# taz.de -- Nach Anschlag bei Moskau: Ein Land im Dunkeln | |
> Blumenberge und stillgelegte Innenstädte: Russland befindet sich nach dem | |
> Terroranschlag in Schockstarre. Szenen der Trauer aus St. Petersburg. | |
Bild: Überall legten die Menschen in Russland, wie hier in St. Petersburg, Blu… | |
ST. PETERSBURG taz | Am Eingang zur U-Bahn-Station Sennaja Ploschtschad in | |
Sankt Petersburg liegen frische Blumen. Ein kalter Wind kräuselt die | |
regennassen Blütenblätter und schwarzen Bänder. Jemand hat eine kleine | |
Ikone hierhergebracht. Ein Mädchen in einem hellen Mantel versucht eine | |
Lampe anzuzünden, aber ihre Hände zittern – entweder vor Kälte oder | |
Aufregung – und scheinen ihr nicht richtig zu gehorchen. Die | |
Streichholzschachtel fällt ihr herunter, sie hebt sie hastig auf und zündet | |
den Docht an. Aber der Wind löscht die Flamme sofort. Sie wischt sich | |
schnell mit der Handfläche über die Wangen und geht weg. | |
Ein älteres Ehepaar kommt mit einem Strauß roter Nelken aus einem nahe | |
gelegenen Blumenladen. Am U-Bahn-Eingang legen die beiden dann noch einen | |
Spielzeugbären auf den Blumen ab und ein Schild mit der Aufschrift „Sankt | |
Petersburg trauert mit dem ganzen Land“. Lange Zeit stehen sie schweigend | |
da und blicken ins Leere. | |
Zuletzt wurden jeweils am 3. April Blumen an diesen Ort in der Nähe der | |
U-Bahn gebracht. [1][Vor sieben Jahren sprengte sich in der Nähe ein | |
Selbstmordattentäter in einem Zug in die Luft]. 17 Menschen starben, rund | |
50 wurden verletzt. Doch an diesem Samstag trauern die Menschen auch [2][um | |
die Opfer des Terroranschlags am Freitagabend auf das Veranstaltungszentrum | |
Crocus City Hall bei Moskau]. Dabei wurden mindestens 137 Menschen | |
getötet. | |
Solche kleinen Gedenkstätten sind jetzt an verschiedenen Orten in Sankt | |
Petersburg entstanden: Menschen bringen Blumen, Süßigkeiten und Spielzeug | |
zu historischen Denkmälern und sogar vor die Nationalbibliothek. [3][Die | |
Plakatwerbung] ist den traurigen Bildern einer brennenden Kerze auf | |
schwarzem Hintergrund gewichen. Überall sind sie zu sehen: in der U-Bahn, | |
über Autobahnen, an Böschungen, in Autowaschanlagen und im Schaufenster | |
eines Blumenladens. | |
## Trauertag am Sonntag | |
In der Stadt sind Theater und Kinos geschlossen, Konzerte wurden abgesagt. | |
Straßenmusiker sind verschwunden. Die Stadt, das Land sind in Dunkelheit | |
versunken. Am Sonntag begeht Russland einen nationalen Trauertag. Gespräche | |
in Chats, sei es mit Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen, drehen | |
sich seit Freitag um ein und dasselbe Thema: Alle schicken sich | |
ununterbrochen Nachrichten zu, ohne genau zu verstehen, warum eigentlich. | |
Doch niemand will mit diesem Albtraum allein sein. Obwohl alle am liebsten | |
schweigen würden, ist es unmöglich, nicht zu sprechen. | |
„Nachts konnte ich mich nicht von den Nachrichten losreißen, bis mir mein | |
Mann mein Handy wegnahm“, schreibt eine Freundin. „Und heute schauen wir | |
die Serie ‚Taxi‘. Da geht es um das schöne Paris, es werden so viele dumme | |
stereotype Witze gemacht. Mir geht es sehr schlecht, aber vielen Menschen | |
geht es noch viel schlechter.“ | |
Eine Szene vor circa einer Woche in der Petersburger U-Bahn: Da sitzt eine | |
Mutter mit ihrem kleinen Sohn, etwa acht Jahre alt. Der Junge hört einer | |
Durchsage zu, in der die Leute aufgefordert werden, auf verdächtige | |
Gegenstände zu achten, die unbeaufsichtigt sind. Eine Standardwarnung, die | |
man seit vielen Jahren in der U-Bahn gesagt bekommt. | |
Der Junge fragt, warum das gefährlich sein könnte. Seine Mutter erklärt | |
ihm, dass sich in einer abgestellten Tasche möglicherweise Sprengstoff | |
befinden könne, versucht ihn aber sofort zu beruhigen: „Terroranschläge gab | |
es schon lange nicht mehr. Wir müssen vorsichtig sein, sollten uns aber | |
nicht zu viele Sorgen machen.“ Die Frau hat, wie wir jetzt leider wissen, | |
falschgelegen. | |
24 Mar 2024 | |
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## AUTOREN | |
Vasili Krasnoperov | |
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