# taz.de -- Nachhaltigkeit auf der Fruit Logistica: Voll freshe Ideen | |
> Ist weniger Verschwendung möglich? Zwischen Kohlrabi-Pommes bis zur | |
> Superavocado ist die Fruit Logistica auf der Suche nach mehr | |
> Nachhaltigkeit. | |
Bild: Frische Beeren im tiefsten Winter? Alles möglich – nachhaltig nicht un… | |
BERLIN taz | Erntedank im Winter: Draußen friert’s, innen quellen die | |
Messehallen über von frischem Obst und Gemüse. Avocados aus der | |
Dominikanischen Republik, Blaubeeren aus Chile, Äpfel aus der Steiermark. | |
Alle Sorten, alle Farben. Vor Halle 21 köchelt ein riesiger Topf mit | |
Kartoffeln und Paprika und verströmt appetitanregenden Duft. Davon | |
vielleicht später einen Teller. Erst einmal hasten die Händler und | |
Agrarproduzenten zu ihren Terminen und Deals. Über 40 Prozent der | |
Aussteller werden in Berlin einen Lieferabschluss besiegeln, für die | |
übrigen kommt der Kontrakt später. | |
Die Fruit Logistica ist die größte Fruchthandelsmesse der Welt. Jedes Jahr | |
findet sie Anfang Februar auf dem Berliner Messegelände unter dem Funkturm | |
statt, 14 Tage nach der Internationalen Grünen Woche, aus der sie | |
hervorgegangen ist. Ist die Grüne Woche stark auf den Endverbraucher | |
ausgerichtet, hat zur Fruit Logistica nur Fachpublikum Zugang: die | |
Vertreter von Erzeugergenossenschaften und Agrarverbänden, Logistiker von | |
Transportunternehmen, die die Früchte transportieren, der | |
Lebensmittelhandel, der sie verkauft, und nicht zuletzt Forscher, die neue | |
Sorten und Geschmacksrichtungen entwickeln oder die Roboter-Ernte auf dem | |
Acker vorbereiten. „Digitalisierung“ ist ein Buzzword in diesem Jahr. | |
„Mit über 3.200 Ausstellern aus 90 Ländern ist die Messe in diesem Jahr so | |
groß wie noch nie“, berichtet Madlen Miserius von der Messe Berlin, die für | |
die Organisation zuständig ist. Über 78.000 Fachbesucher werden erwartet, | |
davon 90 Prozent aus dem Ausland, womit die Fruit Logistica die | |
internationalste Messe in ganz Deutschland ist. | |
Christine Jong vom holländischen Betrieb Bejo Zaden hat weiße Pommes frites | |
mitgebracht, portioniert in Gläsern mit einem Schuss Mayonnaise. „Probieren | |
Sie!“, fordert sie am Schluss ihres Vortrags über die Kunst der | |
Geschmacksverbesserung durch optimale Anbaumethoden auf, quasi zur | |
Beweisführung. Natürlich sind es keine Kartoffeln, sondern Kohlrabi. „Hier | |
in Deutschland kennt man dieses Gemüse noch“, freut sich Jong. In anderen | |
Ländern ist die Kohlvariante fast schon exotisch geworden. | |
## Angegammelter Spargel und faulende Äpfel | |
Der Geschmack der Früchte steht inzwischen bei der Kaufentscheidung des | |
Verbrauchers an der Spitze der Entscheidungsskala, hat der „Trendreport“ | |
der Messe herausgefunden. „Der Preis ist nicht mehr das vorrangige | |
Kriterium“, sagt Rainer Münch von der Strategieberatung Oliver Wyman, die | |
7.000 Supermarktkäufer in 14 Ländern befragt hat. Ein zentrales Ergebnis: | |
Je frischer das Angebot an Obst und Gemüse, desto häufiger kommen die | |
Kunden in den Laden. Bedeutend sind die großen Ketten: In Deutschland gehen | |
mehr als 50 Prozent der Früchte über die Tresen der Discounter. | |
Beliebtestes Gemüse hierzulande ist weiterhin die Tomate vor Möhren und | |
Zwiebeln, während sich in der Obstfraktion die Banane vor die Äpfel auf | |
Platz eins geschoben hat. | |
Weltweit wurden 2018 rund 1,15 Milliarden Tonnen Gemüse und 900 Millionen | |
Tonnen Obst angebaut. Der übergroße Teil wird im eigenen Land verzehrt. 10 | |
Prozent der Obstproduktion geht in den grenzüberschreitenden Handel, bei | |
Gemüse sind es 4 Prozent. Das ist der Markt der Fruit Logistica. | |
Die kalifornische Firma Apeel Sciences hat in Halle 26 einen Stand mit | |
doppelter Auslage aufgebaut: Oben liegen angegammelter Spargel und faulende | |
Äpfel, unten die gleichen Produkte knackfrisch, obwohl zur selben Zeit | |
geerntet. Das Geheimnis: Die Amerikaner haben nach eigenen Angaben einen | |
hauchdünnen Schutzüberzug aus pflanzlichen Stoffen entwickelt, der die | |
Früchte ohne Chemie haltbarer macht. „Die größte Lebensmittelrevolution | |
seit der Erfindung des Kühlschranks“, sagt eine Sprecherin. | |
Ernteverluste und Verschwendung sind ein großes Problem der Branche. Rund | |
11 Millionen Tonnen Essbares landen in Deutschland jährlich im Müll. Nicht | |
nur Erzeugung, Transport und Vertrieb verbrauchen Energie, sondern auch die | |
Vernichtung der Reste. In den USA werfen die Verbraucher im Schnitt 40 | |
Prozent der Lebensmittel weg, was gut 165 Milliarden US-Dollar Kosten | |
verursacht, Tendenz steigend. Auf der Fruit Logistica werden Strategien zur | |
Vermeidung von Abfall und Wegen vorgestellt. | |
## Der Rest geht an die Tafel | |
In Berlin dagegen landen nach Messeschluss am Freitag die Früchte nicht in | |
der Tonne. Die Berliner Tafel holt rund 80 Tonnen Lebensmittel ab, die | |
verteilt werden. So viel war es jedenfalls im vergangenen Jahr. Ein | |
Vitaminschub im Februar für Berliner Bedürftige. | |
Es wimmelt an Innovationen auf der Messe, um biederen Gewächsen ein | |
modernes Image zu geben. Erstmals wird dazu ein Gründertag ausgerichtet: 20 | |
Start-ups aus der Agrarbranche präsentieren ihre Geschäftsmodelle. Viel | |
Digitalisierung gibt es da: die Qualitätskontrolle der Früchte mittels | |
Künstlicher Intelligenz oder die Insektenjagd im Gewächshaus per | |
Minidrohne, wie sie das holländische Start-up Pats Indoor Drone Solution | |
anbietet. | |
Eine weitere Neuerung ist der Frauentag auf der Fruit Logistica: „Wir | |
wollen ein Netzwerk für eine neue Generation von Frauen etablieren, die den | |
Obst- und Gemüsesektor prägen, weiterentwickeln und ihre Erfahrungen | |
weitergeben wollen“, sagt Julie Escobar, Mitinitiatorin des Global Women’s | |
Network. Es sei „an der Zeit, die Leistung und Bedeutung der Frauen in | |
unserer Branche aufzuzeigen und deutlich zu kommunizieren“. Das Netzwerk | |
solle nicht nur Geschäftsmöglichkeiten erschließen, sondern Frauen dazu | |
inspirieren, sich zu vernetzen und in ihrem Berufsleben gegenseitig zu | |
unterstützen. | |
7 Feb 2019 | |
## AUTOREN | |
Manfred Ronzheimer | |
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