# taz.de -- Luchsexperte zu Ansiedlungsprojekt: „Der Luchs sucht den Wald“ | |
> Vor rund 200 Jahren wurde im Harz der letzte Luchs geschossen. Heute | |
> locken Luchse Touristen dorthin, sagt der Forstwissenschaftler Ole | |
> Anders. | |
Bild: Luchsmutter mit zwei Jungtieren. Der Luchs ist die größte europäische … | |
taz: Herr Anders, vor 20 Jahren wurden Luchse im Harz ausgewildert. Wie hat | |
sich die Population entwickelt? | |
Ole Anders: Der gesamte Harz ist inzwischen von Luchsen besiedelt. | |
Geschätzt sind es etwa 90 Tiere. 55 von ihnen sind selbstständige Luchse, | |
die nicht mehr hinter ihrer Mutter herlaufen, und ungefähr 35 Jungtiere. | |
Im Bayerischen Wald werden Luchse trotz des strengen Verbots gejagt und die | |
Kadaver auch schon einmal Umweltschützern vor die Tür gelegt. Akzeptieren | |
die Menschen im Harz die Luchse dort? | |
Anfangs gab es schon Befürchtungen, da galt der Luchs als Raubtier. Wir | |
bekamen mal einen Brief, in dem stand, wir kommen jetzt nicht mehr in den | |
Harz, das ist uns zu gefährlich. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht. | |
Wir haben viel Öffentlichkeitsarbeit gemacht und kamen uns vor wie | |
Wanderprediger, die von Veranstaltung zu Veranstaltung ziehen. Heute können | |
wir sagen: Die Luchse finden eine sehr hohe Akzeptanz. Der Luchs ist | |
mittlerweile eine Art Maskottchen für die Region. Er steht in | |
Schaufenstern, Firmen machen mit ihm Werbung. Heute kommen Menschen in den | |
Harz, weil es hier Luchse gibt. | |
Es gab nie Probleme? | |
Doch. Der Luchs frisst nun mal Rehe, das wird sich auch nie ändern. Und | |
gelegentlich frisst er auch ein Schaf, da steckt ein gewisses | |
Konfliktpotenzial drin. | |
Kann man Luchse in freier Wildbahn treffen? | |
Möglich ist es, aber man kann es nicht planen. | |
Haben Sie schon einen gesehen? | |
Schon viele, aber meistens in Situationen, die konstruiert waren. Aus | |
reinem Zufall heraus hat es zwölf Jahre gedauert, bis ich einen gesehen | |
habe. | |
Wie viele Luchse haben den Harz inzwischen verlassen? | |
Das ist in Zahlen kaum zu bemessen. Wir können ja nur die zählen, die | |
irgendwo angekommen sind. Andere werden unterwegs überfahren oder verenden | |
irgendwo im Wald, die tauchen in keiner Statistik mehr auf. Es gibt | |
inzwischen Luchsnachweise in den meisten Bundesländern, und in mehreren | |
Gebieten, etwa im Solling und im Westerhöfer Wald in Niedersachsen, eine | |
nachgewiesene Reproduktion. Es gab aber auch Rückschläge. 2010 gab es im | |
Kaufunger Wald in Hessen Luchse mit mehreren reproduzierenden Tieren, und | |
dann ist der Bestand innerhalb kurzer Zeit auf null zusammengebrochen. | |
Wie werden Luchse nachgewiesen? | |
Durch Fotofallen natürlich und durch Zufallsbeobachtungen, Sichtungen. Wir | |
sammeln alles, was von Spaziergängern, Förstern oder Jägern gemeldet wird. | |
Dann können wir mit unseren Kameras in das Gebiet gehen. In den vergangenen | |
Jahren hat sich das genetische Monitoring sehr stark etabliert. Das heißt, | |
dass wir Kot oder Tierhaare untersuchen lassen. | |
Der Umweltverband BUND hat kürzlich festgestellt, dass es drei größere | |
Kernvorkommen – Harz, Bayerischer Wald, Pfälzerwald – gibt, aber keine | |
Vernetzung. Werden die Populationen genetisch geschwächt, wenn sie sich | |
nicht vernetzen? | |
Die Population im Pfälzerwald ist noch sehr jung und wird sich erst mal | |
nicht ausbreiten. Dasselbe gilt [1][wegen der illegalen Nachstellungen auch | |
für die Luchse im Bayerischen Wald]. Die Harzer sind derzeit die | |
Aktivposten. Wir haben hier die höchste genetische Diversität aller wieder | |
angesiedelten Luchspopulationen in Europa. Es gibt also keine akute | |
Gefahr. Aber klar, mit jeder Generation nimmt die Diversität ab. Und | |
deshalb brauchen wir auf lange Sicht die Vernetzung, nur dann können wir | |
diese Vorkommen sichern. | |
Wie kann sie geschehen? | |
Die Tiere müssen wandern. Einige tun das. Einzelne Männchen aus dem Harz | |
haben auch schon mal 300 Kilometer zurückgelegt, da müssen wir eine | |
Regelmäßigkeit erreichen, zum Beispiel, in dem sich Luchse zwischen den | |
drei genannten Luchsgebieten ansiedeln. Das würde aber großen, auch | |
politischen Vorlauf benötigen und erscheint als kurzfristige Lösung deshalb | |
fraglich. Die andere Möglichkeit ist, dass die Tiere das auf ihren eigenen | |
Pfoten realisieren, [2][dass sie durch Korridore über die Bundesstraßen und | |
Autobahnen geleitet werden] und auch einen Waldverbund haben. Der Luchs | |
braucht und sucht den Wald. Wenn er aus dem Wald heraustritt, dann guckt er | |
erst mal, wo die nächsten Bäume sind. Da wäre ein dickes Brett zu bohren in | |
unserer intensiv genutzten Landschaft. Aber wir müssen versuchen, es zu | |
bohren. | |
Im Harz gibt es bislang keine Wölfe. Wenn welche kämen, würden die sich mit | |
den Luchsen vertragen? | |
Es gibt weltweit Regionen, in denen beide Tierarten vorkommen. Insofern | |
hätte ich da keine Bedenken. Aber wenn der Wolf hier wäre, hätten wir eine | |
andere, eine hoch emotionale und teils irrationale Diskussion. Ich habe | |
überhaupt nichts gegen Wölfe, ich bin nur nicht scharf auf so eine | |
Auseinandersetzung. | |
Sie begleiten und beobachten die Luchse seit dem Jahr 2000. Konnten Sie | |
sich damals vorstellen, dass das 20 Jahre Ihr berufliches Thema bleibt? | |
Für mich ist das nach wie vor der persönliche Sechser im Lotto. Ja, ich | |
hätte mir damals vorstellen können, dass ich das 20 Jahre mache, aber | |
nicht, dass ich das 20 Jahre lang machen darf. | |
19 Jun 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Toter-Luchs-im-Bayerischen-Wald/!5670003&s=Luchs/ | |
[2] /Deutscher-Naturschutztag/!5336374&s=Luchs+und+Otter/ | |
## AUTOREN | |
Reimar Paul | |
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