# taz.de -- Letzter NS-Scherge in den USA: Ermittlungen gegen KZ-Wachmann | |
> Ein 94-jähriger Deutscher soll aus den USA abgeschoben werden, weil er im | |
> KZ-Außenlager Meppen-Dalum Aufseher war. | |
Bild: Reste des Emslandlagers Dalum: die Pfosten des Eingangstors neben dem Tra… | |
HAMBURG taz | In Niedersachsen könnte es zu einem weiteren Prozess gegen | |
einen ehemaligen KZ-Wächter kommen: Das Justizministerium in Hannover hat | |
die Generalstaatsanwaltschaft in Celle mit den Ermittlungen gegen den | |
94-jährigen Karl Friedrich B. beauftragt. Er soll als Wachposten im | |
Außenlager des [1][Konzentrationslagers Neuengamme], das sich in | |
Meppen-Dalum befand, Beihilfe zum Mord an Gefangenen geleistet haben. B. | |
lebt derzeit noch in den USA, soll dort aber abgeschoben werden. | |
B. war von Januar bis März 1945 Aufseher im Außenlager des KZ Neuengamme. | |
Dort mussten die Gefangenen Strafarbeiten verrichten. Auch bewachte er die | |
Häftlinge [2][im März 1945 nach der Auflösung des Außenlagers während des | |
Marsches nach Neuengamme]. Während dieses Marsches sollen rund 70 Häftlinge | |
gestorben sein. | |
„Der Vorwurf, Beihilfe zur Tötung von Gefangenen geleistet zu haben, | |
bezieht sich insbesondere auf die Bewachung des Marsches zur Evakuierung | |
der Nebenlager“, sagt der Sprecher der Celler Generalstaatsanwaltschaft, | |
Colin Arnold. Für seine Arbeit im KZ erhält B. bis heute eine Rente. Seinen | |
Kriegsdienst verrichtete er ursprünglich bei der Marine. | |
Derzeit lebt B. noch im US-Bundesstaat Tennessee. Nach dem Krieg war er mit | |
seiner Frau und seiner Tochter zunächst nach Kanada ausgewandert, 1959 dann | |
weiter in die USA. Diesen März ordnete ein Gericht in Memphis seine | |
Abschiebung an. | |
## Beweise auf gesunkenem Schiff | |
B. war erst in die USA ausgewandert, als eine Vergangenheit als | |
NS-Verbrecher nicht mehr von den amerikanischen Behörden verfolgt wurden. | |
Allerdings können mit einem 1978 eingeführten Bundesgesetz NS-Verbrecher | |
neuerlich abgeschoben werden. Laut dem US-Justizministerium geschah dies | |
seither mit 67 Personen. | |
Das US-amerikanische Justizministerium konnte B.s Dienst im KZ durch die | |
Auswertung von Karteikarten nachweisen, auf denen seine Diensttätigkeiten | |
notiert waren. Diese befanden sich 1945 auf den Schiffen [3][Cap Arcona und | |
Thielbek, auf die die KZ-Häftlinge des Neuengammer Außenlagers gebracht | |
wurden], nachdem sie vor den vorrückenden Alliierten evakuiert worden | |
waren. Aufgrund einer versehentlichen Bombardierung durch die Alliierten | |
sanken sie in der Ostsee. Tausende Häftlinge starben. | |
Einige Jahre später wurden die Schiffe geborgen, die Karteikarte mit den | |
Informationen über B. blieb erhalten. Durch zusätzliche Nachforschungen des | |
U.S. Holocaust Memorial Museum konnten die Vorwürfe erhärtet werden. | |
Laut der Washington Post hat B. vor dem Gericht die Arbeit als Aufseher | |
zugegeben. Entgegen der Ansicht des Justizministeriums will er dort aber | |
nicht freiwillig Dienst getan haben. Auch habe er dabei keine Waffe | |
getragen und sei ohnehin nur kurz im Lager gewesen. Das Gericht folgte | |
jedoch der Ansicht der Anklagebehörde, wonach er sich freiwillig zu dem | |
Dienst gemeldet haben soll. Der Washington Post sagte B. im Frühjahr, die | |
Vorwürfe seien „lächerlich“. B. hatte nach dem Urteil Berufung eingelegt. | |
## Letzter in den USA lebender NS-Verbrecher | |
Laut der Celler Generalstaatsanwaltschaft ist unklar, wann es zu einer | |
Abschiebung kommen wird. Ohnehin ist laut US-Medien über die Berufung noch | |
nicht entschieden worden. | |
Ob es in Niedersachsen zu einem Verfahren kommt, ist auch angesichts des | |
Alters von B. fraglich. In Braunschweig platzte vor zwei Jahren ein Prozess | |
gegen einen 96-jährigen mutmaßlichen NS-Verbrecher aufgrund dessen | |
Gesundheitszustandes. Er war für verhandlungsunfähig erklärt worden. | |
Dabei dürfte es noch Monate dauern, ehe die Generalstaatsanwaltschaft im | |
Fall B. Anklage erhebt. „Wir sichten derzeit noch die vorliegenden | |
Unterlagen“, sagt Arnold. | |
Die Vorermittlungen wurden von der zentralen Stelle der | |
Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg geführt, die bundesweit für die | |
Aufklärung von NS-Verbrechen zuständig ist. Da die vorgeworfenen Taten im | |
heutigen Niedersachsen stattfanden, übernimmt die Celler | |
Generalstaatsanwaltschaft. | |
Soweit bekannt, ist B. der letzte in den USA lebende NS-Verbrecher. 2018 | |
wurde der ehemalige KZ-Wächter Jakiv Palij von den USA nach Deutschland | |
abgeschoben. Er starb kurze Zeit darauf mit 95 Jahren – ohne, dass Anklage | |
erhoben wurde. | |
[4][Zuletzt hatte die Hamburger Jugendstrafkammer] einen 93 Jahre alten | |
Angeklagten wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und wegen Beihilfe zu | |
einem versuchten Mord zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung | |
verurteilt. | |
22 Sep 2020 | |
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## AUTOREN | |
André Zuschlag | |
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