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# taz.de -- Nach transfeindlicher Attacke in Hamburg: Sozialtraining für den T…
> Ein Hamburger Gericht verurteilt einen 22-Jährigen wegen des Angriffs auf
> die Drag-Queen Samia Stöcker. Der Täter muss reflektieren und zahlen.
Bild: Queerfeindliche Gewalttaten sind keine Einzelfälle: Demo in Bremen, nach…
HAMBURG taz | Drag-Künstlerin Samia Stöcker hatte vor dem letzten
Verhandlungstag bei Facebook zusammen mit der Gruppe „Drag Queens,
Travestiekünstler, Models & Co.“ zu einer Solidaritätskundgebung vor dem
Amtsgericht Hamburg aufgerufen. Stöcker [1][ist trans]. Sie war im Sommer
2021 bei einer Auseinandersetzung nach einer transfeindlichen Beleidigung
bewusstlos geschlagen worden. Der Täter ist der 22-jährige Fabio S., ein
ehemaliger Kickboxer.
Ein Jugendschöffengericht verurteilte ihn am Mittwoch zur Teilnahme an
einem Anti-Gewalt-Training und einem Schmerzensgeld in Höhe von 4.500 Euro.
Zudem wurde er verpflichtet, für Stöckers künftige Behandlungskosten
aufzukommen. Richterin Eda Bacak begründet das Urteil damit, dass es für S.
kein Grund zur Notwehr gegeben und er für seinen Schlag gezielt das Gesicht
ausgewählt habe.
Nach dem Schlag von S. war Stöcker auf den Hinterkopf gefallen, hatte einen
Schädelbruch erlitten und kurzzeitig das Bewusstsein verloren. Sie musste
notoperiert werden. Während das Video einer Überwachungskamera, das den
Vorfall teilweise aufgezeichnet hat, bei der Verhandlung gezeigt wird,
verlässt sie immer wieder den Saal. [2][Als sie Anfang Januar aussagt],
schildert sie, dass sie seit der Tat „schwer traumatisiert“ sei, zudem
können sie seitdem nicht mehr als Dragqueen arbeiten. „Mein Kopf
funktioniert nicht mehr.“
Das Video ist das zentrale Beweisstück. Es stammt aus einem Laden der
Fastfood-Kette KFC, vor dem sich die Tat abgespielt hat. Eine der Kameras,
die eigentlich den Innenraum des Ladens zeigen soll, erfasst durch ein
Fenster auch einen Teil dessen, was davor passiert. Am zweiten Prozesstag
wird immer wieder die entscheidende Sequenz abgespielt. Zu sehen ist eine
Gruppe Jugendlicher, die vor dem Laden steht. Stöcker geht mit einer
anderen Person aus dem Restaurant und an der Gruppe vorbei. Im letzten
Moment dreht sie sich abrupt um und spricht einen der Jugendlichen an.
## Der Angeklagte schweigt, sein Anwalt sucht die Mitschuld
Einen Moment später kommt von links der Arm einer Person im weißen Oberteil
ins Bild – es ist der Arm von Fabio S. Er schubst Stöcker zur Seite.
Daraufhin geht sie sichtlich aufgebracht auf ihn los: Zu sehen ist ein
leichter Schlag und ein Schubsen mit beiden Händen. Ob der Schlag S.
trifft, ist nicht zu erkennen. S. weicht zurück. Im nächsten Moment kommt
von S. ein Schlag in Stöckers Gesicht, sie fällt daraufhin mit dem Kopf
zuerst nach hinten.
Der Angeklagte schweigt während des gesamten Prozesses zu den Vorwürfen.
Sein Verteidiger Christian Lange stellt immer wieder die Frage, [3][welchen
Anteil die Geschädigte an der Eskalation der Gewalt] hatte. Sogar ein
Zeuge, der mit Stöcker befreundet und an dem Abend mit ihr unterwegs war,
zeigt einen kritischen Blick auf ihr Verhalten. Vor Gericht sagt er, seit
dem Vorfall hätten die beiden wenig Kontakt; seitdem sei es „nicht mehr so
wie es war“.
Stöcker habe ihm im Nachhinein vorgeworfen, nicht eingeschritten zu sein.
„Warum hast du nichts getan?“, soll sie am Telefon gefragt haben. „Ich war
einfach überfordert, ich wollte sie ja nicht im Stich lassen“, sagt er vor
Gericht. Laut seiner Aussage hätten die Jugendlichen „was gesagt, das ihr
nicht gefallen hat.“ [4][Er nennt ein transfeindliches Wort].
Der Polizist, der diesen Zeugen nach dem Vorfall vernommen hat, habe
gefragt, ob er oder Stöcker an dem Abend „auffällig“ gewesen seien. Das
zitiert der Verteidiger aus dem Vernehmungsprotokoll. In diesem Moment geht
ein Seufzen durch das Publikum, in dem sich auch ein paar Personen zur
Unterstützung von Stöcker versammelt haben. „Vielleicht vom Outfit her?“,
antwortet der Zeuge vor Gericht. Er wisse nicht, ob Stöcker „sich da mit
der richtigen Person angelegt hat. Wenn jemand etwas wegen ihrem Aussehen
sagt, dann flippt sie halt aus und versucht, sich zu verteidigen“.
Ein anderer Zeuge, der den Streit aus ein paar Metern Entfernung beobachtet
hat, sagt vor Gericht, dass er lediglich Stöcker habe schreien hören. Sie
habe „auf sich aufmerksam gemacht“. Es sei ihm „ein bisschen so
vorgekommen, als würde sie einen auf ‚Ich bin anders und ich bin stolz‘
machen“. Ein bisschen gefährlich, so ein Verhalten auf dem Kiez, urteilt
er. Er erzählt auch, dass Stöcker ihm schon aufgefallen sei, bevor er sie
am KFC gesehen hat: weiter unten auf dem Kiez, bei einer verbalen
Auseinandersetzung. „Es war provokant, wie die trans Frauen sich verhalten
haben. Früher oder später wäre eh was passiert.“
Eine weitere Zeugin sagt aus, dass jemand aus der Gruppe junger Männer
gesagt haben soll: „'Geh weg, wir wollen keinen Stress’.“ Der Verteidiger
fragt sie, ob die Männer die Möglichkeit gehabt hätten, sich der Situation
zu entziehen. Nein, sagt die Zeugin, der Weg sei versperrt gewesen.
Verteidiger Lange konfrontiert sie dann mit dem Protokoll ihrer Vernehmung
bei der Polizei: Sie habe die Frage bejaht, ob sie das Verhalten von
Stöcker als provokant empfunden habe. Vor Gericht sagt sie dazu: „Die Frau
sah schon sehr anders aus, als es die Norm ist.“
Im Video ist zu erkennen, dass Stöcker High Heels, einen kurzen Rock und
ein Oberteil mit dünnen Trägern trägt – ein normales Party-Outfit. Der
Anwalt von Nebenklägerin Stöcker fragt, was ihr Aussehen mit Provokation zu
tun habe. „Das Aussehen ist nicht provokant, aber das
Auf-die-Person-Zugehen und In-die-Ecke-Treiben“, sagt die Zeugin.
Bei der Verhandlung ging es nicht nur um die Attacke gegen Stöcker, sondern
auch um einen Messerangriff an der U-Bahn-Station in Hamburg-Billstedt, an
dem der Angeklagte beteiligt war. Der Staatsanwalt forderte als Strafe für
die Vergehen einen sozialen Trainingskurs von 15 Stunden sowie 60 Stunden
gemeinnützige Arbeit. Er wies in seinem Plädoyer auf die „erheblichen
schweren Folgen“ für Stöcker hin, [5][bei der Tat sei zudem eine
„Missachtung der Transsexualität“] deutlich geworden.
Nach Ansicht von Verteidiger Lange dagegen hatte der Angeklagte seinem
Bekannten mit dem ersten Schubser helfen wollen, als Stöcker verbal nicht
von ihm ablassen wollte. Er bezieht sich immer wieder auf das
Überwachungsvideo als „objektiven Beweis“ und will „einen deutlichen
Schwinger“ von Samia Stöcker gesehen haben, den sein Mandant nur habe
abwehren wollen. Den entscheidenden Schlag habe er aus Notwehr ausgeübt. Es
sei „extrem unglücklich“, wie Stöcker daraufhin gefallen sei.
1 Mar 2023
## LINKS
[1] /Aktivistin-ueber-Schottlands-Trans-Gesetz/!5906396
[2] /Prozess-nach-Angriff-auf-Transfrau/!5905095
[3] https://www.queer.de/detail.php?article_id=44314
[4] /Queerfeindlichkeit-in-Deutschland/!5880996
[5] /Aktivist-ueber-Transfeindlichkeit/!5892437
## AUTOREN
Franziska Betz
## TAGS
Transfeindlichkeit
Gewalt
Jugendgewalt
Strafrecht
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