# taz.de -- Nach der Gewalt in Amsterdam: Eine Stadt in Aufruhr | |
> Am 7. November wurden in Amsterdam israelische Fans angegriffen. Noch | |
> immer wird darüber gestritten, wer für die Gewalt verantwortlich ist. | |
> Eine Spurensuche. | |
Bild: Demo trotz Verbot: Propalästinensische Protestierende am 13. November … | |
Amsterdam taz | Nach einer Stunde beginnt die Polizei den Ring um den | |
Dam-Platz enger zu ziehen. Mannschaftswagen fahren vor. Die etwa | |
vierhundert Menschen, die trotz des Demonstrationsverbots gekommen sind, | |
werden aufgefordert, den Platz im Zentrum von Amsterdam zu verlassen. Die | |
meisten bleiben, neugierig beäugt von Passant*innen, die aus den nahen | |
Einkaufsstraßen strömen. Eine erneute Aufforderung, dann ertönt der Befehl | |
zur Räumung. 281 vorübergehend festgenommene Personen werden mit Bussen in | |
ein Hafengebiet am Stadtrand gebracht, wo beim Aussteigen auch Schlagstöcke | |
zum Einsatz kommen. | |
Es ist Mittwochabend, der 13. November. Knapp eine Woche ist vergangen | |
[1][seit den Gewaltexzessen] rund um das Fußballspiel zwischen Ajax | |
Amsterdam und Maccabi Tel Aviv, bei denen israelische Fans von einem Mob | |
durch die Stadt gejagt und angegriffen wurden. Fünf Israelis mussten laut | |
Polizei im Krankenhaus behandelt werden, zwanzig bis dreißig wurden leicht | |
verletzt. Noch bis zum 14. November gilt in der niederländischen Hauptstadt | |
ein Demonstrationsverbot. Es ist Teil der Notverordnung, die | |
Bürgermeisterin Femke Halsema nach der, wie sie es ausdrückte, | |
„pechschwarzen Nacht“, verhängte. Nicht zum ersten Mal setzen sich | |
propalästinensische Aktivist*innen*innen darüber hinweg. | |
Vor der Polizeikette steht jetzt eine Gruppe von Aktivist*innen, die sich | |
nicht festnehmen lassen wollen. „You are not alone“, rufen sie den Menschen | |
drinnen im Kessel zu, wie bei einer Extinction-Rebellion-Kundgebung, wenn | |
die blockierte Autobahn geräumt wird. „It is time to rebel, Israel go to | |
hell“, schreit eine Frau von einer steinernen Bank hinunter, und die | |
Umstehenden antworten. Ein junger, asiatisch aussehender Mann filmt mit | |
seinem Telefon die Szene. Ein anderer löst sich aus einer Gruppe | |
Jugendlicher. „Filmst du? Bist du für Israel oder Palästina“, fragt er ihn | |
musternd auf Englisch. „Palästina“, bekräftigt der Filmende schnell. Der | |
Funken Spannung, der eben noch in der Luft hing, verfliegt. | |
Rückblende: Zu Beginn des Abends drängen sich die Demonstrierenden auf dem | |
mit Pflastersteinen bedeckten Platz. Wären da nicht all die Kufiyas, man | |
könnte sich wegen der pausenlosen Slogans im Call-and-Response-Stil in | |
einer Ultra-Kurve wähnen. Erst gibt eine Frau den Ton an, dann ein Mann. | |
„Yalla yalla Intifada“, klingt es. „Fuck you Netanyahu!, Fuck you, | |
Halsema!“ oder „From the river to the sea, Israel will never be“ ist zu | |
hören. Ein Vater bläst Seifenblasen für seine jungen Töchter und brummt | |
tänzelnd „Free Palestine“ vor sich her. | |
Neben ihm steht ein kräftiger Mann mit kurzem grauen Stoppelhaar und dicker | |
Kufiya um den Hals. Er stellt sich mit seinem Spitznamen „Tuurtje | |
Amsterdam“ vor, er ist eine Art Freiwilliger, der bei Palästina-Demos auf | |
die Sicherheit achtet, und war früher Mitglied des harten Kerns der | |
Ajax-Fans. Warum er hier ist? „Weil ich gegen das Demo-Verbot bin. Weil die | |
Niederlande Israel unterstützen und Palästina nicht anerkennen, und weil | |
Halsema, Premier Schoof und Wilders jetzt vom Versagen der Integration | |
reden, anstatt zu sehen, dass Gaza die Ursache ist für den Unfrieden in der | |
Gesellschaft.“ | |
Tatsächlich hat sich in den Tagen zuvor eine reißerische, harte Debatte | |
entwickelt, die den Gewaltausbruch von Amsterdam mit der vermeintlich | |
gescheiterten Integration junger niederländischer Muslime erklärt, die bei | |
den Übergriffen auf der Basis von Zeugenaussagen offenbar stark vertreten | |
waren. Tuurtje, Jahrgang 1974 und selbst Sohn chilenischer Flüchtlinge, die | |
dem Pinochet-Regime entkommen waren, empört das: „Wir sind alle | |
Niederländerinnen, alle Amsterdamer, wir müssen alle miteinander | |
auskommen“, betont er. Was Tuurtje von den Übergriffen der letzten Woche | |
hält? „Die Judenjagd heiße ich nicht gut. Aber es traf auch keine | |
unschuldigen Leute.“ | |
Worauf er sich bezieht, sorgt inzwischen zunehmend für Diskussion in den | |
Niederlanden: [2][Videos zeigen,] wie Fans in den blau-gelben Farben von | |
Maccabi Tel Aviv rassistische Parolen gegen Araber*innen skandieren und | |
kriegsverherrlichende Lieder singen. Auch die Aufnahmen aus der Nacht vor | |
dem Spiel, von Maccabi-Fans, die eine Palästina-Fahne von einer Fassade | |
ziehen, sind Gesprächsstoff. In den Medien, in Kantinen und Bars, überall | |
macht sich ein anderer Blick auf die Geschehnisse breit: War die erste | |
Empörung über die Jagd auf Juden nicht einseitig und die Aggression gegen | |
die Israelis eine Reaktion auf deren vermeintliche Provokation? | |
Auf dem Dam-Platz ist sich Turrtje Amsterdam sicher: „Das Maccabi-Pack hat | |
angefangen.“ Im Hintergrund hält jemand eine Rede durch ein knarzendes | |
Megafon, von der kaum mehr als die Worte „Dekolonisierung“ und „Widerstan… | |
zu verstehen sind. Tuurtje, dessen Vater in Chile ein hoher | |
Gewerkschaftsfunktionär war, betont, nicht alle Jüd*innen stünden hinter | |
dem Krieg – „nur die Zionisten“. Trotzdem ist er dagegen, dass die | |
jüdischen Bewohner*innen der Niederlande hier vom Staat beschützt | |
werden, weil Israel den Ärger doch selbst provoziere. | |
Mitdemonstrant Luigi, der seinen Nachnamen lieber für sich behält, ist vor | |
allem wütend über das Verbot, zu demonstrieren. Genau das gehört für den | |
etwa 30-Jährigen nämlich seit einem Jahr zu seinem Alltag, der aus drei | |
Teilen besteht: „Arbeiten, Fitness-Studio, Kundgebung.“ Mit einer kleinen | |
Gruppe steht Luigi jeden Abend vor dem Amsterdamer Hauptbahnhof, wenn die | |
Pendler*innen dort ein- und auslaufen. Er selbst sei kein Palästinenser, | |
sagt er, seine beste Freundin allerdings schon. „Natürlich geht es nicht, | |
dass Menschen zusammengeschlagen werden! Aber eine ganze Woche lang | |
deswegen nicht demonstrieren? Die Stimmung ändert sich, die Leute werden | |
wütend.“ | |
Letzteres gilt nicht allein für die Atmosphäre auf den Straßen. Auch bei | |
einer Dringlichkeits-Sitzung des Gemeinderats, die wenige Tage nach dem | |
Gastspiel von Maccabi Tel Aviv stattfindet, geht es im Stadthaus an der | |
Amstel hoch her. Rechte Ratsmitglieder werfen [3][Bürgermeisterin Halsema], | |
die einst die GroenLinks-Fraktion im Parlament in Den Haag leitete, | |
Versagen vor und fordern vergeblich ihren Rücktritt. Viele fragen sich, wie | |
es trotz des hohen Polizeiaufgebots zu den Gewaltexzessen kommen konnte. | |
Halsema betont, man habe im Vorfeld des Spiels alles Mögliche getan, und | |
gegen die „Hit-and-run-Aktionen“ der Angreifer, vielfach auf | |
Motorrollern, sei es für die Polizei besonders schwierig vorzugehen. | |
## Ein giftiger Cocktail führt zur Gewalt | |
All das steht auch in einem Brief an die Mitglieder des Stadtrats, in dem | |
Halsema, der Amsterdamer Polizeichef und die Staatsanwaltschaft die | |
Geschehnisse in den Tagen um das Spiel herum zusammenfassen. Er enthält | |
auch eine Auflistung von 14 Tatorten, an denen Maccabi-Fans angegriffen | |
wurden. Manche Orte erkannte man auf den Videos aus der Nacht nach dem | |
Spiel, die seither pausenlos in sozialen Medien, TV-Programmen und auf | |
Onlineseiten von Zeitungen zirkulieren, andere nicht. Die Straßennamen | |
fügen sich zu einem Gebiet zusammen, das sich vom Hauptbahnhof aus über die | |
Grachten und große Teile der Innenstadt bis an ihren westlichen Rand zieht. | |
Nicht nur diese Angriffe sind Teil der Rekonstruktion aus dem Rathaus. Die | |
Bürgermeisterin spricht dort von einem „giftigen Cocktail aus | |
Antisemitismus, Hooligan-Verhalten und Wut über den Krieg in Palästina und | |
Israel sowie anderen Ländern im Nahen Osten“, der für die Gewaltexzesse | |
verantwortlich sei, und nennt im Detail: „Berichte über antisemitische | |
Äußerungen wie der Aufruf zur „Judenjagd“ und Filme hasserfüllter und | |
rassistischer Sprechchöre gegen „Araber“. Auch vom Entfernen und Verbrennen | |
einer palästinensischen Flagge bis hin zu zielgerichteten Angriffen auf | |
jüdische und israelische Fans ist die Rede. Was sie betont: Nie könne die | |
Gewalt der einen Seite eine Entschuldigung für die der anderen sein. | |
Femmetje de Wind hat solche Formulierungen gründlich satt. Zwei Tage nach | |
der Demonstration auf dem Dam-Platz sitzt die Schriftstellerin in einem | |
Café an der Amstel, um über ihre Sicht auf die Dinge zu reden. Die | |
Pressesprecherin von Maccabi Nederland ist unterwegs zu einem Treffen mit | |
anderen Mitgliedern des Sportverbands. „Ich sehe, das nun etwas passiert, | |
was man auch nach dem 7. Oktober beobachten konnte: Nach einem kurzen | |
Moment der Aufmerksamkeit für Antisemitismus, die Opfer und die Angst unter | |
der jüdischen Bevölkerung Amsterdams wird das Geschehene bagatellisiert. | |
Alle Jüd*innen werden mit der Politik Israels gleichgesetzt und dann | |
heißt es: Das habt ihr euch selbst eingebrockt!´“ | |
De Winds eigene Erlebnisse nach dem Gastspiel von Maccabi Tel Aviv stehen | |
dieser Sichtweise fundamental entgegen. In Chatgruppen, in denen sie | |
Mitglied ist, häufen sich am frühen Morgen des 8. November Hilferufe | |
israelischer Fans. Ihr Mann mietet ein Auto, mit seinem eigenen möchte er | |
aus Sicherheitsgründen nicht fahren. Eigentlich will er Israelis, die sich | |
nicht aus ihren Hotels trauen, zum Flughafen fahren. Doch weil er Arzt ist, | |
wird er gefragt, im spontan errichteten Notquartier zu helfen, wo auch | |
seine Frau sich inzwischen um verletzte sowie verängstigte | |
Fußballanhänger*innen kümmert. Manche, die medizinische Hilfe nötig | |
haben, trauen sich nicht einmal ins Krankenhaus. | |
100 bis 150 Personen finden an jenem Tag dort Unterschlupf. De Wind sieht | |
Ältere, viele Frauen, Familien, auch einige Kinder. Sie beginnt die | |
Menschen zu befragen, um sich ein Bild von den Geschehnissen zu machen. | |
Bald bekommt sie den Eindruck: Dies war keine Konfrontation zwischen zwei | |
Fan-Gruppen, sondern eine gezielte, im Voraus organisierte Aktion gegen | |
Juden. Leute wurden nach ihrem Ausweis gefragt. Ein paar Männer, die in | |
einem Café saßen, weigerten sich diese zu zeigen. Sie wurden nach draußen | |
gezogen und dort zusammengeschlagen. Einer von ihnen verlor dabei alle | |
seine Zähne. Ein anderer junger Fan wurde in seinem Hotelzimmer attackiert, | |
nachdem ein Rezeptionist die Zimmernummer weitergegeben hatte. | |
Ein zentrales Element der Berichte ist, dass Maccabi-Fans, die nach dem | |
Match vom Stadion in die Innenstadt zurückkamen, am Hauptbahnhof erwartet | |
wurden: von einem Mob mit Rollern und Autos, der Jagd auf sie machte, | |
[4][sie anfuhr und auf sie einprügelte.] Ein Fan, der aus einer | |
iranisch-jüdischen Familie stammt, betonte gegenüber de Wind, dass die | |
Angreifer Arabisch und Persisch sprachen. Sie zeigt ein Video, auf dem ein | |
anderer Fan namens Motti Darmon, der mit seinem minderjährigen Sohn vor Ort | |
war, dies bestätigt. Er erzählt auch, vor seinem Hotel erneut von einem | |
Mob, diesmal mit Messern bewaffnet, gejagt worden zu sein. Sein Fazit: „Es | |
wurde offensichtlich im Voraus organisiert, um in großem Rahmen Leute | |
anzugreifen. Überall wurde gefilmt, alles war auf Social Media zu sehen.“ | |
Später hätten die Angreifer vor den Augen der Polizei schweres Feuerwerk | |
gegen sein Hotel geworfen, „Free Palestine!“ und „Kill the Jews!“ geruf… | |
Ein weiterer Anhänger namens Elad, der seinen Nachnamen für sich behalten | |
will, ergänzt einige Tage später telefonisch aus Tel Aviv: „Die Hauptgewalt | |
begann nach dem Spiel, als eine Gruppe von uns am Zentralbahnhof ausstieg. | |
Dort standen Taxis, die sich weigerten israelische Passagiere mitzunehmen. | |
Ein paar Momente später kam eine erste Gruppe an, die Blendgranaten und | |
Böller auf uns warf, manche zu Fuß, manche auf Motorrädern und in Autos.“ | |
Später seien sie „alle paar Minuten“ von neuen Gruppen mit Granaten | |
angegriffen und später auch vor dem Hotel attackiert worden. „Es ist | |
wichtig klarzustellen, dass dies kein spontanes Ereignis war, sondern ein | |
geplanter Angriff.“ | |
Screenshots von Chatberichten über eine für den Tag des Spiels geplante | |
„Judenjagd“ unterstreichen dies. In der gleichen Gruppe textet jemand: | |
„Viel Feuerwerk nötig“. In einer anderen, speziellen Taxi-Chatgruppe mit | |
mehr als 3.700 Mitgliedern werden Informationen zu einem Hotel „ohne | |
Polizei“ geteilt oder vorgeschlagen: „den Mannschaftsbus von diesen | |
Scheiß-Juden zu blockieren“. Ein anderes Mitglied schreibt: „Hängt | |
palästinensische Flaggen in der Stadt auf. Sie werden wie Ratten kommen.“ | |
Für Femmetje de Wind, die all ihre 50 Jahre in Amsterdam verbracht hat, | |
sind die Geschehnisse dieser Nacht „eine Wasserscheide“. Ihr Vater, ein | |
Holocaust-Überlebender, schärfte ihr als Kind ein, immer auf der Hut zu | |
sein vor Judenfeindschaft, die im Verborgenen weiter existiere. Trotzdem | |
wähnte sie sich sicher in der Stadt und erfuhr „viel Verständnis für die | |
Situation von Jüd*innen“. Sie ging auf ein Gymnasium im bürgerlichen Süden | |
Amsterdams. Besonders verstanden fühlte sie sich von einer marokkanischen | |
Freundin, mit der sie viele Gemeinsamkeiten hatte: „Geselligkeit und Wärme, | |
Familiengefühl, Feiertage. Das war bei ihr zu Hause auch so.“ | |
Heute ist die Stimmung zwischen jüdischen und marokkanischen | |
Amsterdamer*innen angespannt wie nie zuvor. Die einen fühlen sich | |
existenziell bedroht, die anderen von der Politik nun pauschal dafür | |
verantwortlich gemacht. Bürgermeisterin Halsema schimpft, die | |
Integrationsdebatte verstärke die Spaltung, während die Bevölkerung in | |
Amsterdam gerade jetzt zusammenhalten sollte. Und Femmetje de Wind gesteht | |
ein: „Ich achte immer bewusster darauf, wie ich in der Öffentlichkeit | |
auftrete. Wobei ich mich natürlich immer deutlich in Medien ausgesprochen | |
habe, was man überall finden kann. Ich kann also nicht mehr sagen: ‚Ich bin | |
nicht jüdisch.‘“ | |
## Weniger Orte in der Stadt für Jüd*innen. | |
Am Nachbartisch haben sich zwei Männer mittleren Alters niedergelassen, | |
bärtig und mit einem betonten Rest Jugendlichkeit. Sie wirken wie alte | |
Freunde, die sich lange nicht gesehen haben. Sie klopfen die wichtigen | |
Themen ab und landen schnell bei der Unruhe, die über der Stadt liegt. | |
Diskutieren über die Palästina-Demonstrationen, schimpfen über die rechten | |
Parteien, die sich aus Hass auf die Linke, auf die Bürgermeisterin | |
eingeschossen hätten. „Und dann diese schwere Antisemitismus-Karte, die | |
jetzt eingesetzt wird“, meint der eine. Der andere pflichtet ihm bei. „Das | |
gibt dem Ganzen so eine Aufladung.“ | |
Im Viertel Buitenveldert, am südlichen Stadtrand von Amsterdam fragt man | |
sich unweigerlich, wie Eberhard van der Laan, Halsemas verstorbener und | |
überaus beliebter Vorgänger, in dieser Situation aufgetreten wäre. Sein | |
verbales Vermächtnis steht in großen Buchstaben über einem Eingang an einem | |
Einkaufszentrum: „Seid lieb zueinander!“ Buitenveldert ist das einzige | |
Stadtviertel im ganzen Land, das eine sichtbare jüdische Infrastruktur hat. | |
Die meisten Organisationen haben hier ihren Sitz, es gibt Synagogen, | |
koschere Restaurants und Geschäfte. | |
Die Kastelenstraat ist eine Aneinanderreihung farbloser Wohnblocks im | |
Herzen des Viertels. Hier und da wird sie von einer Ladenzeile | |
unterbrochen, wo kurz vor Beginn des Schabbat reger Betrieb herrscht. Im | |
Delikatessengeschäft „David’s Corner“ gehen die Kunden ein und aus, auch… | |
Restaurant „Meat me kosher“ strömen Menschen hinein, um sich ein Paket für | |
das feierliche Abendessen abzuholen. „Schabbat schalom“, klingt es jedes | |
Mal, bevor sie das Restaurant verlassen. | |
An der Eingangstür hängen Poster mit dem Porträt von Hamas-Geiseln. David | |
Shemesh, der Besitzer, nimmt an einem der Tische Platz. Er ist eine | |
elegante Erscheinung mit dunkelblauem Mantel, schwarzer Kippa und | |
weißgrauem Stoppelbart. Als Sohn einer irakisch-jüdischen Familie in Israel | |
geboren, lebt er seit 43 Jahren in Amsterdam. „Früher im Zentrum, aber nach | |
und nach zog ich immer weiter nach Süden. Es gibt immer weniger Orte in | |
dieser Stadt für Jüd*innen.“ | |
Innerhalb dieser Entwicklung sieht Shemesh, 71, auch die Ereignisse des 7. | |
November. „Ich habe erwartet, dass so etwas in der Zukunft passiert. Aber | |
nicht, dass es so schnell kommt. Am Morgen danach, berichtet er, wurde er | |
um 6 Uhr aus dem Bett geklingelt. „Bekannte aus Israel baten mich weinend | |
am Telefon um Hilfe, weil ihre Angehörigen hier in ihren Hotels festsaßen | |
und sich nicht nach draußen trauten.“ Er setzte sich ins Auto, machte zwei | |
Runden entlang der Hotels, sammelte verängstigte Maccabi-Fans ein und | |
brachte sie zum Flughafen. | |
Durch die Scheibe mit den Porträts der Geiseln fällt der Blick auf die | |
Wohnblocks der Kastelenstraat. In der Nacht nach dem Maccabi-Spiel geriet | |
diese wegen eines Brandanschlags in die Schlagzeilen. Eine palästinensische | |
Flagge, angebracht an einem Balkon im zweiten Stock, wurde nachts in Brand | |
gesteckt, offenbar mit einer selbst gebastelten Fackel vom Bordstein aus. | |
Der Mieter, ein in Marokko geborener Mann, erzählte der Amsterdamer | |
Tageszeitung [5][Het Parool], er fühle sich, als habe er eine Todesdrohung | |
erhalten. Seine Frau traue sich nicht mehr auf die Straße. Die Flagge ist | |
nun verschwunden, nur durch einen schwarzen Rußfleck unterscheidet sich der | |
Balkon von den anderen. Die Familie mit zwei kleinen Kindern will umziehen. | |
Den gleichen Gedanken hat auch David Shemesh. Der 71-jährige überlegt, bald | |
ins Nachbarstädtchen Amstelveen zu ziehen oder gleich zurück nach Israel. | |
„Seit dem 7. Oktober ist mein Umsatz um 40, 45 Prozent gesunken, weil keine | |
israelischen Tourist*innen mehr kommen.“ Drei seiner Kinder leben dort. | |
„Irgendwann muss ich es ohnehin tun“, fasst der Gastronom nüchtern | |
zusammen. „Ich frage mich, ob der richtige Zeitpunkt dafür jetzt gekommen | |
ist.“ | |
21 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ausschreitungen-in-Amsterdam/!6045450 | |
[2] /Wirbel-um-Berichterstattung-in-Amsterdam/!6045521 | |
[3] /Drogenkartelle-in-den-Niederlanden/!6014600 | |
[4] /Hetzjagd-auf-Juden/!6045752 | |
[5] https://www.parool.nl/ | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Ajax Amsterdam | |
Antisemitismus | |
Niederlande | |
GNS | |
Recherchefonds Ausland | |
Fußball | |
Basketball | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Antisemitismus | |
Kolumne Press-Schlag | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sensation im niederländischen Fußball: Triumph der Provinz | |
In den Niederlanden staunt man über den Pokalsieg der Go Ahead Eagles aus | |
Deventer. Im tiefen Osten des Landes kennt der Jubel kaum Grenzen. | |
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs: Die unheimliche Reise eines Basketballklubs | |
Ein irrwitziges Polizeiaufgebot sichert das Euroleague-Spiel von Maccabi | |
Tel Aviv in Berlin. Das Team befindet sich im andauernden Ausnahmezustand. | |
Nach den Ausschreitungen in Amsterdam: Rechtskoalition kann weiter wildern | |
Nach mutmaßlich rassistischen Aussagen von Mitgliedern der extrem rechten | |
Regierung tritt die einzige migrantische Politikerin im Kabinett, Nora | |
Achahbar, als Staatssekretärin zurück. | |
Vermeintliches Pogrom nach Fußballspiel: Mediale Zerrbilder in Amsterdam | |
Bei den Ausschreitungen haben Medien und Politik vorschnell einseitige | |
Deutungen übernommen. Auch israelische Hooligans haben Grenzen | |
überschritten. | |
Angriffe auf israelische Fans: Sie dachten, sie führen zum Fußball | |
Anhänger von Maccabi Tel Aviv wurden durch Amsterdam gejagt. Judenhasser | |
sehen den Sport als ihr Kampffeld. |