# taz.de -- Missbrauchsfall in Lügde: Immer neue Pannen | |
> Weiteres kinderpornografisches Material wurde zufällig entdeckt. Die SPD | |
> erneuert ihre Rücktrittsforderung an Innenminister Herbert Reul. | |
Bild: Wird er gehen? NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) | |
DÜSSELDORF taz | Wie sehr Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul | |
(CDU) wegen der massiven Polizeipannen im wohl schlimmsten Fall von | |
Kindesmissbrauch in der Geschichte des Landes unter Druck steht, ist schon | |
auf dem Landtagsflur zu hören: „Eine Frechheit“ sei, dass die | |
innenpolitischen Sprecher*innen von SPD und Grünen schon vor einer | |
Innenausschuss-Sondersitzung Interviews gäben, fährt der Christdemokrat die | |
Mitarbeiter seines Stabs auf dem Weg zum Sitzungssaal an – bevor er, der | |
Minister, überhaupt geredet habe. | |
Reul weiß, was ihn erwartet. In und nach der Ausschusssitzung erneuerte der | |
Innenexperte der Sozialdemokraten, Hartmut Ganzke, [1][die Forderung nach | |
dem Rücktritt] des 66-Jährigen. Nach einer ganzen [2][Kette von Fehlern der | |
Polizei bei den Ermittlungen] zum tausendfachen sexuellen Kindesmissbrauch | |
auf einem Campingplatz im lippischen Lügde habe Reul längst „das Vertrauen | |
der Bevölkerung verloren“, sei die Glaubwürdigkeit des Ministers | |
„erschüttert“. Endlich „liefern“, also für ein erfolgreiches Ende der | |
Untersuchung sorgen, müsse der CDU-Mann, fordert auch Verena Schäffer, | |
parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. | |
Denn zumindest politisch ist Reul für einen großen Teil des | |
Behördenversagens verantwortlich, das mindestens 40 Kinder und Jugendliche | |
zu Opfern massiver Gewalt gemacht hat. Über Jahre soll der Hauptverdächtige | |
Andreas V. sie zusammen mit einem Komplizen sexuell missbraucht und dabei | |
gefilmt haben. Die Polizei Lippe hatte schon im Jahr 2002 Hinweise, der | |
mutmaßliche Haupttäter könne sich an einem achtjährigen Mädchen vergangen | |
haben. | |
2016 wurde der Mann erneut angezeigt. Dennoch wies das Jugendamt im | |
niedersächsischen Bad Pyrmont dem heute 56-Jährigen noch Anfang 2017 ein | |
sechsjähriges Mädchen als Pflegekind zu – Lügde liegt im Weserbergland an | |
der Landesgrenze. Verhaftet wurde Andreas V. erst im Dezember 2018. | |
Beweise vom Abrissunternehmen gefunden | |
Es folgte eine Reihe weiterer, kaum vorstellbarer Ermittlungsfehler. Im | |
Februar musste Minister Reul einräumen, dass 155 DVDs mit | |
kinderpornografischem Material aus den Räumen der Polizei Lippe | |
verschwunden sind. Zwar übernahm das Polizeipräsidium im ostwestfälischen | |
Bielefeld, zwar schickte Reuls Innenministerium Sondermittler – doch | |
aufgeklärt ist der Verlust der Beweise bis heute nicht. | |
Mitte April zeigte der Abriss der vermüllten Behausung des Dauercampers | |
Andreas V. einmal mehr, wie nachlässig die Ermittler seit Dezember | |
gearbeitet hatten: Weitere Datenträger tauchten auf, die irgendwo zwischen | |
Campingwagen und Holzhütten versteckt waren. Gefunden wurden die vom | |
privaten Abrissunternehmer – Polizisten waren bei der Zerstörung des | |
Tatorts nicht vor Ort. „Zur Räumung des Hambacher Forsts schicken Sie | |
Tausende Polizisten in den Wald – aber zur Sicherung des Tatorts für | |
Kindesmissbrauch in NRW schlechthin ist kein Beamter da“, kritisierte der | |
SPD-Abgeordnete Andreas Bialas, selbst Polizist. | |
Dabei seien zumindest auf einer der beim Abriss „gefundenen CD-ROM | |
kinderpornografische Filme“ gespeichert, musste Reul bei der | |
Innenausschuss-Sondersitzung am Dienstagnachmittag einräumen. Allerdings | |
versuchte der Minister, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu | |
wecken: „Der Abrissunternehmer will elf VHS-Kassetten, zwei CD-ROMS, zwei | |
Disketten, eine Mini-CD gefunden haben“, sagte er. Gerüchte, der | |
Unternehmer aus Bad Pyrmont stehe der rechtsextremen Reichsbürger-Bewegung | |
nahe, wollte Reul aber nicht ausdrücklich bestätigen: „In Niedersachsen | |
wird er nicht als Reichsbürger geführt“, sagte der Minister. | |
Dass ein dem Hauptbeschuldigten Andreas V. gehörender Geräteschuppen vier | |
Monate lang von der Polizei übersehen wurde, erklärte Reul dagegen mit | |
einem „Flatterband“, das zu Beginn der Ermittlungen von der Polizei Lippe | |
„falsch gezogen und dann von niemandem hinterfragt wurde“ – auch hier gab | |
es also jede Möglichkeit, Beweise zu vernichten. | |
Bis heute scheint sich Reul deshalb nicht sicher, ob die mittlerweile auf | |
79 Beamte aufgestockte Ermittlungskommission „Eichwald“ alle Beweise | |
gesichert hat. In Lügde werden in den kommenden Tagen nochmals alle Camper | |
befragt. Offizielle Begründung: Es solle sichergestellt werden, dass sich | |
auch wirklich jedes Opfer den Ermittlern offenbaren kann. | |
1 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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