| # taz.de -- Grünen-Chef Habeck präsentiert Film: Politik der Kultur | |
| > Anlässlich einer Filmakademie-Reihe diskutierte Grünen-Chef Robert Habeck | |
| > mit Schauspielerin Christiane Paul – es dauerte, bis Dynamik entstand. | |
| Bild: „Wer die Tradition gewinnt, gewinnt die Gegenwart“: Grünen-Chef Robe… | |
| BERLIN taz | Kunst imitiert das Leben – oder umgekehrt. Bei einer Groteske | |
| wie „Adams Äpfel“, die 2005 unter der Regie von Anders Thomas Jensen | |
| entstand, sind die Parallelen leicht zu ziehen: In dem Film versucht | |
| Pfarrer Ivan (Mads Mikkelsen), durch konsequente, fast schon aufdringliche | |
| Philanthropie Straftäter zu resozialisieren – was Neonazi Adam (Ulrich | |
| Thomsen mit Glatze), der zum Besserungsbesuch in Ivans Kirche geschickt | |
| wurde, gegen den Strich geht. Doch man rauft sich zusammen, man schießt gar | |
| aufeinander. Und steht am Ende des wilden Ritts geläutert Seite an Seite – | |
| für eine bessere, tolerantere und menschenfreundlichere Welt. | |
| Dass Grünen-Bundesvorsitzender Robert Habeck dieses Werk aussuchte, um es | |
| in der „Mein Film“-Reihe der Deutschen Filmakademie zu präsentieren, passt | |
| also: Wie, verdammt noch mal, fragt man nicht erst seit den Ergebnissen der | |
| Landtagswahl in Thüringen, wie kriegt man zusammen, was auseinanderklafft | |
| in Ideologie, Glauben und Erfahrung? Was muss ein (Grünen-)Politiker tun, | |
| um jemanden zu überzeugen, dessen politische Ansichten konträr sind? | |
| Doch bei dem der Vorführung folgenden Talk am Dienstagabend in der Astor | |
| Lounge beißt sich Moderatorin und Schauspielerin Christiane Paul zunächst | |
| die Zähne aus: Habeck ist nicht entspannt. Vielleicht ist es Pauls | |
| Eingangseinschätzung als „Männerfilm“, deren Konnotation er nicht auf sich | |
| sitzen lassen will, weshalb er sie mild bespöttelt, vielleicht ist es das | |
| technische Problem, das die Diskussion eingangs für einige Minuten zum | |
| Erliegen bringt, vielleicht fragt sich der permanent politisch rotierende | |
| und agierende Habeck in dieser dunklen, sinnlosen Wartezeit: Shit, was mach | |
| ich hier eigentlich?! | |
| ## Leute aus Kultur unterschätzt | |
| Ja, was macht dieser Politiker vor den aus der Kultur kommenden und in der | |
| Kultur lebenden Gästen? Er unterschätzt sie erst mal: Der studierte | |
| Philosoph erzählt, nachdem die Technik besiegt und das Gespräch offiziell | |
| weitergeführt wird, von der Verleihung des Schauspielpreises, die er als | |
| „Chichi“-Veranstaltung mit Küsschen und Glamour bezeichnet. | |
| Doch dann sei er erstaunt gewesen über den politischen Elan, der in allen | |
| Reden gesteckt habe, und das politischen Bewusstsein. Was soll man da | |
| sagen: Stimmt, Kultur ist politisch, das war sie immer, und ja, | |
| Schauspieler*innen sind nicht per se oberflächliche Idiot*innen? | |
| Freundlich weist Paul auf den Irrtum hin, erzählt von ihrem Ost-Background | |
| und der dortigen langwährenden Verbindung zwischen Kultur und Politik. | |
| Es wird dennoch etwas dauern, bis Habeck, der anfangs distanziert wirkt, | |
| auch körperlich dem Stehtisch fernbleibt, und kein Lächeln riskiert (zu | |
| oberflächliches Schauspielergehabe?), bis dieser bühnenerfahrene Mann | |
| Vertrauen zu seiner Gesprächspartnerin und der Umgebung fasst. Und | |
| Gedanken, Analysen, Konklusionen teilt, die begreifen lassen, was ihn zu | |
| einem fähigen Politiker macht: dass die Zivilcourage von Initiativen wie | |
| Fridays for Future ein nötiger „gesellschaftlicher Reflex“ auf die sich | |
| wandelnde Stimmung ist. | |
| ## Verstärkte Polarisierung | |
| Dass der Grünen-Wahlkampf in Thüringen nicht funktionierte, weil sich die | |
| gesellschaftliche Polarisierung innerhalb weniger Wochen vor der Wahl | |
| verstärkt hat – nicht nur, aber auch wegen der Ereignisse in Halle. Und | |
| deswegen, weil die Auflösung einer größeren Ordnung momentan zu spüren sei | |
| – damit seien viele überfordert. | |
| Habeck erzählt dazu eine interessante Anekdote zum Thema Anerkennung: Um | |
| die Kumpel in ehemaligen Ostkohlegebieten anzusprechen, müsse man sehen und | |
| benennen, was sie alles getan und geschaffen haben – von ihrer Geschichte | |
| bis hin zur Gestaltung der Umwelt: „Ein ehrenhafter Beruf.“ | |
| Der Politiker wirkt gegen Ende des Gesprächs williger, seine Überlegungen | |
| zu teilen, und sie sind absolut teilenswert. Nach einem nicht hinreichend | |
| geklärten Diskurs über den Sinn von Deutschlandfahnen erzählt Habeck von | |
| der Begegnung mit einer über 80-Jährigen in Ilmenau, die angesichts einer | |
| AfD-Rede ihm (und allen) noch mal klarmachte, wie unverschämt diese Partei | |
| Freiheits- und Bürgerrechtssymbole vereinnahmt. | |
| „Wer die Tradition gewinnt, gewinnt die Gegenwart“, sagt Habeck, und das, | |
| so ärgerlich es ist, stimmt leider. Doch jetzt, wo man sich eingegroovt | |
| hat, ist das Gespräch zu Ende. Gern hätte man noch mehr herausgelockt. Wenn | |
| Habeck in Stimmung ist, kann man sich bestimmt wunderbar innovativ mit ihm | |
| streiten. | |
| 30 Oct 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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