# taz.de -- #MeToo und der CCC-Kongress #34C3: Chaotischer Computer Club | |
> Hacker_innen kritisierten vor dem Kongress, dass zwei mutmaßlich | |
> übergriffige Männer nicht ausgeladen wurden. Der CCC reagierte planlos. | |
Bild: Nicht alle Hacker sind so bedrohlich, wie sie in Fotos dargestellt werden… | |
LEIPZIG taz | „Wir leben hier Diversität“, sagt der Medienkünstler Tim | |
Pritlove bei der Eröffnung des 34. CCC-Kongresses in Leipzig. Das ist eine | |
überraschende Feststellung für eine Versammlung von Programmierer_innen, | |
die größtenteils weiß und männlich sind – aber tatsächlich gibt sich der | |
Kongress Mühe. Es gibt Unisex-Toiletten, ein Awareness-Team für Opfer von | |
Übergriffen und das Motto ist seit jeher inklusiv: „Alle Kreaturen sind | |
willkommen“. Und es gibt die Ansage – zumindest auf Flyern –, dass | |
„Lebensformen“, die Gewalt, Sexismus oder gruppenbezogene | |
Menschenfeindlichkeit nicht ablehnen, ausdrücklich „nicht willkommen“ sind. | |
Doch um genau diese Frage, wer willkommen und wer nicht willkommen ist, hat | |
sich in diesem Jahr eine Debatte entsponnen: Wer kann aus welchen Gründen | |
ausgeschlossen werden? Am Tag vor dem Beginn des Kongresses kritisierten | |
zwei Programmierer_innen öffentlich, dass zwei mutmaßlich übergriffig | |
gewordene Männer nicht ausgeschlossen worden seien. | |
Eine Programmierer_in, die sich im Netz Thomas Covenant* nennt, [1][meldete | |
auf Twitter], dass ein Mann teilnehmen dürfe, der sie angegriffen und | |
verletzt habe. [2][In einem Blogeintrag] kritisierte Isis Lovecruft, eine | |
Entwicklerin des Anonymitätsprojektes The Onion Router (TOR), dass ein | |
Mann, dem ein sexueller Übergriff vorgeworfen werde, sogar zwei Vorträge | |
halten dürfe. | |
Die Recherchen der taz haben ergeben, dass die Organisator_innen des CCC | |
tatsächlich keinen systematischen Umgang mit den Anschuldigungen hatten. Im | |
ersten Fall reagierten sie erst Monate später und änderten mehrmals ihre | |
Entscheidung. In beiden Fällen wurden die Beschuldigten nicht aktiv um | |
Rückmeldung gebeten. | |
CCC-Sprecherin Constanze Kurz räumte im Gespräch mit der taz die | |
Verspätungen im ersten Fall ein, zeigte sich aber mit beiden Entscheidungen | |
zufrieden. Der taz sagten mehrere Personen, darunter auch einer der | |
Beschuldigten, dass sie sich auf dem CCC-Kongress nicht sicher fühlten oder | |
deshalb gar nicht angereist waren. | |
## Drei Entscheidungen innerhalb weniger Tage | |
Die Debatte zeigt, dass das Tech-Milieu im Allgemeinen und der CCC speziell | |
noch immer nach dem richtigen Umgang mit derartigen Anschuldigungen sucht. | |
Erst 2016 hatte der CCC den ehemaligen TOR-Aktivisten Jacob Appelbaum | |
explizit ausgeladen, dem gewalttätiges und [3][sexuell übergriffiges | |
Verhalten] und sogar eine Vergewaltigung vorgeworfen werden. Appelbaum | |
weist den Vorwurf der Vergewaltigung [4][stets zurück]. Im Jahr 2017 | |
folgten Vorwürfe in den USA gegen zwei prominente Hacker: [5][John „Cap'n | |
Crunch“ Draper] soll gegenüber jungen Männern, insbesondere auch Teenagern, | |
sexuelle Übergriffe begangen haben, während [6][Morgan Marquis-Boire] | |
zahlreiche Frauen vergewaltigt haben soll. Sie wurden von US-Kongressen | |
ausgeschlossen. | |
Auf dem diesjährigen [7][CCC-Kongress kritisierten] [8][Hacker_innen nun], | |
dass das Milieu übergriffiges Verhalten nicht ausreichend ahndet. Nach den | |
Veröffentlichungen von Covenant und Lovecruft stellten drei | |
Programmierer_innen, die eine Navigations-App für das Kongressgebäude | |
geschrieben hatten, [9][aus Protest die Arbeit ein]. | |
In ihren Tweets wirft Thomas Covenant dem finnischen Programmierer Aleksi | |
P.* vor, sie vergangenes Jahr [10][gewürgt zu haben], weshalb sie in der | |
Notaufnahme behandelt werden musste und P. bei der Polizei angezeigt habe. | |
Noch Monate später sei sie wegen der Verletzungen in Behandlung gewesen. Im | |
Sommer habe sie sich an den CCC gewandt, dem Club Krankenhaus- und | |
Polizeidokumente zur Verfügung gestellt und gebeten, dass P. vom Kongress | |
ausgeschlossen werde. | |
Erst zu Weihnachten, als sie bereits für den Aufbau des Kongresses | |
angereist sei, sei ihr mitgeteilt worden, dass er nicht ausgeladen worden | |
sei. Man könne nicht wissen, was zwischen den beiden passiert sei, habe ein | |
CCC-Organisator ihr gesagt. „Wann werden wir genug wissen, um zu sagen, das | |
ist, was wahrscheinlich passiert ist?“ [11][twitterte Covenant]. „Der | |
Krankenhausbericht und Fotos zeigen mehr als genug.“ | |
Zur taz sagte CCC-Sprecherin Constanze Kurz, dass der Club in dem Fall | |
tatsächlich viel zu spät reagiert habe. „Nachdem uns die Anschuldigungen | |
bekannt wurden, haben die dafür zuständigen Teams mit beiden Seiten | |
kommuniziert“, so Kurz. „Sie kamen zu dem Schluss, dass es keinen Grund | |
gibt, [P.] auszuschließen.“ P. selbst schildert das anders. Der taz sagte | |
P., dass er erst Mitte Dezember kontaktiert worden sei, mit der Mitteilung, | |
dass er bei CCC-Veranstaltungen nicht mehr willkommen sei. Erst nach seinem | |
Protest habe der CCC die Entscheidung revidiert und zunächst beide, also P. | |
und Covenant, ausgeschlossen und dann beiden mitgeteilt, dass sie anreisen | |
dürften. Der CCC wollte diese Darstellung aus Datenschutzgründen nicht | |
kommentieren, doch weitere taz-Recherchen bestätigen den Verlauf. | |
Sowohl Thomas Covenant und Aleksi P. schreiben, dass sie sich deshalb nicht | |
mehr sicher fühlten: Covenant [12][berichtete auf Twitter über | |
Panikattacken] und Angst davor, P. über den Weg zu laufen. Zum Schluss der | |
Veranstaltungen bedankte sie sich bei Hackergruppen, die ihr Schutz geboten | |
hätten. P. sagte wiederum der taz, er sei gar nicht erst angereist, weil es | |
im Netz Gewaltandrohungen gegeben habe und er sich vor Selbstjustiz | |
gefürchtet habe. Covenants Vorwürfe kommentierte P. auch auf explizite | |
Nachfrage der taz nicht. | |
## Ein prominentes Outing | |
Im von Isis Lovecruft angesprochenen Fall geht es um den Hacker Mark L.*, | |
der an der Jacob Appelbaum vorgeworfenen Vergewaltigung kurz beteiligt | |
gewesen sein soll. Dieser habe sich zwar vorbildlich am internen | |
Konfliktbearbeitungsprozess von TOR beteiligt, sich allerdings erneut 2017 | |
mit Jacob Appelbaum bei einem Seminar auf Kuba getroffen. Während der CCC | |
Talks zu Belästigung und Übergriffen abgelehnt habe, habe L. gleich zwei | |
Vorträge halten dürfen. | |
CCC-Sprecherin Kurz sagte, dass es keinen Anlass zum Handeln gegeben habe, | |
da dem Mann keine erneuten Übergriffe vorgeworfen werden: „Wir haben TOR | |
angefragt, die sagten, dass die Vorwürfe aus dem Jahr 2016 intern geklärt | |
wurden.“ taz-Recherchen ergaben, dass auch hier der Beschuldigte selbst | |
nicht um Stellungnahme gebeten wurde. Im Verlauf der Debatte [13][outete | |
sich schließlich auch die Frau], die unter dem Pseudonym „River“ Appelbaum | |
und L. bezichtigt hatte: Die Programmiererin Chelsea Komlo schrieb, sie | |
habe L. vergeben, wiederholte jedoch ihren Vorwurf gegen Appelbaum. | |
Zu dem Vorwurf, dass dieses Jahr keine Vorträge zu Belästigung oder | |
sexualisierten Übergriffen stattfanden, heißt es vom CCC, dass nur ein | |
Bruchteil der eingereichten Vorschläge davon handelten und diese aus | |
unterschiedlichen Gründen abgelehnt wurden. „Die meisten Einreichungen und | |
Einladungen des Kongresses betreffen technische Themen“, sagte | |
CCC-Sprecherin Kurz zur taz. „Über das Thema wurde natürlich gesprochen, | |
denn das Weinstein-Jahr ist auch an der Tech-Community nicht einfach | |
vorbeigezogen, aber anhand der Einreichungen hat sich der Bedarf nicht | |
dargestellt.“ | |
Doch das könne sich noch ändern, so Kurz. | |
*Namen sind entweder selbstgewählte oder von der taz vergebene Pseudonyme. | |
Alle bürgerlichen Namen sind der taz bekannt. | |
31 Dec 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/NGC_3572/status/945680642792189954 | |
[2] https://blog.patternsinthevoid.net/the-ccc-men-who-hate-women.html | |
[3] /Netzaktivist-Jacob-Appelbaum/!5328088 | |
[4] /Der-Fall-Jacob-Appelbaum/!5361578 | |
[5] https://www.buzzfeed.com/kevincollier/hacker-hero-is-said-to-have-used-cybe… | |
[6] https://www.theverge.com/2017/11/19/16675704/morgan-marquis-boire-hacker-se… | |
[7] https://youtu.be/MxSYiuIK-7Q?t=37m30s | |
[8] https://youtu.be/WOYklavneZo | |
[9] https://twitter.com/c3nav/status/946453635302555649 | |
[10] https://twitter.com/NGC_3572/status/945680775701254144 | |
[11] https://twitter.com/NGC_3572/status/945681265671524352 | |
[12] https://twitter.com/NGC_3572/status/947262638102401025 | |
[13] https://medium.com/@chelsea.komlo/behind-every-serial-abuser-there-are-man… | |
## AUTOREN | |
Lalon Sander | |
Anna Böcker | |
## TAGS | |
CCC-Kongress | |
34C3 | |
Constanze Kurz | |
Jacob Appelbaum | |
Sexualisierte Gewalt | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Schwerpunkt Chaos Computer Club | |
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten | |
Harvey Weinstein | |
Schwerpunkt #metoo | |
Schwerpunkt Chaos Computer Club | |
Russland | |
Jacob Appelbaum | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Doku über den Chaos Computer Club: Hacker aus dem Weltraum | |
„All Creatures Are Welcome“: Die Hamburgerin Sandra Trostel hat eine | |
Dokumentation über zwei Großveranstaltungen des Chaos Computer Club gemacht | |
– und dabei Hackerprinzipien angewandt. | |
Regisseurin zu #MeToo und Dieter Wedel: „Casting in privaten Hotelzimmern?“ | |
Regisseur Dieter Wedel soll Frauen bedrängt und eine Frau vergewaltigt | |
haben. Die Branche ist zu männlich, sagt Regisseurin Barbara Rohm. | |
Kommentar zur Anti-Sexismus-Initiative: Gemeinsam gegen Grapscher | |
Damit die Erfahrungen benachteiligter Frauen und Trans wichtig werden, | |
musste erst die Betroffenheit privilegierter Frauen Thema werden. | |
Folgen von #MeToo in Hollywood: Neue Koalition gegen Belästigung | |
Über 300 Hollywood-Künstlerinnen wollen der sexuellen Belästigung von | |
Frauen mithilfe der neugegründeten Initiative „Time's Up“ ein Ende | |
bereiten. | |
Zwischenstand beim 34C3: Tschunks und Pimmel | |
Am Samstag geht in Leipzig der Hackerkongress des Chaos Computer Clubs zu | |
Ende. Was bleibt: Er ist ein Hort von Männern, die mal Hilfe bräuchten. | |
CCC-Kongress in Hamburg: Ach, reden wir nicht drüber | |
Auf dem Kongress treffen sich Hackerstars. Nicht dabei: Jacob Appelbaum. | |
Seit den Missbrauchsvorwürfen gegen ihn herrscht Schweigen. | |
Der Fall Jacob Appelbaum: Über Gerechtigkeit | |
Jacob Appelbaum war ein Star der Hackerszene. Dann sagen mehrere Frauen, er | |
habe sie sexuell genötigt. Er verliert Job, Kollegen, Freunde. Zu Recht? |