# taz.de -- Lesung von Debbie Harry in Hamburg: Monster, Gurken, Maulfaulheit | |
> Eine Lesung in die Hamburger „Fabrik“: US-Popstar Debbie Harry kommt zur | |
> Veröffentlichung der deutschen Ausgabe ihrer Autobiografie „Face It“. | |
Bild: Debbie Harry stellt ihre Autobiografie vor | |
Vielleicht lag es an Markus Lanz. Eine Aufzeichnung für dessen bunte | |
ZDF-Talkrunde hatte Debbie Harry am Nachmittag über sich ergehen lassen | |
müssen, das wurde bei ihrer einzigen Lesung in Deutschland kolportiert. | |
Fast eine Stunde musste sie also in einem TV-Studio Gesprächen auf Deutsch | |
zuhören, bis sich Lanz schließlich dazu herabließ, sie gewohnt lanzig nach | |
ihren Drogenerfahrungen zu befragen; und danach, wie es war, als Kind | |
adoptiert worden zu sein. | |
Bis dahin war Debbie Harry noch einigermaßen auskunftsfreudig, wie man bei | |
der Ausstrahlung feststellen konnte. Am Dienstagabend, bei der | |
ausverkauften Lesung aus ihrer Autobiografie „Face It“ in der Hamburger | |
Fabrik, ist jedoch die Luft raus. Harry, mit 74 genauso großartig aussehend | |
wie früher – stolzes Puppengesicht unter strohblonder Mähne, „Stop fucking | |
the planet“-Stola, Plateausneakers –, sitzt auf der Bühne zwischen | |
Moderator Thorsten Groß und Mieze, Sängerin der Berliner Popband Mia, und | |
ist maulfaul. | |
Ob sie sich langweilt, weil die Lesung mit einer von Mieze auf Deutsch | |
vorgetragenen Passage beginnt? Ob sie Freund und Ex-Bandkollege [1][Chris | |
Stein] vermisst, der die Promotour vorzeitig abgebrochen hatte? Oder ob sie | |
einfach keine Lust hat, mit einem Mann über den Sexappeal und Feminismus | |
von Blondie zu sprechen – man weiß es nicht. | |
## Nicht nur hübsche Deko | |
Groß kriegt kaum etwas heraus aus ihr, dabei hat Harry in ihrem mit | |
persönlichen Fotos und Porträts ausgestatteten Buch abendfüllend ihr Leben | |
abgehandelt: Von der Mutter und Adoptivmutter schreibt sie, vom Aufbruch | |
nach New York, den Begegnungen mit den Kunsthelden der 1970er, dem | |
Lower-East-Side-Leben zwischen Nachtschichten als Kellnerin und dem Wunsch, | |
selbst auf der Bühne zu stehen, nicht nur hübsche Deko zu sein. Vom Erfolg. | |
Jene Diskrepanz, die Blondie stets innewohnte – auf der einen Seite | |
weibliches Empowerment mit sexpositiver [2][Punk-Attitude], „sogar als | |
Pin-up war ich Punk“, schreibt sie; auf der anderen Seite ebenjene | |
Pin-up-Außenwahrnehmung, jene auf sie projizierte (männliche) Lust –, ist | |
Teil ihres Glow. Am Dienstagabend schnurrt das Thema jedoch zusammen zu | |
einem wiederum von der Gastleserin auf Deutsch vorgetragenen Kapitel, in | |
dem Harry von David Bowies Schwanz redet. | |
Diese am meisten in den Rezensionen und Interviews zitierte Episode lässt | |
einen noch ratloser zurück: Dass Iggy Pop und Bowie bei Debbie Harry Koks | |
schnorrten und zum Konsumieren mit ihr in einen Backstageraum gingen. Dort | |
habe Bowie seine Gurke herausgeholt, „as if I were the official cock | |
checker“. Sie konstatiert: „Es war ein Prachtexemplar.“ Und schreibt | |
weiter, dass sie Iggys Gurke eigentlich auch gern gesehen hätte. | |
## Oder doch Amüsement? | |
Es ist ein Ausschnitt, über den man einige Diskurse führen könnte: Fing es | |
als Belästigung an und endete in Amüsiertheit? Oder wollte sie Bowies Gurke | |
eh sehen, so wie alle Bowie-Fans? Berechtigt diese Annahme einen Popstar, | |
die Gurke buchstäblich nach Lust und Laune herauszuholen und hinzuhalten? | |
Das Sujet ist komplex. Und eventuell nicht das Richtige für ein Gespräch | |
mit Thorsten Groß auf einer Bühne. | |
Ein kurzes Kapitel liest sie schließlich selbst – es beschreibt eine | |
Begegnung mit Miles Davis, der im Restaurant [3][Max’s Kansas City], in dem | |
sie kellnerte, schweigend in der Ecke saß. Aber dennoch einen tiefen | |
Eindruck hinterließ. Harrys Ausführungen, so scheint es, bestehen vor allem | |
aus Erinnerungen, und weniger aus Gedanken. Sie schreibt, was sie sah und | |
erlebte, nicht, was sie fühlte und welche Schlüsse sie zog. | |
Ein eigenes Gedicht liest sie vor, mit dem Titel „The bitten boy“, es ist | |
schön, leidenschaftlich und poetisch, es geht um verlorene Gedanken und | |
Fieberfantasien, um das Monster, das den Gebissenen von innen auffrisst. | |
Das wohlgesonnene Publikum, das ihren Missmut nicht versteht, klatscht | |
begeistert. Doch danach hat die Frau, die Pop und Punk cooler kreuzen | |
konnte als je jemand vor und nach ihr, die Künstlerin, die Warhol | |
porträtiert, die Frau mit dem [4][Glasherz] und dem Lippenstift definitiv | |
die Faxen dicke, eilt von der Bühne, wird vom Moderator zurückgeholt – es | |
gab ein Missverständnis über die Länge der Veranstaltung. | |
So sitzt sie noch weitere 15 Minuten da, mit spitzem Mund, bleibt aber | |
reserviert. Debbie Harry muss oft husten. Vielleicht ist sie einfach nur | |
erkältet. | |
17 Oct 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=xgHurNBP0Qk | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=fCjdsxJeD_Q | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=c8LwsCAUi9I | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=WGU_4-5RaxU | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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