# taz.de -- Die Erderhitzung und wir: Die neue Kraft der jungen Frauen | |
> Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer sagt, dass wir zwar | |
> von der Erderhitzung wissen, aber nicht an sie „glauben“. Was meint er | |
> damit? | |
Bild: Frau for Future: Klimaaktivistin Luisa Neubauer vor dem Kanzleramt | |
Lassen wir die großartige [1][Greta Thunberg] zunächst kurz in Frieden und | |
reden über etwas wirklich Unangenehmes. | |
Über uns. | |
Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer hat eine spektakulär | |
logische These, was unsere bisherige Unfähigkeit angeht, die immer größer | |
werdende Bedrohung durch die Erderhitzung ernst zu nehmen. Wir glauben es | |
nicht. | |
Doch, doch: Wir wissen es. Aber wir glauben es nicht. | |
Spoiler: Foer redet hier nicht von Donald Trump, der AfD und dem klaren Akt | |
des Leugnens. Er redet von denen, die die Wirklichkeit mit dem Kopf | |
akzeptieren und bei Partys, beim Abendessen oder bei Grünen-Parteitagen | |
gepflegt darüber reden, was mit einer kaum gebremsten Erderhitzung auf uns | |
zukommt: schrumpfende Wirtschaft, soziale Verwerfungen, dramatisches | |
Artensterben, über 100 Millionen Klimaflüchtlinge, brutale Klimakriege, | |
untergehende Millionenstädte und Staaten. Aber in der Wirklichkeit geht | |
auch bei uns alles „normal“ weiter. | |
„Wenn wir die Tatsache, dass wir den Planeten zerstören, zwar akzeptieren, | |
sie aber nicht glauben können, sind wir nicht besser als die, die den | |
menschengemachten Klimawandel ganz verleugnen“, schreibt er in seinem Buch | |
[2][„Wir sind das Klima!“]. Das ist die Begründung für den „Merkel ist | |
schlimmer als Trump“-Gedanken von Klimapolitik-Aktivistin Luisa Neubauer. | |
Die entscheidende Differenz ist nicht rational akzeptieren oder nicht, | |
sondern handeln und nicht handeln. | |
Aber was meint Foer damit, dass wir es wissen und nicht „glauben“? Ich | |
dachte bisher, es geht genau darum: eben nicht nur glauben, sondern | |
wissenschaftliche Fakten zugrunde zu legen. | |
Foer erzählt die Geschichte seiner jüdischen Familie, die in einem | |
polnischen Dorf lebte. Alle wussten, was die Nazis tun würden. Aber nur | |
seine Großmutter packte 1941 ihre Sachen und floh. Der Rest blieb, weil er | |
dachte, das würde schon irgendwie weitergehen. Sie wurden alle ermordet. | |
Warum konnte die Großmutter sich aufraffen und die anderen schafften es | |
nicht? Foer sagt: Sie wusste es nicht nur, sie hatte auch das Gefühl, | |
handeln zu müssen. Die anderen wussten es nur, aber sie glaubten es nicht. | |
Seine Folgerung: Erst wenn das Wissen mit Gefühlen verknüpft wird, wenn wir | |
etwas spüren, werden wir handeln können. | |
## Es ist existenziell | |
Diese dynamisierende Verknüpfung von Wissen und Emotionalität haben | |
womöglich Greta Thunberg und Fridays for Future eingebracht. Es ist eine | |
neue Kraft, die gerade von den jungen Frauen ausgeht, die ihren | |
feministischen Zukunftsanspruch notwendigerweise mit der planetarischen | |
Grundlage verknüpft haben. Sie spüren die Dringlichkeit von ernsthafter | |
Klimapolitik nicht ideologisch oder kulturell, sondern existenziell. Wir | |
spürten das bisher nicht. | |
Aber als ich am 20. September mit den Jungen am Brandenburger Tor streikte | |
und wenn ich mit ihnen spreche, dann spüre ich es für Momente auch. Es | |
könnte sein, dass wir – wie Foer vermutet – diese Emotionalität zur Ratio | |
dazubrauchen, um als Teil einer gesellschaftlichen Bewegung politisch | |
handeln zu können. | |
Und erst mal eine Bundesregierung beauftragen, ernsthafte Klimapolitik und | |
mit Wirtschaft und Gesellschaft sozialökologisch-innovative Marktwirtschaft | |
zu organisieren – mit dem Bewusstsein für die Komplexität und | |
Langwierigkeit dieser Transformation. | |
Das Problem ist, dass Greta Thunberg, Luisa Neubauer, die Kids und gerade | |
die jungen Frauen nicht nur die positiven, sondern auch die negativen | |
Emotionen entzünden. Während der reaktionäre Rand und die Shareholder des | |
alten Wirtschaftens versuchen werden, den wachsenden Mainstream als | |
altlinkes Süppchen zu denunzieren, wollen andere genau dieses Süppchen | |
damit noch mal aufwärmen. Es gibt nur eine Antwort: eine ökoliberale | |
Mehrheit. | |
6 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Greta-Thunberg/!t5568465 | |
[2] https://www.zeit.de/2019/37/wir-sind-das-klima-jonathan-safran-foer-kritik | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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