen. Der misslungene Putsch im Sommer 2016 war dann, darin sind | |
| sich die meisten Beobachter in der Türkei einig, der letzte Versuch der | |
| Gülen-Bewegung, die Macht im Staat zurückzugewinnen. | |
| ## Weltweites Netzwerk bleibt bestehen | |
| Gülens Anhänger bauten bis 2016 weltweit in mehr als 100 Ländern ein | |
| Netzwerk von Wohltätigkeitsstiftungen, Berufsverbänden, Unternehmen und | |
| Schulen auf, darunter 150 Schulen allein in den USA. In der Türkei wurden | |
| nach dem Putsch Hunderte Unternehmen, Schulen und Medienhäuser, die mit | |
| Gülen in Verbindung gestanden haben sollen, geschlossen, mehr als | |
| [2][130.000 mutmaßliche Anhänger aus dem öffentlichen Dienst] und mehr als | |
| 23.000 Menschen aus dem Militär entlassen. | |
| Der deutsche Ableger der Gülen-Bewegung, die „Stiftung Dialog und Bildung“, | |
| betreibt in Deutschland nach wie vor unter anderem Schulen, | |
| Nachhilfezentren und Kindergärten. Die Stiftung werde auch in Zukunft | |
| fortbestehen, teilte [3][deren Vorsitzender Ercan Karakoyun] mit. | |
| Auch wenn die „Cemaat“ ihren Einfluss in der Türkei weitgehend verloren | |
| hat, dürfte der Tod von Fethullah Gülen für Erdoğan doch eine Erleichterung | |
| sein. Sein Außenminister Hakan Fidan, zuvor langjähriger Chef des | |
| türkischen Geheimdienstes MIT und damit oberster Gülen-Bekämpfer, forderte | |
| die Anhänger des toten Predigers am Montagvormittag auf, ihren Kampf „gegen | |
| den türkischen Staat“ nun endgültig einzustellen. | |
| 21 Oct 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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