# taz.de -- Maja Lunde über ihren neuen Roman: „Vieles ist instinktgetrieben… | |
> Die norwegische Schriftstellerin Maja Lunde veröffentlicht in diesen | |
> Tagen ihren neuen Roman „Die Letzten ihrer Art“. Wie blickt sie in die | |
> Zukunft? | |
Bild: Hat mit „Die Geschichte der Bienen“ in Deutschland einen Bestseller g… | |
taz: Frau Lunde, in Ihren ersten beiden Büchern haben Sie verschiedene | |
Familiengeschichten mit der „Geschichte der Bienen“ und der „Geschichte d… | |
Wassers“ verbunden, in ihrem neuesten Roman „Die Letzten ihrer Art“ sind | |
die Przewalski-Pferde das verbindende Element. Warum diese urtümlichen | |
Pferde? | |
Maja Lunde: Ich habe sie zum ersten Mal im Jahr 2015 in den Bergen | |
Frankreichs gesehen und mir ihre Geschichte erzählen lassen. Wie sie 1881 | |
in der Mongolei gefunden, gefangen und in Zoos in Europa gebracht wurden, | |
wie sie fast ausgestorben sind und nur in Tierparks überlebt haben – und | |
wie sie schließlich 1992 in die Mongolei zurückgebracht und ausgewildert | |
wurden. Ich war so fasziniert von diesen Pferden und ihrer Geschichte, ich | |
wusste sofort, dass ich über sie schreiben wollte. | |
Haben Sie mit „Die Letzten ihrer Art“ den Roman zu den | |
[1][Fridays-for-Future-]Demos geschrieben? | |
„Schreiben Sie, wo es brennt“, sagen wir in Norwegen. Ich bin mit einem | |
Poster gegen Atomwaffen über dem Küchentisch aufgewachsen. Meine Familie | |
sprach beim Abendessen regelmäßig über Umweltfragen und den Klimawandel. | |
Als ich älter wurde, ließ meine Sorge um den Planeten nicht nach, ganz im | |
Gegenteil. Ich sehe mich zwar nicht als Aktivistin, aber bei der | |
Umweltthematik brennt es am meisten. Der Klimawandel ist unser größtes | |
Problem, und wir müssen etwas gegen ihn unternehmen. | |
Ihre Romane handeln von hochpolitischen Themen wie Klimawandel und | |
Artensterben, aber Politik kommt kaum vor. In der „Geschichte der Bienen“ | |
versucht am Ende noch eine Politikerin, den Bienen eine Zukunft zu geben. | |
In dem neuen Buch gibt es überhaupt keine Autorität mehr oder koordiniertes | |
menschliches Handeln. Warum nicht? | |
Das war nicht Teil der Geschichte. Wenn ich schreibe, geschieht das | |
intuitiv. Ich bin Roman- und keine Sachbuchautorin. Wenn ich eine | |
politische Partei in die Geschichte eingeführt hätte, wäre es wohl eher ein | |
politisches Manifest geworden als ein Roman. Das wollte ich nicht. | |
Allerdings werde ich von den Lesern oft gefragt, was sie tun können, um den | |
Bienen zu helfen, um den Planeten zu retten, und das macht mich sehr | |
glücklich. Wenn mein Roman ein bisschen dazu beiträgt, die Lage zu | |
verbessern, dann wäre ich dankbar. | |
Glauben Sie, das ist die Zukunft? Jeder kämpft für sich allein? | |
Wie gesagt, das ist ein Roman, es ist Fiktion. Ich habe beschrieben, wie | |
sich die Natur entwickeln kann, wenn wir Klimawandel und Artensterben nicht | |
aufhalten. Es ist ein Szenario, das ich liefere, keine Prognose. | |
Hoffentlich kommt es anders! Wenn ich schreibe, habe ich viele Fragen und | |
wenige Antworten. Es sind vor allem zwei große Fragen, die ich mir in allen | |
drei Büchern stelle, und vielleicht am meisten in meinem neuen Buch: Wie | |
wurde der Mensch zu dem Tier, das die Welt beherrscht? Wie schafft er es, | |
als Spezies alle anderen zu beherrschen? Und die zweite Frage ist: Schaffen | |
wir es, aus unseren Fehlern zu lernen? Können wir unsere Fähigkeiten | |
nutzen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen, für uns und für alle | |
anderen Arten, die auf der Erde leben? | |
Haben Sie Hoffnung? | |
Aus meinen Büchern lassen sich sowohl Optimismus als auch Pessimismus | |
herauslesen, weil auch ich selbst zwischen diesen Polen schwanke. Was mir | |
Hoffnung gibt: Menschen sind Spezialisten in Kommunikation. Zum Beispiel | |
sind wir die einzige Art, die Bücher schreibt. Wir sind extrem gut darin, | |
miteinander zu kommunizieren, Informationen weiterzugeben und zu empfangen. | |
Je mehr wir über Klimawandel und Artensterben reden, je mehr wir unsere | |
Angst herausschreien, wie die Kids es gerade auf den Straßen tun, desto | |
mehr verstehen wir, wie groß unsere Probleme sind. Und wenn wir sie | |
verstanden haben, können wir sie vielleicht auch lösen. | |
Allerdings leiden die Figuren in Ihren Büchern unter ihrer Sprachlosigkeit. | |
Eltern und Kinder, Paare, Fremde, die sich zufällig begegnen – meist fällt | |
es ihnen schwer, ihre Gefühle ausdrücken. | |
Stimmt, in den Familien, die ich beschreibe, gelingt Kommunikation häufig | |
nicht. Ich wollte die Beziehungen erforschen, über die ich schreibe. Die | |
Bücher beginnen nicht mit Antworten auf Zeitfragen oder mit Botschaften, | |
sie beginnen mit den Figuren. Mit ihren Geschichten und ihren Beziehungen | |
geht es los. Wenn ich eine neue Geschichte beginne, fühlt es sich nicht so | |
an, als hätte ich die Wahl – die Beziehungen zwischen meinen Figuren sind | |
immer schon da. Das Thema Eltern/Kind ist für mich eng verbunden mit dem | |
Thema Natur. | |
Warum? | |
Denken Sie an Darwin! Vieles, was wir machen, machen wir für unsere Kinder. | |
Deshalb finde ich das Thema so spannend, weil Familie auf biologischer | |
Liebe beruht, verbunden mit der Natur. Wenn Kinder geboren werden, lieben | |
wir sie instinktiv, und ich finde es spannend zu beschreiben, was das für | |
uns bedeutet. Ich interessiere mich zwar auch für die Beziehungen zwischen | |
Erwachsenen oder Liebenden, aber die Eltern-Kind-Geschichten faszinieren | |
mich am meisten. Wir tun so viel für unsere Kinder, vieles, was wir tun, | |
ist instinktgetrieben – und von dem Wunsch geleitet, dass unsere Kinder | |
sicher sind. Ich glaube, zurzeit übertreiben wir es damit. Viel von dem | |
Zeug, was wir kaufen, kaufen wir, um uns selbst und unsere Kinder | |
abzusichern. Jetzt sind wir aber in einer neuen Situation: Wir müssen | |
aufhören, Dinge zu konsumieren, wenn wir unser Kinder schützen wollen. | |
Zerstören die Menschen in Ihren Büchern die Natur, weil sie unfähig sind, | |
Beziehungen zueinander einzugehen – und zudem unfähig sind, Beziehungen zur | |
Natur zu knüpfen? | |
Nein, so würde ich das nicht sehen. Im zweiten Teil des Quartetts, in „Die | |
Geschichte des Wassers“, ist Signe, eine der Hauptfiguren, in engem Kontakt | |
zur Natur, aber sie ist unfähig, Kontakt zu anderen Menschen aufzunehmen. | |
Alle meine Figuren haben unterschiedliche Zugänge zu anderen Menschen und | |
zur Natur. Ich beschreibe Männer des 19. Jahrhunderts, die Natur als etwas | |
betrachten, das sich nutzen lässt und Menschen dient. Signe hingegen misst | |
Natur einen eigenen Wert bei, genau wie Eva im neuen Buch. | |
Ihr Verlag hat ein Klima-Quartett angekündigt. Nach den Bienen, dem Wasser | |
und den Pferden – wovon wird der letzte Teil der Roman-Serie handeln? | |
Während ich es schrieb, schwirrten in meinem Kopf mehrere andere | |
Geschichten herum. Alle von Menschen, die in der Nähe der Natur leben, | |
viele von ihnen sind von Umweltveränderungen betroffen. Wie Signe aus der | |
„Geschichte des Wassers“, eine alte Frau, die am Fuße eines Wasserfalls in | |
Norwegen aufwuchs. Oder David, ein junger Klimaflüchtling in Südfrankreich, | |
und Nicolai, ein russischer Zoo-Manager. Plötzlich wurde mir klar, dass sie | |
alle Teil derselben Geschichte waren. Als die „Geschichte der Bienen“ fast | |
fertig war, wurde mir klar, dass ich mit dem Thema nicht fertig war. Meine | |
Figuren, meine Geschichten waren alle Teile eines großen Puzzles, und es | |
mussten vier Bücher sein. Ein Quartett. | |
Funktionieren die Bücher denn auch einzeln? | |
Jedes Buch kann separat gelesen werden, aber für Leser, die die Geduld | |
haben, alle vier zu lesen, wird sich hoffentlich ein größeres Bild ergeben. | |
Im letzten Buch werde ich versuchen, alle Geschichten zu verbinden, und die | |
Hauptgeschichte wird 2110 spielen, also 12 Jahre nach der zukünftigen | |
Geschichte im ersten Teil. Und Hauptthema werden Pflanzen sein, Samen und | |
alles, was wächst. | |
16 Oct 2019 | |
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