# taz.de -- Meinungsfreiheit an Universitäten: Der Feind in deinem Hörsaal | |
> Professor*innen haben angeblich Angst vor Studierenden. Diese mediale | |
> Inszenierung übersieht die tatsächliche Gefahr für die Meinungsfreiheit. | |
Bild: Ungefähr so stellt sich „Die Welt“ linke Studis vor | |
Die Bildsprache kommt direkt aus den Tiefen des Kalten Krieges. Grobe | |
Zeichnungen vermummter Gestalten, die den Katheder stürmen und dem | |
Lehrenden den Mund zuhalten. Marodierende Mengen mit Spruchbändern und Hass | |
im Blick. [1][So stellt sich die Welt die Situation] an deutschen | |
Universitäten vor. [2][Von FAZ] bis [3][taz wird lamentie]rt über die | |
unverständigen und unverschämten Student*innen, die zu allem Überdruss noch | |
auf einem Sternchen in ihrer Funktionsbeschreibung bestehen. Vermengt wird | |
das nicht zuletzt bei Spiegel und der Süddeutschen mit der eigenartig | |
blöden Frage danach, was „man“ denn heutzutage überhaupt noch sagen dürf… | |
Die Antwort darauf ist leicht. Man darf allerhand. Sich als Faschist | |
artikulieren darf man zum Beispiel und dafür gemeinsam mit | |
Gesinnungsgleichen zur Belohnung gar ganz ordentliche Diäten einstreichen. | |
[4][Dafür darf man allerdings auch gerichtsfest als Faschist bezeichnet | |
werden]. Um die Meinungsfreiheit scheint es also insgesamt recht gut | |
bestellt zu sein. Wer das in Abrede stellt, verwechselt das Recht auf freie | |
Meinungsäußerung mit ihrem Gegenteil, nämlich der Freiheit von Widerspruch. | |
Interessanterweise ist genau das der Vorwurf, der Student*innen gemacht | |
wird, die, ohne artig aufzuzeigen, ihre Ansichten zur Welt im Allgemeinen | |
und zu dem hochdotierten Lehrpersonal im Besonderen zur Kenntnis geben. | |
Spätestens seit dem [5][Streit über das Gedicht „Avenidas“ von Eugen | |
Gomringer], das einige Jahre an eine Hauswand an der Berliner Alice Salomon | |
Hochschule geschrieben stand, gilt allerhöchste Alarmstufe in Sachen | |
Diskursfähigkeit der akademischen Jugend. In selbstzufriedener | |
Identitätskonstruktion verharrend, verweigere sie sich der Konfrontation | |
mit anderem als der eigenen Erfahrung und Weltsicht. Die Bewahrung des | |
Guten, Großen und Schönen zeihen sie als Projekt der „alten weißen Männer… | |
– ein Code, der dazu als Rechtfertigung für Übergriffe auf nicht genehmen | |
Lehrstoff und seine Repräsentant*innen diene. | |
Als Beispiele für den Sittenverfall werden im Regelfall [6][ein Watchblog | |
angeführt], das sich mit der Arbeit des namhaften Politikwissenschaftlers | |
Herfried Münkler befasste, sowie die Vandalisierung seiner Bürotür an der | |
Humboldt-Uni zu Berlin, [7][Protestaufrufe gegen die Frankfurter | |
Islamwissenschaftlerin Susanne Schröter] und [8][immer wieder Konflikte des | |
Osteuropahistorikers Jörg Baberowski] mit Student*innen, wiederum an der | |
HU. Neuester Fall lauter, öffentlichkeitswirksamer und viel kritisierter | |
Intervention von studentischer Seite war die wiederholte erhebliche | |
[9][Störung der Vorlesungen des Wirtschaftswissenschaftlers Bernd Lucke] an | |
der Universität Hamburg. | |
## Unbegründete Angst | |
Viel länger ist die Liste der spektakulärsten Fälle nicht, es trennt sie | |
auch mehr, als sie vereint. Eine gewisse Sorge wird Professor*innen dennoch | |
attestiert. Sorge um ihre Meinungsfreiheit, die hier etwas unscharf | |
getrennt übergeht in die nochmals besonders geschützte Freiheit von Lehre | |
und Forschung, als deren Träger*innen praktisch exklusiv die | |
Lehrstuhlinhaber*innen gesehen werden. So wird oft übersehen, dass | |
Meinungsfreiheit nicht erst ab Besoldungsstufe C3 vollumfänglich in | |
Anspruch genommen werden kann. | |
Die Angst vor studentischen Zusammenrottungen mag trotzdem wirklich da | |
sein, begründet aber ist sie kaum. Hochschulen geben sich große Mühe, die | |
Freiheiten ihrer Professor*innen zu verteidigen, mit Worten und | |
[10][bisweilen auch mit der Polizei]. Gut besoldet und häufig auf | |
Lebenszeit berufen, genießen Professor*innen erhebliche Macht in ihrem | |
unmittelbaren beruflichen Umfeld. Der Zugang zu größeren Bühnen als dem | |
eigenen Hörsaal steht ihnen zusätzlich offen. | |
Student*innen, die sich öffentlich in der Debatte zu Wort melden, stehen | |
hingegen noch weit vor dem Beginn einer ernst zu nehmenden Karriere. Da | |
will jedes Wort überlegt sein, gerade in Zeiten von Suchmaschinen, die sich | |
an alles erinnern werden, oder schon allein mit Blick auf die nächste | |
Prüfung. Die Auswahl an Linksradikalen wohlwollenden Lehrstuhlinhaber*innen | |
ist mit der neoliberalen Reform einer im Grunde noch immer feudalen | |
Hochschulstruktur seit Ende der 1990er Jahre nicht größer geworden. Viel | |
Erfolg mit der Promotion. | |
Die Teilnahme an Protestaktionen, bei denen polizeiliches Eingreifen | |
möglich ist, ist nicht weniger riskant. Eine Widerstandsanzeige ist schnell | |
eingefangen. Keine gute Idee für beispielsweise angehende Lehrer*innen. | |
Sind also wirklich Professor*innen unter diesen Umständen die hilflosen, | |
zum Schweigen gebrachten Opfer eines verrohten und keinen Argumenten | |
zugänglichen Mobs? | |
## Die beste aller Welten | |
Vielleicht ist die vornehmste Kaste des Hochschulsystems es einfach nicht | |
mehr gewohnt, Widerspruch zu erfahren. Unter der rot-grünen Bundesregierung | |
nahm schließlich eine Studienreform Fahrt auf, die im Ergebnis eine | |
Zurichtung der Studierendenschaft auf maximale Anpassung und Unterordnung | |
hatte. Kritik findet kaum Platz unter dem Druck auf der Jagd nach den | |
nächsten ECTS-Punkten. Die schweigend über ihre Mitschriften gebeugten | |
Student*innen mögen ein bequemer Schmuck für jeden Seminarraum sein, die so | |
bevorzugt herangezogenen autoritären Charaktere, aus denen sich künftige | |
Eliten formen, sollten aber nicht nur politisch Anlass zur Sorge geben. | |
Wissenschaft, die Angst vor Widerspruch und Kritik hat, statt sich ihrer | |
mit wissenschaftlichen Methoden zu stellen, verharrt im Gestern, statt ins | |
Morgen zu schauen. Nur wer annimmt, dass wir in der besten aller möglichen | |
Welten leben, kann sich damit zufrieden geben. | |
Es ist nun das Privileg der Jugend, besonders empfindlich auf die Zumutung | |
des Lebens und ihre jeweils zeitgenössische Ausgestaltung zu reagieren. | |
Nichts weniger, als sich gegen diese Zumutung zu wehren, sollte man von ihr | |
erwarten. Es kann situativ natürlich verstörend sein, wenn Student*innen | |
die Vorlesung eines Professors verhindern. Wenn der aber, wie Bernd Lucke, | |
der Gründer einer, nach impliziter Aussage ihres jetzigen Vorsitzenden, in | |
ihrer Mitte faschistischen Partei ist, wäre es viel beunruhigender, wenn | |
nicht wenigstens ein paar Menschen [11][ihr Unbehagen deutlich hörbar | |
kundtäten]. | |
Die Wege, auf denen Student*innen, linke zumal, ihren Widerspruch äußern | |
können, sind begrenzt. Seit linke Gruppen die Asten der großen | |
Universitäten dominieren, traktieren deren rechte Gegner*innen die | |
Studierendenschaften mit Klagen wegen des sogenannten politischen Mandats. | |
Das ist der Grund für die stark eingeschränkte Möglichkeit der gewählten | |
Vertreter*innen, sich zu Themen jenseits unmittelbaren Hochschulbezugs zu | |
äußern. Halten sie sich aber an das ihnen zugestandene Fach, die | |
Hochschulpolitik, werden sie in den zuständigen Gremien regelmäßig von der | |
festgeschriebenen Mehrheit der Professor*innen überstimmt. | |
Ein Watchblog? Ein Protestaufruf? Eine gestörte Vorlesung? Eine beschmierte | |
Tür? Das sind die Feinde der Demokratie und der Wissenschaft in den | |
Hörsälen? Wohl kaum. Und gar nicht so selten ist das genaue Gegenteil der | |
Fall. | |
Hochschulen sind schließlich ein zutiefst undemokratischer Ort, dabei | |
getragen und finanziert von einer demokratischen Gesellschaft. Diesen | |
Widerspruch zu bemerken und anzusprechen, scheint immer wieder einem | |
kleinen Teil jeder Generation Student*innen vorbehalten zu sein, der diese | |
Aufgabe mit zum Teil nicht unerheblichen persönlichen Risiken angeht. Dafür | |
gebührt ihm Respekt, statt wohlfeiler Belehrungen aus dem Ohrensessel. Eine | |
Genugtuung immerhin wird man den heute noch auf Krawall gebürsteten | |
Student*innen aber kaum nehmen können. Sie sind diejenigen, die die | |
Geschichte heutiger Konflikte schreiben und deuten werden – wenn sie selber | |
alt sind und vielleicht nicht mehr ganz so weiß und männlich. | |
18 Nov 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.welt.de/politik/deutschland/plus202579176/Meinungsfreiheit-Die-… | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/anzeige-gegen-joerg-baberow… | |
[3] /Bernd-Lucke-an-der-Uni-Hamburg/!5631576 | |
[4] /Faschist-Urteil-zu-AfDler-Hoecke/!5625346 | |
[5] /Neues-Gedicht-an-Berliner-Hochschule/!5532385 | |
[6] /Ein-Watchblog-fuer-den-Professor/!5008109 | |
[7] /Kopftuchkonferenz-an-Uni-Frankfurt/!5590822 | |
[8] /!s=j%25C3%25B6rg+baberowski/ | |
[9] /AfD-Mitbegruender-zurueck-an-der-Uni/!5629543 | |
[10] /Proteste-gegen-Lucke-an-der-Uni-Hamburg/!5637591 | |
[11] /Protest-gegen-Lucke/!5631976 | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
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