# taz.de -- Meinungsforschungsinstitut Civey: Repräsentativ daneben? | |
> Civey wird immer öfter von großen Medien zitiert, obwohl es mit | |
> fragwürdiger Methode arbeitet. Die Konkurrenz schaltet den Presserat ein. | |
Bild: Was denken und was meinen die Menschen? Gar nicht so simpel, das herauszu… | |
Wer sich in diesen Tagen für Umfragezahlen interessiert, kommt an Civey | |
kaum vorbei. Spiegel Online, Süddeutsche Zeitung, Welt, Tagesspiegel, der | |
Fernsehsender Phoenix – viele nutzen die Daten des Berliner Start-ups, das | |
mit einer ganz neuen Methode arbeitet. | |
Einige renommierte Soziologen sehen das kritisch – und die Konkurrenz ist | |
richtig sauer. Die alteingesessenen Institute Forsa, Infas und die | |
Forschungsgruppe Wahlen haben gemeinsam eine Beschwerde beim Presserat | |
eingereicht, exemplarisch wegen einer Civey-Umfrage bei Focus Online. Der | |
Vorwurf: Von der versprochenen „Repräsentativität“ könne keine Rede sein, | |
die Civey-Methode widerspreche wissenschaftlichen Grundsätzen und wer so | |
etwas veröffentliche, der verletze journalistische Sorgfalt. Der Presserat | |
will im Dezember über die Beschwerde entscheiden. | |
Was ist passiert? Anders als bei den alten Umfrageinstituten, wird bei | |
Civey gar nicht erst versucht, eine Zufallsstichprobe aus der Bevölkerung | |
zu ziehen. Der Newcomer arbeitet ausschließlich mit Internet-Umfragen, die | |
er auf den Webseiten seiner „Medienpartner“ (Civey) platziert und bei denen | |
jeder abstimmen kann, wer will. Weil das zur Manipulation geradezu einlädt, | |
werden die Daten nachgewichtet und sollen dann „repräsentativ“ sein. Wie | |
genau dieser Prozess abläuft, ist Geschäftsgeheimnis. Die Resultate kann | |
man nur glauben oder eben nicht. | |
Frank Faulbaum von der Uni Duisburg entscheidet sich für Letzteres: „Nahezu | |
alle Qualitätsstandards werden missachtet, Entscheidungsträger sind gut | |
beraten, sich nicht auf diese Ergebnisse zu stützen“, sagt der Professor | |
und Inhaber des Lehrstuhls für Sozialwissenschaftliche Methoden und | |
Empirische Sozialforschung. Und sein Kollege Jörg Blasius von der Uni Bonn | |
findet diverse mathematische und inhaltliche Fehler auf der | |
Civey-Internetseite und urteilt über die Methode: „Das ist längst nicht | |
repräsentativ.“ Blasius hat das „Handbuch Methoden der empirischen | |
Sozialforschung“ mitherausgegeben. | |
## Civey verteidigt sich | |
Civey, 2015 gegründet, wehrt sich gegen die Kritik. Sein Unternehmen habe | |
„überdurchschnittlich gut bei Wahlumfragen abschneiden“ können und liefere | |
die Daten sogar „in Echtzeit“, so Civey-Chef Gerrit Richter. Viele | |
Medienleute scheinen das zu glauben. „Lassen Sie uns mal auf die Zahlen | |
schauen“, sagt ARD-Moderator Frank Plasberg bei „Hart aber Fair“ und | |
präsentiert eine Civey-Umfrage, als ob es sich um einen „Faktencheck“ | |
handelt. | |
Fakt ist aber, dass die Civey-Zahlen immer wieder extrem von denen der | |
großen Institute abweichen. Am 15. Mai: „Sollten Gündoğan und Özil nach | |
ihrem Treffen mit Präsident Erdoğan weiter für die deutsche | |
Nationalmannschaft spielen?“, fragt Civey für Focus Online und [1][80 | |
Prozent sagen Nein]. Einen Tag später kommt RTL mit einer Forsa-Umfrage: | |
Nur [2][25 Prozent] wollen Özil und Gündoğan von der WM ausschließen. | |
Oder: 77 Prozent sind für „Ankerzentren“, meldet Civey am 5. Mai für | |
[3][Die Welt]. Zwei Tage später misst [4][Infratest] für die ARD mit 54 | |
Prozent zwar auch eine Mehrheit für solche Einrichtungen, aber das sind | |
satte 23 Prozentpunkte weniger. | |
Wenn die Zahlen so weit auseinandergehen, dann veröffentlicht wohl | |
mindestens eines der Institute Quatsch. Niemand kann mit letztgültiger | |
Gewissheit sagen, wer das ist. Ob überhaupt, und wenn ja, welche Umfrage | |
die Realität abbildet. | |
Civey-Chef Richter sieht die widersprüchlichen Ergebnisse entspannter und | |
sagt, schon einen Monat später, im Juni, hätten sich die Zahlen der | |
Institute in Sachen Ankerzentren einander angeglichen. Dem Vorwurf, dass | |
Civey womöglich bei anderen Umfrageinstituten abschreibt, sobald deren | |
Ergebnisse bekannt werden, tritt er vehement entgegen. „Daten von | |
Wettbewerbern fließen nicht ein“, sagt er. | |
## Der Schulz-Effekt | |
Ein Blick auf die „Sonntagsfrage“ aus dem Frühjahr 2017: Als die SPD dank | |
des sogenannten Schulz-Effekts in allen Umfragen von 20 auf 30 Prozent | |
sprang, geschah Verdächtiges: Bis Mitte Januar lag Civey – wie bei der | |
„Sonntagsfrage“ im Gegensatz zu anderen Themen üblich – auf dem | |
Durchschnitt der etablierten Institute. Nachdem am 30. Januar das Institut | |
Insa als erstes bei der SPD-Projektion einen kräftigen Sprung auf über 25 | |
Prozent verkündete, bewegte sich Civey zuerst nur ein bisschen Richtung | |
Norden. Genau wie eine Durchschnittskurve, die träge hinterherhinkt. Als | |
dann Tag für Tag ein Institut nach dem anderen, Forsa, Infratest, Emnid, | |
die SPD-Zahl mehrmals um je fünf Prozentpunkte und mehr nach oben schoben, | |
zog auch der von Civey ermittelte „Spiegel-Online-Wahltrend“ nach, immer | |
allerdings einen Schritt hinterher. Ende Februar sah als Letzter dann auch | |
Civey die SPD bei über 30 Prozent. Seltsam, denn mit der versprochenen | |
„Echtzeitmessung“ hätte Civey eigentlich den Trend anführen müssen. Wenn | |
man Civey-Chef Richter darauf anspricht, redet er vom „statistischen | |
Fehler“, also einer zufälligen Abweichung. | |
Und die Verwirrung geht weiter. Spiegel Online meldet Anfang Juli unter | |
Berufung auf eine „Echtzeit“-Umfrage von Civey in Bayern als Aufmacher: | |
[5][„CSU legt trotz Regierungskrise in der Wählergunst zu.“] Alle anderen | |
Institute sehen das anders, schon einen Tag später veröffentlicht [6][n-tv] | |
eine Umfrage von Forsa, wonach die CSU deutlich verloren hat. Ein paar | |
Wochen später schreibt die Augsburger Allgemeine unter Berufung auf Civey: | |
[7][„Mehrheit der Deutschen ist gegen private Seenotrettung.“] Vier Tage | |
später bringt die Bild am Sonntag eine [8][Emnid-Umfrage] und die | |
Überschrift: „Große Mehrheit der Deutschen unterstützt private | |
Seenotretter.“ | |
Civey oder die Anderen, wer hat recht? Alle können nicht gleichzeitig | |
„repräsentativ“ sein, wenn die Zahlen weit auseinandergehen. | |
In dieser Regelmäßigkeit gab es das unter den alten Instituten bislang | |
nicht. Die haben zwar auch ihre Probleme, allen voran eine rückläufige | |
Teilnahmebereitschaft. Aber immerhin kommen sie zeitgleich auch zu gleichen | |
oder sehr ähnlichen Ergebnissen. Als der WDR mal zwei Wettbewerber auf die | |
Probe stellte und dieselbe Fragestellung in Auftrag gab, sagten bei | |
Infratest 46, bei Forsa 49 Prozent der Befragten, dass es in letzter Zeit | |
„einfach zu viele Umfragen“ gebe. Und als Infratest vor zwei Jahren 35 | |
Prozent Zustimmung für die Cannabis-Legalisierung ermittelte, zählte Emnid | |
fast zeitgleich 34 Prozent. Civey dagegen will kurz zuvor noch 49 Prozent | |
für die Cannabis-Freigabe gemessen haben.Fragt man Civey-Chef Richter, | |
insinuiert er, es könne ja generell auch sein, dass die anderen Institute | |
falsch liegen. | |
## Die Konkurrenz ist wütend | |
Fragt man die anderen Institute, fällt das Urteil über Civey böse aus. | |
Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen, den man aus dem ZDF als | |
sachlichen Statistiker kennt, spricht plötzlich von „Bullshit“ und | |
„Scharlatanerie“, Forsa-Chef Manfred Güllner nennt die Civey-Leute einen | |
„gefährlichen Gaunerhaufen“. | |
Civeys „Medienpartner“ lässt die Kritik kalt: Steffi Dobmeier aus der | |
Online-Chefredaktion der Funke-Zeitungen sagt, ihre Redaktion arbeite „gut | |
und viel“ mit Civey zusammen. Christian Tretbar, Online-Chef beim | |
Tagesspiegel, beurteilt Civey als „zuverlässig“, was aber nicht bedeute, | |
dass es die anderen Institute nicht seien. Von den widersprüchlichen | |
Ergebnissen weiß er nach eigenen Worten nichts. Das könnte eine Erklärung | |
für die große Beliebtheit des Newcomers sein, es gibt aber auch noch eine | |
weitere. „Medienpartner“, die Civey zu Reichweite verhelfen, bezahlen für | |
die „exklusiven“ Umfragedaten deutlich weniger als bei den etablierten | |
Instituten: nämlich keinen Cent. | |
26 Sep 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.focus.de/politik/deutschland/repraesentative-civey-umfrage-fuer… | |
[2] https://www.welt.de/newsticker/sport-news/article176424191/Fussball-RTL-For… | |
[3] https://www.welt.de/politik/deutschland/article176092392/Ankerzentren-Mehr-… | |
[4] https://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschland… | |
[5] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bayern-umfrage-csu-legt-trotz-reg… | |
[6] https://www.n-tv.de/politik/Union-verliert-nach-Asylstreit-AfD-mit-Rekord-a… | |
[7] https://www.augsburger-allgemeine.de/special/bayern-monitor/Fall-Lifeline-M… | |
[8] http://www.faz.net/aktuell/politik/umfrage-grosse-mehrheit-der-deutschen-un… | |
## AUTOREN | |
Michael Höfele | |
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