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# taz.de -- Linke Stadtviertel: Im Herz der Bestien
> Es muss nicht immer Kreuzberg sein: Auch kleine linke Viertel in Leipzig,
> Hamburg oder Bremen sind wesentliche Schaltstellen der radikalen Linken.
Bild: Zwischen Schlachtfeld und Szenewohnzimmer: die Rote Flora in Hamburg
Was macht einen Stadtteil linksradikal? In seinem Wesen, wenn man also
Klischees und krawalllaunige Medienberichte beiseite lässt. Sind es die
Wahlergebnisse dieser Bezirke? Und welche: Nur die Linkspartei oder darf
man auch die Grünen mitzählen? Gehen stramme Autonome heutzutage überhaupt
wieder wählen? Schwammig bleibt es auch beim Blick ins Straßenbild. Klar
sind plakatierte Wände und einschlägige Band-Shirts Indizien, so wie die
Buttons an den Schirmmützen. Aber es scheint doch zu kurz gegriffen, die
linke Identität als kulturelles Phänomen abzuhandeln – als Pop also.
Aber geben tut es sie schon, diese unbestreitbar linken Quartiere wie
Leipzigs Connewitz, die Sternschanze in Hamburg oder das Bremer
Steintorviertel. Es mögen nur ein paar Straßenzüge sein, von denen aber
überall und immer wieder die Rede ist. Hoffnungsvolle junge Linke ziehen
her und treffen hier auf ältere, die es früher genauso gemacht haben. Aber
wieso?
Man könnte es bei Gerüchten und Stilfragen belassen, hätte diese sonderbar
wabernde Idee nicht so handfeste Konsequenzen. Für die linke Politikarbeit
wird das gemütliche Miteinander schließlich auch zur Organisationsfrage:
Weil man hier auf offene Ohren trifft, weil sich Reichweite herstellen
lässt durch die überregional wahrgenommenen Veranstaltungsorte, Infoläden,
selbstverwaltete (Online-) Radios und auch informellere
Mobilisierungskanäle.
Dass in Bremen etwa die Querdenker-Szene keinen Fuß auf den Boden bekommen
hat, lag auch daran, dass nach jeder Sichtung in allen WGs des
Seintorviertels mindestens zwei Handys gleichzeitig zu brummen begannen.
## Radikales Know-How
Es ist tatsächlich einfacher, hier irgendwas auf die Beine zu stellen. Weil
das Know-How da ist, wie man ohne großes Geld an technische Gerätschaften
kommt, oder wie sich finanzielle Fördermittel akquirieren lassen. Umgekehrt
bewegt man sich in der linken Homezone aber nah am Repressionsapparat.
Routinemäßige Überwachung durch Polizei und Verfassungsschutz trifft
Menschen hier leichter als anderswo, während Angriffe von Neonazis [1][zwar
seltener sind], aber doch eine besondere Qualität erreichen können, wenn
rechte Straßenkämpfer „gerade hier“ beweisen wollen, was sie so drauf
haben.
Auch nach acht Jahren bleibt der „Sturm auf Connewitz“ [2][unvergessen],
als 200 vermummte Rechtsextreme in wenigen Minuten Treffpunkte,
Szenekneipen und Geschäfte des Leipziger Szeneviertels demolierten. Das war
eine Machtdemonstration an eben nicht zufälliger Stelle.
Nun mag es ein unglücklicher Schnellschuss sein, linke Bewegung auf die
Gewaltfrage herunterzubrechen – eine Rolle spielt sie aber bestimmt. Gerade
in Connewitz. Denn auch wenn die Geschichte der hiesigen Alternativszene
bis weit in die DDR-Zeit zurückgeht, kam das Viertel politisch doch erst in
den frühen 1990er Jahren zu sich. Das heute legendäre Veranstaltungszentrum
Conne Island etwa wurde damals von einem breiten linken Bündnis erkämpft,
dessen gemeinsamer Nenner eben die Antifaarbeit gegen extrem bedrohliche
Nazigewalt war.
In Hamburg haben militante Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt um die
besetzten Häuser in der Hafenstraße Anstoß und Vorbild gestiftet. Und
selbst im beschaulichen Bremen hatten sich linke und migrantische
Initiativen im Steintorviertel nach Fußballspielen von Werder Bremen –
heute unvorstellbar – früher regelmäßig mit marodierenden Nazi-Hooligans
herumzuschlagen.
Beim Sortieren der Unterschiede und Gemeinsamkeiten äußerst hilfreich ist
[3][die Studie „Die Genese politisch linker Stadtquartiere im Vergleich“],
die das Leipziger „Institut B3 – Beratung, Bildung und Begleitung“
herausgibt. Entlang Berichten von Zeitzeug:innen und soziographischen
Daten hat ihr Autor Nils M. Franke nach Gemeinsamkeiten gesucht und auch
Handfestes gefunden.
So waren all diese linken Quartiere zum Zeitpunkt ihrer Entstehung zum
Abriss freigegeben. Das Bremer Viertel sollte seit den 1960ern der
Verkehrsplanung einer vermeintlich entstehenden Millionenstadt weichen, die
Sternschanze wurde in den 70ern angezählt und Connewitz hätte ganz konkret
im Jahr 1984 abgerissen werden sollen. Entsprechend schlecht sei der
Zustand der Häuser gewesen: Wer investiert schon in Abbruchmaterial? Die
Folge war spottbilliger Wohnraum, attraktiv für Studierende und anderes
Szenepublikum.
Was die Studie ebenfalls herausarbeitet, ist die überraschende Rolle
bürgerlicher Instrumente wie des Denkmalschutzes, weil es sich in diesen
Vierteln überwiegend um Altbausubstanz handelt. Die heute von Graffiti und
Wildplakaten tapezieren Altbauten sind kein architektonischer Zufall,
sondern ein ganz wesentlicher Grund, warum es diese Viertel überhaupt gibt.
## Rote Flora und Conne Island
Wichtig sind Kulturzentren wie [4][das Conne Island] in Leipzig und [5][die
Rote Flora] in Hamburg. Beide stehen stellvertretend komprimiert für die
Entwicklung ihrer ganzen Quartiere. Hier zeigen sich auch wesentliche
Unterschiede: So ist das Conne Island geprägt durch notwendige
Zugeständnisse an einen übermächtigen Staatsapparat.
Seit 1992 wurde die „Leipziger Linie“ durchgesetzt, also die konsequente
Räumung von Neubesetzungen sowie die vertraglich eingeklammerte
Legalisierung bereits bestehender. Manche wurden auch in andere Stadtteile
umgesiedelt, ausdrücklich, um das linksradikale Connewitz zu entschärfen.
Das Conne Island bekommt als Jugendzentrum staatliche Förderungen, hat
sogar bezahlte Stellen geschaffen und damit offizielle Akteur:innen mit
Namen und Adressen.
In Hamburg hingegen konnte die radikale Linke aus einer Position relativer
Stärke über die Rote Flora verhandeln – und kämpfen. Zwischen Stadt und
Käufer des ehemaligen Theaters gab es Sollbruchstellen, vor allem war aber
das Interesse an einer Eskalation nach den damals noch frischen Erfahrungen
der Hafenstraße eher überschaubar.
Es mögen auch Mythos und Selbstüberschätzung dazu beitragen, aber zumindest
fahren die post-autonomen Gruppen in der Flora ganz gut mit der latenten
Drohung, es im Ernstfall knallen zu lassen – und sich bei rechtlichen
Reibereien mit Polizei oder der Gema im Zweifel auf die Behauptung
zurückziehen, selbst gar nicht so ganz genau zu wissen, wer nun eigentlich
hinter diesem Konzert oder jenem Aktionstraining stecke. Außerdem war es
hier dank unzähliger anderer Veranstaltungsorte sicher auch leichter, sich
in der unkommerziellen D.I.Y.-Nische einzurichten.
Aber so unterschiedlich die Wege auch sind: Rote Flora und Conne Island
haben linke Aktionsräume geschaffen und über 30 Jahre halten können, die
weit über ihre Kieze hinaus wirken. Und wenn die umliegenden Viertel heute
auch wegen der linken Kulturarbeit als gentrifiziert gelten, sind sie doch
wesentliche Bezugspunkte für die ganze Bewegung: Mythen, die dann doch
Realität stiften.
23 Dec 2023
## LINKS
[1] /Neue-Neonazi-Gruppe-in-Bremen/!5631477
[2] /Fuenf-Jahre-Sturm-auf-Connewitz/!5738779
[3] https://institut-b3.de/wozu-gibt-es-linkssubkulturelle-stadtteile-erste-erg…
[4] /20-Jahre-Conne-Island/!5111940
[5] /Geburtstag-der-Roten-Flora-in-Hamburg/!5634006
## AUTOREN
Jan-Paul Koopmann
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Schwerpunkt Stadtland
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Leipzig-Connewitz
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Schwerpunkt G20 in Hamburg
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