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# taz.de -- Muslime gegen Christen in Nigeria: Der Feind ist mein Hirte
> Muslimische Fulani terrorisieren uns, sagen Christen. Überall sind
> Viehdiebe, sagen Fulani. Wie Nigerias „Middle Belt“ zur Kriegszone wird.
Bild: Hirtenjungen? Terroristen? Fulani-Viehhirten im zentralen Nigeria
JOS/MAKURDI taz | Mal sind es 20, mal 100, manchmal an die 200. Es geht um
Rinder auf der Suche nach Futter im Bundesstaat Plateau im Herzen Nigerias.
Immer dabei sind ein paar Jungs, die dafür sorgen sollen, dass das Vieh
nicht auf die Straße oder über bestellte Felder läuft. Sie schnalzen, wenn
sich ein Tier von der Herde entfernt. Reagiert es nicht, dann schlagen sie
es mit einem Holzstock auf die Flanken.
Kaum einer der jungen Viehhirten aus der Volksgruppe der Fulani ist
volljährig. Dass sie eigentlich in der Schule sein müssten, interessiert
niemanden. Beim Versuch, in der Nähe der Provinzhauptstadt Jos mit einem
von ihnen zu sprechen, schimpft dieser laut los und greift wütend nach dem
Mikrofon.
Die Stimmung in Nigerias „Middle Belt“, dem zentralen Landesteil zwischen
dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen
Süden, ist angespannt wie nie. Immer wieder wird von Massakern berichtet,
für die herumziehende Fulani verantwortlich sein sollen.
Zeitungen schreiben über „Fulani-Terroristen“ und fordern, Fulani-Milizen
zur Terrorgruppe zu erklären, so wie Boko Haram weiter nördlich. Im
Bundesstaat Benue, sagt Gouverneur Samuel Ortom, sollen sie seit
Jahresbeginn für den Tod von knapp 600 Menschen verantwortlich sein.
## „Wir sind doch keine Terroristen“
„Das macht mich alles sehr unglücklich. Wir sind doch keine Terroristen.
Wer bringt unsere Leute um?“, seufzt Suleiman Badembo. Der alte grauhaarige
Mann lebt in einer kleinen Siedlung bei Jos. Es gibt weder Strom noch
fließendes Wasser. Er ist Fulani und Muslim, alle Nachbarn auch. Andauernd
sei in den vergangenen Monaten Vieh gestohlen worden, klagt er.
Auf die Frage, ob die Polizei ermitteln würde, lacht Suleiman Badembo
spöttisch. Vor drei Jahren sei mal jemand verhaftet worden, erzählt er. Er
habe die Hoffnung längst aufgegeben.
Streitigkeiten zwischen bewaffneten Gruppen verschiedenen Ethnien, etwa um
die lokale Vorherrschaft, gibt es im multikulturellen Nigeria immer wieder.
Auch der Konflikt im Middle Belt gehört dazu. Sesshafte Bauern, die
überwiegend Christen sind, klagen über von Rindern zerstörte Felder;
Viehhirten – zumeist muslimische Fulani – über von Bauern zugebaute
Weiderouten. In Nigeria mit etwa 190 Millionen Menschen ist der Kampf um
Nutzfläche groß.
Seit November 2017 ist im Bundesstaat Benue das Umherziehen mit Vieh
verboten. Rinderfarmen sind jetzt Pflicht. Bereits 2014 hatte Nigerias
damaliger Präsident Goodluck Jonathan, ein Christ aus dem Süden,
umgerechnet 500 Millionen Euro zum Bau dieser Farmen zugesagt.
Bis heute ist unklar, wo das Geld ist. Fulani klagen, dass ihnen ohnehin
heute niemand Land verkaufen würde. Außerdem sei das Umherziehen mit den
Tieren für sie als Nomaden Tradition.
## Christen sprechen vom „Dschihad seit 1804“
Aktuell werden die Fulani so stigmatisiert wie keine andere Volksgruppe in
Nigeria. In Gesprächen mit Christen stellt sich die Lage so dar: Die Fulani
setzen den Dschihad fort, den im Jahr 1804 Usman dan Fodio begann, Gründer
des mächtigen Kalifats von Sokoto. Mit Morden in Dörfern, in denen
überwiegend Christen leben, soll der Islam in Richtung Süden ausgebreitet
werden.
Bestätigt sehen sich die Verfechter dieser Thesen dadurch, dass auch aus
Mali über einen Dschihad der Peul – eine andere Bezeichnung für Fulani –
berichtet wird. Sie argumentieren zudem, dass Nigerias Präsident Muhammadu
Buhari dahinterstecken muss – Buhari ist selbst Fulani. Sonst hätte das
Morden doch längst aufgehört.
Tatsächlich gibt es profane Gründe, warum Hirten in der Trockenzeit
Richtung Süden ziehen: Klimawandel, Verknappung von Weideland – und dass
weite Teile Nordostnigerias nicht mehr zugänglich sind, weil dort die
Islamisten von Boko Haram wüten.
Was den Konflikt anheizt, ist die Zirkulation von Kleinwaffen.
Regierungsvertreter gehen von landesweit 350 Millionen aus. Auf einer
parlamentarischen Anhörung hieß es neulich, dass Gewehre und Pistolen auf
250 verschiedenen Routen ins Land kämen – meist über Kamerun und Tschad.
Ein Ursprungsort sei Libyen. Andere Waffen würden im Südosten Nigerias
lokal produziert oder gegen gestohlenes Rohöl getauscht.
Die Terrorgruppe Boko Haram ist ein weiterer Faktor. Sie ist seit Buharis
Wahl zum Präsidenten 2015 zwar deutlich geschwächt, doch Beobachter gehen
davon aus, dass sich einstige Anhänger der Miliz unter die Viehhirten
gemischt haben. Nicht nur Binnenflüchtlinge hätten das Krisengebiet um den
Tschadsee verlassen, sondern auch Terroristen.
Es gebe auch Boko-Haram-Aktivitäten, die vordergründig nach dem Konflikt
zwischen Farmern und Viehhirten aussehen, sagt Chris Ogbonna vom Zentrum
für Dialog, Versöhnung und Frieden (DREP) in Jos. „Es gab Entführungsfälle
und Lösegeldforderungen, Angriffe auf ganze Dörfer sowie Viehdiebstahl.
Damit finanziert sich Boko Haram teilweise.“
Ogbonna, der im Nordosten wie im Middle Belt unterwegs ist, hält es deshalb
für gut möglich, dass die Miliz aus dem Fulani-Konflikt Nutzen zieht. Dafür
seien lokale Kollaborateure notwendig. „Und die kann es sowohl unter den
Farmern als auch den Viehhirten geben.“
## Wer Kühe verliert, verliert seinen Besitz
Am Stadtrand von Jos zählt der alte Fulani Suleiman Badembo genau auf, wie
viele Kühe die Fulani rund um Jos in den vergangenen Wochen verloren haben.
Er nennt mehrere Dörfer und Landkreise. Einmal waren es 200 Tiere, anderswo
gleich 500. Natürlich sind da die Hirten bewaffnet, wird daraus deutlich.
Über die Nomaden wird gern gespottet, dass ihnen Kühe wichtiger seien als
Menschen, aber wer eine Herde verliert, verliert den Großteil seines
Besitzes. Vieh funktioniert wie ein Sparbuch.
Zumindest in einem Fall sollen sich auch Sicherheitskräfte am Abschlachten
gestohlener Tiere beteiligt haben. Schon die Vorstellung jagt dem alten
Badembo einen Schauer über den Rücken. Sie hat aber auch das Potenzial, den
Konflikt weiter zu schüren.
Zwar ist mit Buhari ein Fulani Staatspräsident, aber wie Badembo fühlen
sich viele Fulani von der Regierung im Stich gelassen. Die nationale
Kommission für nomadische Bildung geht davon aus, dass landesweit 3,3
Millionen Kinder im Schulalter Nomaden sind. Aber nur 578.374 werden
unterrichtet. In Benue sollen aufgrund der Gewalt 12 der 24 Schulen für
Nomaden geschlossen worden sein.
Das Gefühl von Ungleichbehandlung kann Gewalt und Radikalisierung
provozieren. Es wäre nicht das erste Mal in Nigeria. Auch Boko Haram war
nie bloß eine religiös motivierte Bewegung. Gründer Mohammed Yusuf hatte ab
2002 auch Zulauf, weil er in einer marginalisierten Region enttäuschte
junge Männer ansprach.
Chris Ogbonna ist sich sicher: Im aktuellen Konflikt sind Farmer wie
Viehhirten die Verlierer. Zertrampelte Äcker nutzen ebenso wenig wie
geschlachtete Kühe. Die Profiteure des neuen Kriegs sitzen anderswo.
Schon als 2013 in drei Bundesstaaten im Nordosten wegen der Ausbreitung von
Boko Haram der Notstand ausgerufen wurde, ging Nigerias Verteidigungsetat
sprunghaft in die Höhe. Milliarden US-Dollar wurden veruntreut. Der
damalige nationale Sicherheitsberater Sambo Dasuki allein soll fiktive
Verträge über Waffenlieferungen in Höhe von 2 Milliarden US-Dollar
abgeschlossen haben.
In Nigeria stehen außerdem Wahlen an. Die Sicherheit ist dabei von
zentraler Bedeutung: Buhari gewann 2015 die Wahlen mit dem Versprechen,
Boko Haram zu besiegen. Auch jetzt versprechen Politiker Schutz für den
Fall ihres Wahlsiegs.
Gideon Inyom, der in Benue für den Senat kandidieren will, hat das bereits
entdeckt. „Es ist kein Konflikt zwischen Farmern und Viehhirten. Es sind
Angriffe der Fulani-Terroristen auf Farmer. Deren Ziel ist es, das Land der
Farmer zu übernehmen. Ich bin selbst in der Bewegung gegen die
Fulani-Besatzung.“
Es ist klar, aus welchem Lager der IT-Experte seine Stimmen holen will.
10 Jun 2018
## AUTOREN
Katrin Gänsler
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