| # taz.de -- Misstrauensvotum in Griechenland: Vertuschen und verschleiern | |
| > In Zusammenhang mit einem Zugunglück sieht sich die konservative | |
| > Regierung mit einem Misstrauensvotum konfrontiert. Dieses dürfte | |
| > scheitern. | |
| Bild: Trauer und Gedenken am Zaun der Unglücksstelle | |
| Athen taz | Griechenlands konservativer Regierung unter Kyriakos Mitsotakis | |
| steht ein neues Misstrauensvotum bevor. Die Initiative hatte Nikos | |
| Androulakis, Chef der ehemals omnipotenten sozialdemokratischen Pasok | |
| ergriffen. Sie hat aktuell 32 Abgeordnete und ist die drittstärkste | |
| politische Kraft im 300 Sitze umfassenden Athener Parlament. | |
| Den am Dienstagnachmittag eingereichten Misstrauensantrag unterzeichneten | |
| zudem die Abgeordneten der führenden Athener Oppositionspartei Syriza (36 | |
| Sitze), deren jüngste Abspaltung „Neue Linke“ (11 Sitze) sowie der | |
| linkskonservative „Kurs der Freiheit“ (6 Sitze). Ferner werden die übrigen | |
| vier Oppositionsparteien – neben der Kommunistischen Partei noch die drei | |
| Rechtsparteien „Griechische Lösung“, „Der Sieg“ sowie „Die Spartaner… | |
| Regierung Mitsotakis ihr Misstrauen aussprechen. | |
| Doch das wird nicht reichen. Denn schon jetzt ist klar: die 158 | |
| Abgeordneten der konservativen Nea Dimokratia (ND) werden Regierungschef | |
| Mitsotakis bei der Abstimmung in der Nacht zu Freitag abermals nicht die | |
| Gefolgschaft kündigen. Im Gegenteil: das Misstrauensvotum wird den | |
| Zusammenhalt in der ND vor den Europawahlen am 9. Juni eher festigen. | |
| Dabei sind die gegen die Regierung Mitsotakis neu erhobenen Vorwürfe | |
| heftig. Anlass für [1][das Misstrauensvotum] ist eine neue Episode in der | |
| nicht nur strafrechtlich relevanten Aufarbeitung des verheerenden | |
| Zugunglücks im zentralgriechischen Tempital am 28. Februar 2023. | |
| ## Frontaler Zusammenstoß | |
| [2][Bei dem schwersten Bahnunglück in der Geschichte Griechenlands waren | |
| ein Intercity und ein Güterzug frontal zusammengestoßen], nachdem sie | |
| bereits 19 Minuten lang auf demselben Gleis gefahren waren. 57 meist junge | |
| Menschen wurden getötet, viele weitere zum Teil schwer verletzt. | |
| Die angesehene Athener Sonntagszeitung To Vima hatte am Sonntag berichtet, | |
| dass unmittelbar nach der Zugkatastrophe an regierungsnahe Medien lancierte | |
| und somit an die Öffentlichkeit gelangte Aufzeichnungen von Gesprächen | |
| zwischen Bahnmitarbeitern am Tag des Unglücks manipuliert gewesen seien. | |
| Dadurch sollte der Eindruck erweckt werden, dass das Unglück allein durch | |
| menschliches Versagen verursacht worden sei. | |
| Konkret: In einer der unmittelbar nach dem Unglück veröffentlichten und nun | |
| umstrittenen Aufzeichnungen erteilt der Stationsvorsteher einem nicht | |
| namentlich genannten Lokführer die Freigabe für die Nutzung eines Gleises. | |
| Wie To Vima nun berichtete, sprach der Stationsvorsteher jedoch mit dem | |
| Fahrer eines früheren Zuges und nicht jenes Zuges, der dann verunglückte. | |
| Um dies zu vertuschen, sei der Name des Lokführers absichtlich entfernt | |
| worden. Wer die mutmaßliche Manipulation vornahm, ist unklar. Laut To Vima | |
| könnten jedoch Unbefugte Zugriff auf Beweismaterial bekommen haben, das nur | |
| den Ermittlern zur Verfügung stehen darf. Doch wer sind die Unbefugten? | |
| ## Schwere Versäumnisse | |
| Pikanterweise hatte Mitsotakis höchstpersönlich in einer Fernsehansprache | |
| zeitnah zu der Veröffentlichung des offenbar manipulierten Dialogs gesagt, | |
| „alles“ deute auf menschliches Versagen als Unglücksursache hin. Dies gibt | |
| Kritikern Nahrung, dass dieses schnell präsentierte Narrativ der Regierung | |
| nur dazu dienen soll, ihre schweren Versäumnisse bis zum Unglückstag am 28. | |
| Februar 2023 zu negieren. | |
| Was womöglich noch schwerer wiegt, ist das Verwischen der Spuren sowie die | |
| Vertuschung im großen Stil nach dem 28. Februar 2023 – unter der Ägide der | |
| Regierung. Der Umstand, dass am 4. März 2023 der Unfallort per Verfügung | |
| unrechtmäßig verändert wurde, indem zunächst die Waggons der beiden Züge | |
| entfernt, das Gelände geräumt, die Erde ausgehoben und mit Lastwagen auf | |
| ein Privatgrundstück gebracht sowie der Unfallort zubetoniert wurde, | |
| verstärkt nicht nur die Kritik der Opposition. Sie hat bei den Angehörigen | |
| der Opfer pures Entsetzen ausgelöst. | |
| Ihre Empörung wird durch neueste Entdeckungen durch von ihnen privat | |
| beaufragte Experten befeuert. Diese haben hochexplosive Chemikalien am | |
| Unfallort feststellen können, die offenbar illegal im Güterzug | |
| transportiert wurden. | |
| Dies könnte eine Erklärung für den tragischen Tod vieler | |
| Intercity-Passagiere sein, die nach dubiosen Explosionen bei | |
| Lufttemperaturen von bis zu 1.400 Grad Celsius pulverisiert wurden. Doch | |
| alle Videoaufnahmen über den Güterzug sind gelöscht worden. Der Vorwurf der | |
| Angehörigen lautet: auf Anweisung der Regierung Mitsotakis seien wertvolle | |
| Beweise mutmaßlich zerstört worden. | |
| ## Breite Zustimmung | |
| Das sieht die Athener Opposition auch so. Die Regierung Mitsotakis habe | |
| „keine Wahl, er (Mitsotakis) wird herkommen (ins Parlament), um seine | |
| Handlungen zu rechtfertigen“, betonte der Pasok-Chef Nikos Androulakis am | |
| Dienstag in einer Rede. Androulakis warf dem Regierungschef vor, die | |
| Wahrheit zu verbergen. | |
| Die Angehörigen der Tempi-Opfer gehen einen Schritt weiter. Über die | |
| Petitions-Plattform www.change.org haben sie mit Stand vom Donnerstag um 12 | |
| Uhr MEZ bereits 1.348.113 Unterschriften für eine Verfassungsänderung | |
| gesammelt, um die Immunität von griechischen Ministern in strafrechtlich | |
| relevanten Sachen aufheben zu lassen. Noch nie fand ein Anliegen der | |
| Zivilgesellschaft in Griechenland eine so breite Zustimmung bei der | |
| Bevölkerung. | |
| Fest steht: die Liste der Skandale der Regierung Mitsotakis mit Blick auf | |
| die Aushöhlung des Rechtsstaates wird immer länger. Den Anfang machte ein | |
| im Frühjahr 2022 bekannt gewordener gigantischer Abhörskandal. Dabei sollen | |
| mehr als einhundert Politiker, Wirtschaftsvertreter, Militärangehörige | |
| sowie Medienschaffende vom Griechischen Geheimdienst EYP ausgespäht worden | |
| sein. | |
| Premier Mitsotakis hatte den EYP unter seine direkte Kontrolle gestellt. | |
| Dennoch streitet er bis heute ab, irgendetwas von den Lauschangriffen | |
| gewusst zu haben. An einer Aufklärung hat Mitsotakis offenkundig kein | |
| Interesse. Im Gegenteil: Mitsotakis und Co. blockierten, vertuschten, | |
| verwischten Spuren – zuallererst digitale Spuren. Der Fall bleibt | |
| unaufgeklärt. | |
| ## Klagen und Strafanzeigen | |
| Hohe Wellen schlug zuletzt ein Skandal um den Erwerb von E-Mail-Adressen. | |
| Die ND-Europaabgeordnete Anna-Michele Asimakopoulou musste schließlich | |
| kleinlaut einräumen, vor den anstehenden Europawahlen direkt vom Athener | |
| Innenministerium hunderte E-Mail-Adressen von wahlberechtigten | |
| Auslandsgriechen erhalten zu haben und diese gezielt angeschrieben zu | |
| haben. Unterdessen sind in der Sache wegen des Verstoßes gegen den | |
| Datenschutz mehrere Dutzend Klagen erhoben und Strafanzeigen gestellt | |
| worden. | |
| „Die Führung des Landes kann nicht länger einer Regierung überlassen | |
| werden, die systematisch die Demokratie und ihre Institutionen untergräbt“, | |
| so Pasok-Chef Androulakis. Die Athener Tageszeitung Dimokratia wählte in | |
| ihrer Dienstagsausgabe deutlich drastischere Worte: „Das ist eine | |
| kriminelle Vereinigung“. Direkt neben dem Titel auf Seite eins prangte das | |
| Bild von Premier Mitsotakis. | |
| 28 Mar 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Misstrauensvotum-in-Griechenland/!5911565 | |
| [2] /Toedliches-Unglueck-in-Griechenland/!5919411 | |
| ## AUTOREN | |
| Ferry Batzoglou | |
| ## TAGS | |
| Griechenland | |
| Kyriakos Mitsotakis | |
| Nea Dimokratia | |
| Zugunglück | |
| Misstrauensvotum | |
| Kyriakos Mitsotakis | |
| Schwerpunkt Europawahl | |
| Griechenland | |
| Griechenland | |
| Griechenland | |
| Schwerpunkt Korruption | |
| Schwerpunkt Krise in Griechenland | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Massenproteste in Griechenland: Treten Sie zurück, Herr Mitsotakis! | |
| Premier Kyriakos Mitsotakis soll Ursachen des schweren Zugunglücks im | |
| Tempital von vor zwei Jahren vertuscht haben. Das zeigen Tonaufnahmen. | |
| Datenskandal in Griechenland: E-Mail-Gate zieht weitere Kreise | |
| Die EU-Abgeordnete Asimakopoulou hat ungefragt Wahlwerbung an | |
| Auslandsgriechen verschickt. Die Mailadressen bekam sie vom | |
| Innenministerium. | |
| Journalistenstreik in Griechenland: Redaktionen bleiben leer | |
| Gestiegene Lebenshaltungskosten, schlechte Arbeitsbedingungen: Viele | |
| griechische Journalisten streiken. Doch nicht alle machen mit. | |
| Misstrauensvotum in Griechenland: Mitsotakis kann aufatmen | |
| Die Regierung übersteht ein Misstrauensvotum. Der Hintergrund der | |
| Abstimmung ist ein Zugunglück, zu dem dem es viele offene Fragen gibt. | |
| Wahlen in Griechenland: Klatsche für die Konservativen | |
| Die Regierungspartei ND wird in Griechenland bei den Kommunal- und | |
| Regionalwahlen abgestraft – das Ende der Erfolgsserie des Premiers | |
| Mitsotakis. | |
| Nea Dimokratia auf der Peloponnes: Die Firma Griechenland | |
| Seit den Parlamentswahlen ist das Land fest in der Hand der konservativen | |
| Nea Dimokratia. Die Verflechtungen der Partei mit Unternehmen sind enorm. | |
| Europas einzige Erbdemokratie: Kostis, Kyriakos, Kostas, Kyriakos | |
| In Griechenland ist die Familie Mitsotakis der einflussreichste Clan. Der | |
| Papa ist wie einst der Opa Regierungschef und der Nachwuchs hat gute Jobs. |