| # taz.de -- Liz Truss tritt zurück: Premierministerin für sechs Wochen | |
| > Die britische Regierungschefin zieht die Konsequenzen. Bis Freitag | |
| > kommender Woche wollen die Tories über ihre Nachfolge bestimmen. | |
| Bild: Ihre Tage scheinen gezählt: Die britische Premierministerin Liz Truss st… | |
| London taz | Die britische Premierministerin Liz Truss hat angesichts einer | |
| fatalen Regierungsbilanz [1][ihren Rücktritt angekündigt]. Im dunklen Kleid | |
| und vor der berühmten Tür von 10 Downing Street erklärte sie am Donnerstag | |
| ihren Schritt – am selben Rednerpult, an dem sie vor nur sechs Wochen ihr | |
| Amt angetreten hatte. Damit geht das britische Regierungsdrama, das sich in | |
| den vergangenen Tagen entschieden zugespitzt hatte, in die nächste Runde. | |
| Bereits am Dienstagabend hatte Truss sich mit der mittlerweile | |
| zurückgetretenen Innenministerin Suella Braverman über die | |
| Einwanderungspolitik zerstritten. Am Mittwoch war es dann zu hässlichen | |
| Szenen vor den Wahlkammern des Unterhauses gekommen. Politische Beobachter | |
| hatten seitdem stündlich mit dem Rücktritt der angeschlagenen | |
| Premierministerin gerechnet. | |
| Sie sei Premierministerin zu Zeiten großer wirtschaftlicher und | |
| internationaler Instabilität geworden, sagte Truss in einer kurzfristig | |
| anberaumten Ansprache in der Downing Street. In Zeiten, in welchen sich | |
| Familien Sorgen um die Kosten ihrer Haushaltsrechnungen machten und | |
| Wladimir Putins illegaler Krieg in der Ukraine die Sicherheit des gesamten | |
| Kontinents bedrohe. Mit einem Mandat ihrer Partei habe sie den Zustand des | |
| durch niedriges Wachstum geschwächten Landes umkrempeln wollen. Sie habe | |
| ihre Versprechen bezüglich der Energiekosten eingehalten. | |
| [2][Truss sagte, sie habe die Vision eines Landes] mit niedrigen Steuern | |
| und großem Wachstum gepflegt, in welchem man sich die Freiheiten des | |
| Brexits zum Vorteil machen würde. Dann sagte sie: „Ich erkenne hiermit an, | |
| dass ich das Mandat, für das ich gewählt wurde, nicht erfüllen kann.“ Sie | |
| habe deswegen König Charles III. mitgeteilt, dass sie zurücktreten werde. | |
| [3][Die Partei werde bis Ende kommender Woche einen neuen Parteiführer | |
| wählen]. Bis diese Person antrete, werde sie die Regierungsgeschäfte weiter | |
| leiten. | |
| ## Boris Johnsons Name kursiert als Nachfolger | |
| Unter den potenziellen neuen Kandidaten sind Figuren aus dem [4][Wahlkampf | |
| um den Tory-Vorsitz] aus dem Sommer: Tom Tugendhat, Kemi Badenoch und | |
| Suella Braverman. Spekuliert wird außerdem darüber, ob Rishi Sunak, der im | |
| Sommer gegen Truss unterlegen war, es nochmal versucht. Auch der Name Boris | |
| Johnson kursierte wieder. Der Ex-Premier macht gerade Urlaub in der | |
| Karibik. | |
| Truss hatte ihren Rücktritt nach einem langen Gespräch mit Sir Graham Brady | |
| erklärt, dem Vorsitzenden des 1922-Hinterbänkler:innenkomitees. Die Gruppe | |
| hat die Macht, Vertrauensabstimmungen über den konservativen Parteichef und | |
| damit über den aktuellen Premierminister anzusetzen. | |
| Brady hatte über die vergangenen Tage zahlreiche Gesuche von Abgeordneten | |
| erhalten, die Truss' Rücktritt forderten. Wie viele das insgesamt taten, | |
| ist nicht bekannt, nur 15 Tory-Abgeordnete machten ihren Ärger über die | |
| Premierministerin öffentlich. Das Komitee hatte am Donnerstag beschlossen, | |
| sollten mehr als 50 Prozent der Abgeordneten Truss’ Rücktritt fordern, sie | |
| dieser Forderung nachgehen würden. Brady sagte nach Truss’ Rücktritt, dass | |
| die Partei zwei Kandidat:innen zulassen werde, von denen dann einer | |
| übrig bleibe. Parteimitglieder würden konsultiert werden, was womöglich in | |
| Form eines Verfahrens online geschehen könnte. | |
| Der Rücktritt folgte der Wirtschaftskrise, die Truss und ihr damaliger | |
| Finanzminister mit ihrem „Mini-Budget“ am 28. September ausgelöst hatten. | |
| Dies hatte zu einem Fall des Pfunds geführt, den Rentenfonds gefährdet und | |
| höhere Hypothekenzinssätze herbeigeführt. Die britische Zentralbank musste | |
| regulierend einschreiten. Als Folge [5][entließ Truss ihren Finanzminister | |
| Kwasi Kwarteng] am 14. Oktober und ernannte Jeremy Hunt zum Finanzminister. | |
| Dieser kündigte die Rücknahme des Finanzplanes an, den Kwarteng gemeinsam | |
| mit Truss geschnürt hatte. Viele fragten, weshalb Truss glaubte, diesen | |
| Schlingerkurs politisch überleben zu können. Noch am Mittwoch behauptete | |
| sie sich tapfer in der wöchentlichen Fragestunde gegen Labourchef Keir | |
| Starmer mit den Worten: „Ich bin eine Kämpferin, keine Versagerin!“ Doch | |
| Stunden später änderte sich alles. | |
| ## Unerwarteter Rücktritt der Innenministerin | |
| Als William Wragg, ein konservativer Hinterbänkler, nach der Fragestunde am | |
| Mittwoch ankündigte, dass er aufgrund der von Truss verursachten | |
| Wirtschaftskrise dem 1922-Komitee sein Misstrauen gegenüber Liz Truss | |
| erklärt habe, schien alles nicht weiter dramatisch. Kurz darauf wurde aber | |
| bekannt, dass Innenministerin Suella Braverman unerwartet zurückgetreten | |
| war. Braverman hatte Anfang Oktober angegeben, sie wolle die Einwanderung | |
| nach Großbritannien auf wenige Zehntausend Menschen reduzieren, ein | |
| Gelübde, das sich unter konservativen Vorgängerregierungen bereits als | |
| nicht umsetzbar erwiesen hatte. Truss soll mehr Einwanderung für | |
| wirtschaftliches Wachstum gefordert haben. | |
| Während Truss den ehemaligen Verkehrsminister Grant Shapps als neuen | |
| Innenminister ernannte – Truss hatte ihn zum Beginn ihrer Regierung | |
| absichtlich übersehen, weil Shapps sich im Wahlkampf um die Parteiführung | |
| für Rishi Sunak eingesetzt hatte – lief im Unterhaus eine Debatte zu | |
| Fracking. Drei konservative Hinterbänkler:innen gaben dabei an, dass | |
| sie nach ihrem Gewissen und im Interesse ihrer Wahlgemeinden stimmen | |
| würden, selbst wenn dies ihren Ausschluss aus der Fraktion bedeuten würde. | |
| Plötzlich wurde dann, so weit man zu diesem Zeitpunkt verstand, angeblich | |
| der Fraktionszwang gelöst, zunächst durch eine Aussage des Energieministers | |
| Jacob Rees-Mogg, doch dann auch „offiziell“ aus der Downing Street. Kurz | |
| vor der eigentlichen Abstimmung dann ein Tweet des Labour-Schattenministers | |
| für Schottland: „Noch nie habe ich Szenen wie diese am Eingang der | |
| Wahlzonen im Unterhaus erlebt. Die Torys führen offenen Kampf. Drängeleien | |
| und (Energieminister) Rees Mogg schreit seine Kolleg:innen an. Die | |
| Verantwortlichen für den Fraktionszwang brüllen Torys an. Sie (die Torys) | |
| sind Geschichte. Ruft Neuwahlen aus!“ | |
| Kurz nach dieser Meldung gewann die Regierung die Abstimmung mit 326 zu 230 | |
| Stimmen. Nachdem das Ergebnis verkündet wurde, meldete sich der | |
| Labourabgeordnete Chris Bryant zu Wort und forderte vom Vorsitzenden des | |
| Unterhauses eine Untersuchung der Abstimmung. Man habe Einschüchterung, | |
| Mobbing und Gewaltanwendung beobachtet. Alexander Stafford, einer der | |
| Abgeordneten, der angeblich zur Wahl gezerrt worden sei, dementierte | |
| später, dass man ihn zur Abstimmung gezwungen habe. Es habe sich lediglich | |
| um eine Meinungsverschiedenheit gehandelt. | |
| Der langjährige Tory-Abgeordnete Charles Walker bezeichnete das Geschehen | |
| als erbärmlich. „Es ist ein heilloses Durcheinander und eine absolute | |
| Schande. Ich hoffe, dass es sich für jene gelohnt hat, die Truss in Nummer | |
| 10 Downing Street gebracht haben und jetzt am Kabinettstisch sitzen | |
| dürfen.“ | |
| Um 1.30 Uhr verkündete Downing Street am Donnerstag, dass es nie einen | |
| Fraktionszwang in der Fracking-Frage gegeben habe und dass dies falsch | |
| verkündet worden sei. Das bedeutete für die 40 konservativen Abgeordneten, | |
| die sich ihrer Stimme enthielten, darunter auch die Ex-Premiers Johnson und | |
| Theresa May, sowie Ex-Finanzminister Kwasi Kwarteng, aber ironischerweise | |
| auch für Truss, dass sie sich nichts zuschulden hatten kommen lassen. | |
| Im Laufe des Donnerstags stieg die Zahl der Abgeordneten, die offiziell | |
| Briefe an das 1922-Committee geschickt hatten, auf 15 an. Im Unterhaus | |
| wollten Torys aus dem rechten Lager wissen, ob Braverman gegangen sei, weil | |
| man die Einwanderungspolitik aufweichen wollte, während der Sprecher des | |
| Unterhauses eine Untersuchung zu dem Chaos vor der Abstimmung am Mittwoch | |
| einleitete. | |
| Kurz vor ihrem Rücktritt teilte 10 Downing Street in einer Pressemitteilung | |
| noch mit, dass Truss im Amt bleibe. Auch das stellte sich als falsch | |
| heraus. | |
| ## Labour fordert Neuwahlen | |
| Labourchef Keir Starmer gab nach ihrem Rücktritt an, dass die konservative | |
| Partei kein Regierungsmandat mehr besitze. Eine Neubesetzung der | |
| Regierungsführung ohne Neuwahlen sei, wie Großbritannien als ein | |
| persönliches Lehnsgut zu behandeln. Die Torys führten das Land, wie sie | |
| wollten. „Die britische Öffentlichkeit muss die Möglichkeit haben, das | |
| Chaos der Torys mit Labours Plänen zu vergleichen, welche die Wirtschaft | |
| für arbeitende Menschen ankurbeln will und das Land in Richtung einer | |
| faireren, grüneren Zukunft aufbauen möchte. Wir fordern sofort Neuwahlen!“ | |
| Auch die Liberaldemokrat:innen und die schottischen | |
| Nationalist:innen forderten deshalb sofortige Neuwahlen. Sollte es | |
| dennoch nicht dazu kommen und die Torys mit einem neuerlichen Wechsel an | |
| der Parteispitze einen konservativen Premierminister des Vereinigten | |
| Königreichs einsetzen, wird diese Person das fünfte Regierungsoberhaupt | |
| innerhalb von sechs Jahren sein. | |
| 20 Oct 2022 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Britische-Premierministerin-tritt-zurueck/!5889744 | |
| [2] /Regierungskrise-in-Grossbritannien/!5889252 | |
| [3] /Regierungskrise-in-Grossbritannien/!5885694 | |
| [4] /Die-Torys-und-Truss/!5889553 | |
| [5] /UK-Finanzminister-entlassen/!5888250 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn-Lewandowski | |
| ## TAGS | |
| Großbritannien | |
| Tories | |
| Fracking | |
| Regierung | |
| GNS | |
| Liz Truss | |
| Einwanderungspolitik | |
| Vereinigtes Königreich | |
| Großbritannien | |
| Boris Johnson | |
| Boris Johnson | |
| Liz Truss | |
| Schwerpunkt Brexit | |
| Großbritannien | |
| Großbritannien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Rishi Sunak ist neuer Premierminister: Er verspricht schwere Zeiten | |
| Großbritanniens neuer Premier will die „Fehler korrigieren“, die seine | |
| Vorgängerin Liz Truss gemacht habe. Die lobt sich indes selbst. | |
| Nachfolge bei britischen Konservativen: Boris Johnson lässt Tories zappeln | |
| Die Entscheidung über den nächsten Regierungschef des Landes könnte bereits | |
| am Montag fallen. Die Tories machen daraus wieder einmal ein Drama. | |
| Rennen ums Amt des britischen Premierministers: Boris Johnson kann wieder antre… | |
| Der Ex-Premier hat 100 Unterstützer in der Tory-Fraktion zusammen. Zuvor | |
| sprachen sich bereits genügend Parlamentarier für eine Kandidatur von Rishi | |
| Sunak aus. | |
| Nach dem Rücktritt von Liz Truss: Comeback für Boris Johnson? | |
| Schon nächste Woche wollen die britischen Konservativen über die | |
| Truss-Nachfolge entscheiden. Ex-Premier Johnson hat Chancen. | |
| Britische Premierministerin tritt zurück: Truss will nicht mehr weiterkämpfen | |
| Nach nur sechs Wochen im Amt tritt die britische Premierministerin Liz | |
| Truss zurück. Sie bleibt im Amt, bis ein Nachfolger feststehe. | |
| Die Torys und Truss: Nicht länger regierungsfähig | |
| Die Torys lösen nicht ein, was sie versprochen haben. Die einzig richtige | |
| Antwort auf das wiederholte Versagen sind Neuwahlen. | |
| Britische Premierministerin: Sie will weiterkämpfen | |
| Liz Truss hat im britischen Unterhaus kämpferisch um Abgeordnete geworben, | |
| damit sie nicht hinterrücks gestürzt wird. | |
| Regierungskrise in Großbritannien: Die Untote von der Downing Street | |
| Finanzminister Hunt tritt die Wirtschaftspolitik der Premierministerin in | |
| die Tonne. Die Zweifel an Liz Truss wachsen. |