# taz.de -- Nachruf auf Ex-Senator Wolfgang Wieland: Und dann dieses Kichern | |
> Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland ist gestorben. Seine Biografie ist | |
> auch ein Stück Berlingeschichte. Über eine politische | |
> Ausnahmeerscheinung. | |
Bild: Wieland war ein brillanter Redner, aus dem Stegreif unterhielt er einen S… | |
BERLIN taz | Die Sonne scheint, der blaue Himmel bringt die Monumentalität | |
des Sowjetischen Ehrenmals im Volkspark Schönholzer Heide voll zur Geltung. | |
Es ist der 8. Mai 2023, Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus. | |
Der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland schreitet zur Kranzniederlegung. In | |
seiner Eigenschaft als Vizepräsident des Volksbunds Deutsche | |
Kriegsgräberfürsorge und gemeinsam mit [1][Kai Wegner (CDU)], der seit | |
wenigen Tagen Regierender Bürgermeister von Berlin ist. Die politischen | |
Widersacher, die sich schon ewig kennen, begegnen sich zum ersten Mal in | |
Wegners neuer Funktion. | |
Wegen des [2][russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine] ist es anders | |
als üblich eine stille Gedenkminute. Bei der anschließenden Begrüßung | |
bricht es aus Wieland kichernd heraus: „Dass Sie mal Regierender | |
Bürgermeister werden, hätte ich nie geglaubt.“ Wegner lachend zurück: „I… | |
schon, aber ich war auch der Einzige.“ | |
Aus dem politischen Tagesgeschäft hatte sich Wieland da schon lange | |
zurückgezogen. Zuletzt war er knapp zehn Jahre innenpolitischer Sprecher | |
der Grünen im Bundestag. Mit seinem Parteifreund Christian Ströbele, mit | |
dem ihn auch der Anwaltsberuf und die 68er Zeiten verband, hatte er im | |
NSU-Untersuchungsausschuss gesessen. | |
Anders als Ströbele hat Wieland bei der Bundestagswahl 2013 aber nicht noch | |
einmal kandidiert. „Als wir jung waren, sind wir mal angetreten gegen die | |
Greisenrepublik Deutschland“, sagte er, damals 64. „Wer über das | |
Rentenalter hinaus weitermacht, muss gute Gründe dafür haben.“ | |
## Eine politische Besonderheit | |
Ströbele, der im vergangenen Jahr im Alter von 83 Jahren gestorben ist, | |
hatte Gründe. Der Grüne und Mitbegründer der taz war eine politische | |
Ausnahmeerscheinung. Ströbele war „Kult“. Bei der Gedenkveranstaltung für | |
Ströbele gehörte Wieland zum Kreis der Redner. Am Dienstag ist er nun | |
selbst gestorben, er wurde 75 Jahre alt. | |
Wieland war nicht „Kult“, aber auch er war eine politische Besonderheit. | |
Wenn die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Bettina Jarasch | |
und Werner Graf, erklären, „wir sind voller Trauer, einen wundervollen | |
Menschen und leidenschaftlichen Politiker verloren zu haben“, dann | |
entspricht das auch dem Gefühl der Autorin dieser Zeilen, die Wieland in | |
seiner Zeit als innenpolitischer Sprecher der Berliner Grünen-Fraktion | |
lange begleitet hat. | |
Wieland war von 1987 bis 2004 Abgeordneter in Berlin. Er war ein brillanter | |
Redner, aus dem Stegreif unterhielt er einen Saal. Bei politischen | |
Veranstaltungen und bei Partys, auch in der taz, hat man das erlebt. Bei | |
seinen Auftritten im Abgeordnetenhaus und Bundestag verstummten die | |
Zweiergespräche, wenn er das Wort ergriff. Er war schlagfertig und | |
politisch pointiert. | |
Dazu kam, dass er über ein schon fast unheimliches Elefantengedächtnis | |
verfügte. Seine Geschichten über die politischen Verhältnisse und den Filz | |
in Berlin vor und nach dem Fall der Mauer sind legendär. | |
## Karriere war nicht sein Ding | |
Auch als er längst aus der Landespolitik ausgeschieden war, verfolgte er | |
die Geschehnisse in Berlin genau. Er legte den Finger in die Wunde, auch | |
mit den eigenen Grünen ging er ins Gericht, da kannte er nichts. Der | |
Wahlkampf von Renate Künast, die 2011 mit hohen Umfragewerten gegen Klaus | |
Wowereit als Kandidatin für den Regierende Bürgermeister-Posten gestartet | |
und haushoch unterlegen war, sei „miserabel“ gewesen, sagte er zur taz. Im | |
Sommer 2023, als die Grünen nicht mehr Teil der Landesregierung waren, | |
konstatierte er: „Man kann schon mal fragen, wo nach sechs Jahren grüner | |
Verantwortung die schönen autofreien Plätze sind“. | |
Sich selbst pflegte er als „Elder Statesman“ der Grünen zu bezeichnen, der | |
aber nicht den Weisen vom Berg spielen wolle. Und auch das hat er immer | |
betont: Nie habe er das Gefühl gehabt, auch mal Parteivorsitzender werden | |
zu wollen. Karriere sei nicht sein Ding gewesen. „Da unterscheide ich mich | |
von einigen bei den Grünen.“ | |
Als junger Anwalt hatte Wieland die Verteidigung von Fritz Teufel von der | |
Bewegung 2. Juni übernommen. Auch den Asylbewerber Cemal Altun hat er | |
vertreten. Ein tragischer Fall. Aus Angst vor einer Auslieferung in die | |
Türkei stürzte sich Altun aus dem Fenster des Berliner Verwaltungsgerichts. | |
Der Tod war der Anfang der Flüchtlingssolidaritätsbewegung in Berlin. Im | |
Mykonos-Prozess war er Nebenkläger von Überlebenden des Attentats, das auf | |
Geheiß des Iran auf ein Lokal in Berlin ausgeführt worden war. | |
## Mehr Aufgaben als menschlich möglich | |
Auch als er Mitte der achtziger Jahre Politiker wurde, hat er immer noch | |
ein bisschen als Anwalt gearbeitet, mit Leidenschaft, wie er sagte. | |
Asylthemen waren sein Schwerpunkt. | |
Wieland wohnte in Kreuzberg, mit seiner Frau, einer Arbeitsrichterin, hat | |
er zwei erwachsene Töchter. Schwäne am Urbanhafen gefüttert, das hat er | |
auch als Politrentner nie. 2020 wurde er vom | |
Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Sonderermittler berufen. | |
Im Rahmen der G10-Kommission des Deutschen Bundestags saß er immer noch in | |
einem geheimen Gremium, das entschied, wen die deutschen Nachrichtendienste | |
abhören und auslesen dürfen. | |
Auf Bitten von Bettina Jarasch bearbeitete er als Ombudsmann im Landesamt | |
für Einwanderung bis zu 30 Beschwerden täglich. Und dann noch die | |
Friedensarbeit der Kriegsgräberfürsorge. „Durch den russischen | |
Angriffskrieg haben wir im Osten einen enormen Rückschlag erlitten“, sagte | |
er. „Das tut richtig weh, was da an guten Ansätzen verschüttet worden ist.�… | |
Eigentlich seien die vielen Betätigungen mehr, als man nebenher leisten | |
könne, gestand er im Sommer ein. Und dann wieder dieses Kichern, auf diese | |
unnachahmliche Art, wie er es immer tut, wenn er sich amüsiert. | |
Sechs Innensenatoren und drei Polizeipräsidenten hat Wieland in den 16 | |
Jahren als innenpolitischer Sprecher im Abgeordnetenhaus erlebt. „Mehltau“ | |
nannte er die lange Zeit, in der die Große Koalition Berlin regierte. Die | |
Fronten im Innenausschuss zwischen Opposition und Regierung waren | |
verhärtet, der Ton so: „Der Spuk wird bald vorbei sein. Wir werden den | |
harten Kern von Verfassungsfeinden auf die Lichtung treiben“, kündigte der | |
CDU-Innensenator Eckart Werthebach an, als der 1. Mai 2001 in Kreuzberg | |
wieder einmal in eine Straßenschlacht mit der Polizei ausgeartet war. | |
„Klarer Fall von Cäsarenwahn“, konterte Wieland spitz. | |
## 20 Jahre lang auf keiner Demo gefehlt | |
Erst als im selben Jahr Ehrhart Körting (SPD) Innensenator wurde und Berlin | |
eine rot-rote Regierung bekam, setzte bei der Polizei ein | |
Bewusstseinswandel ein. Von Deeskalationsstrategie hatte man bis dahin | |
nichts gehalten. | |
Wieland verabschiedete sich bald danach in die Bundespolitik. Der Rückzug | |
entbehrte nicht einer gewissen Tragik. Bei der Aufklärung der Bankenaffäre, | |
die 2001 zur Ablösung der Großen Koalition geführt hatte, war er einer der | |
Motoren gewesen. Im Übergangssenat war er sieben Monate Justizsenator. Nach | |
den Wahlen ging Klaus Wowereits SPD aber eine Koalition mit den Linken, | |
damals noch PDS, ein. Wieland wäre gern weiter Justizsenator geblieben. | |
Noch heute trauern im Strafvollzug Beschäftigte ihm nach – was zeigt, dass | |
er ganz gut gewesen sein muss. | |
Aus seiner Liebe zu seiner Geburtsstadt Berlin hat Wolfgang Wieland nie | |
einen Hehl gemacht. Er wuchs in Frankfurt am Main auf und kam als Student | |
wieder zurück. Seit dem 2. Juni 1967, dem Tod von Benno Ohnesorg, habe er | |
20 Jahre lang auf keiner Demonstration gefehlt, sagte er. Am 2. Juni vor | |
der Deutschen Oper habe er alles haarklein miterlebt. „Prügelnde Polizisten | |
und das Gefühl, Benno Ohnesorg, das hättest du auch sein können.“ | |
Dass er früher mal bei den Maoisten war, war ihm nicht peinlich. Aber es | |
laufe ihm kalt den Rücken runter, wenn er heute offizielle Texte von damals | |
lese: „Wie dicht wir am Stalinismus waren.“ | |
Sommer 2023. [3][Eine Bilanz nach 100 Tagen Große Koalition unter Kai | |
Wegner] steht an. Ausnahmsweise kein Mosern der Kolleginnen und Kollegen, | |
als man Wolfgang Wieland als Interviewpartner vorschlägt. Den Jungen sagt | |
der Name nicht mehr viel. Am Telefon diese typische dunkle Stimme. „Wegner | |
fehlt eigentlich alles, um Regierender Bürgermeister zu werden.“ Kichern. | |
Mit Blick auf die hohen Umfragewerte der AFD in Thüringen und Sachsen nimmt | |
das Gespräch aber eine ernste Wendung. „Ich will in Zukunft nicht auf Kai | |
Wegner einprügeln müssen, sondern auf die AfD, und nach Möglichkeit mit | |
allen demokratischen Parteien gemeinsam, ohne die Unterschiede zwischen uns | |
zu verwischen.“ | |
Eigentlich wollte er nach Hiddensee fahren. Zwei Wochen später, bei der | |
Autorisierung sagt er, er liege im Krankenhaus: „Der Krebs ist zurück.“ | |
Seine letzte Nachricht kommt am 5. August. „Habt ihr toll bebildert. Viel | |
grüne Resonanz.“ [4][Das Foto zeigt Kai Wegner beim schwullesbischen | |
Straßenfest], er hat eine affige bunte Pappbrille auf. | |
Viel hat nicht gefehlt und stattdessen wäre ein Foto des früheren | |
Parlamentspräsidenten Ralf Wieland (SPD) an der Stelle gewesen. Die Zeitung | |
war schon fast in der Druckerei, als ein älterer Kollege den Fehler des | |
jüngeren Kollegen erkennt. Wieland hätte das vermutlich köstlich amüsiert. | |
8 Dec 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Schwarz-Rot-in-Berlin/!5957659 | |
[2] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150 | |
[3] /100-Tage-CDU-gefuehrtes-Berlin/!5951614 | |
[4] /100-Tage-CDU-gefuehrtes-Berlin/!5951614 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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