# taz.de -- Latinos bei den US-Wahlen: Trump statt Sozialismus | |
> Der amtierende US-Präsident hat in Florida viele Stimmen bei Latinos | |
> geholt. Laut Beobachtern haben sie dabei gegen eigene Interessen gewählt. | |
Bild: Unerwarteter Jubel: Anhängerinnen und Anhänger Donald Trumps schwenken … | |
MIAMI taz | Ganz egal, wer im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf am | |
Ende das Rennen macht, die bisher ausgezählten Stimmen verdeutlichen: | |
US-Bürger mit lateinamerikanischen Wurzeln haben sich in diesem Jahr | |
stärker als vor vier Jahren für Präsident Donald Trump ausgesprochen. | |
Nirgends war dies deutlicher zu sehen als im Bundesstaat Florida. | |
Ersten Nachwahlumfragen zufolge konnte Trump seinen Stimmenanteil unter | |
Floridas lateinamerikanischer Bevölkerungsschicht gegenüber 2016 um 12 | |
Prozentpunkte steigern. Er soll knapp 47 Prozent aller Latino-Stimmen in | |
dem Bundesstaat erhalten haben. Unter Wählern mit kubanischer Abstammung | |
war er sogar noch beliebter und erhielt 56 Prozent aller Stimmen. | |
Hochrechnungen zufolge wird Trump den wichtigen Swing State an der | |
US-Ostküste erneut für sich entscheiden. Laut Associated Press beträgt sein | |
Vorsprung im Sonnenstaat derzeit 3 Prozentpunkte (51 Prozent zu 48 | |
Prozent). Wie erste Wählerbefragungen zeigten, darf sich der Republikaner | |
vor allem bei Floridas Latino-Wählern für den unerwartet deutlichen | |
Stimmenvorsprung bedanken. | |
Vor vier Jahren holte Trump lediglich 34 Prozent der Stimmen in Miami-Dade, | |
dem einwohnerstärksten Landkreis in Florida. In diesem Jahr waren es satte | |
46 Prozent. Zugleich büßte sein demokratischer Herausforderer Joe Biden | |
deutlich an Stimmen ein. Gelang es Hillary Clinton 2016 noch 63 Prozent | |
aller Stimmen im Ballungsgebiet der Stadt Miami auf sich zu vereinen, so | |
brachte es Biden nur auf 53 Prozent. | |
## Ein altes Schreckgespenst | |
Auch wenn Trump den Wahlkreis Miami-Dade am Ende erneut verloren hat, sein | |
starkes Ergebnis dort katapultierte ihn auf die Siegerstraße in Florida. Da | |
die meisten seiner Anhänger in den eher ländlichen Gegenden zu Hause sind, | |
konnte er die knappen Rückstände in den Metropolen des Bundesstaates | |
überwinden. | |
Vor allem Trumps Wahlkampf-Botschaft, dass eine Stimme für Biden eine | |
Stimme für den Sozialismus sei, fand bei der Spanisch sprechenden | |
Bevölkerungsschicht in Südflorida Anklang, sagt José Dante Parra, | |
Politikberater in Miami, zur taz. | |
„Ein Teil der Bevölkerung ist wegen ihrer Erfahrungen mit sozialistischen | |
und kommunistischen Regimen in Kuba, Nicaragua und Venezuela noch immer | |
traumatisiert“, sagt Parra. „Trump und die Republikaner haben es | |
verstanden, dies zu ihrem Vorteil zu nutzen und daraus Stimmen zu | |
gewinnen.“ | |
Mit dieser Analyse ist Parra nicht alleine. Kurz nachdem die ersten | |
Hochrechnungen am Dienstagabend bekannt gegeben wurden, feierten bereits | |
Hunderte Trump-Anhänger in Miamis berühmten Stadtteil Little Havana das | |
unerwartet starke Abschneiden des Präsidenten. „Four more years, four more | |
years“, hallte es aus einem Meer voller MAGA(Make America Great | |
Again)-Kappen und Trump-Fahnen. | |
## Demokraten waren siegessicher | |
Jose Cuevas, der 1968 aus Kuba geflohen war, sagte zur Nachrichtenagentur | |
Reuters: „Wir sind wegen der Möglichkeiten hierhergekommen, nicht wegen | |
Almosen. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die von den Demokraten | |
propagierte Sozialhilfe-Mentalität genau gegen das richtet, was | |
Kuba-Amerikaner wollen.“ | |
Politikstrategin Susie Wiles bezeichnete Trumps Wahlerfolg in Florida sogar | |
als historisch. Er habe den Demokraten den „Arsch versohlt“, schrieb sie | |
bei Twitter. | |
Und nicht nur im Rennen um das Präsidentenamt konnten die Republikaner in | |
Florida Siege verbuchen. Die demokratischen Kongressabgeordneten Debbie | |
Mucarsel-Powell and Donna Shalala verloren beide gegen ihre | |
republikanischen Herausforderer. Erneut lautete das Stichwort im Wahlkampf | |
Sozialismus. | |
Den Grundstein für den diesjährigen Wahlerfolg in Florida legten Trump und | |
die Republikaner bereits kurz nach seinem Wahlsieg vor vier Jahren. Nur | |
wenige Wochen nach seinem Amtsantritt besuchte der frisch gebackene | |
US-Präsident damals Miami-Dade, erinnert sich Politikberater Parra. Dass | |
Trump mehrere Immobilien in Südflorida besitze, nutze ihm zusätzlich. | |
Die Demokraten um Biden haben es laut Parra versäumt, eine Strategie gegen | |
die Sozialismus-Vorwürfe zu finden. „Demokraten lassen sich hier nur alle | |
vier Jahre, wenn es gut geht, alle zwei Jahre blicken und erwarten, dass | |
alle Hispanics für sie stimmen. Und das ist eben nicht der Fall.“ | |
## Das Obamacare-Paradox | |
Die demokratische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez äußerte | |
sich auf Twitter zum schwache Abschneiden ihrer Partei in Florida, und auch | |
sie zeigte sich wenig überrascht. „Wir haben schon seit Längerem davor | |
gewarnt, dass Demokraten in Bezug auf Latinos anfällig seien“, so die New | |
Yorkerin, die ihren Sitz im Kongress locker verteidigen konnte (69 Prozent | |
zu 31 Prozent). „Es gibt eine Strategie und einen Weg, aber die notwendigen | |
Anstrengungen wurden einfach nicht erbracht.“ | |
Neben den taktischen Fehlern muss sich die demokratische Partei auch | |
fragen, warum sie mit ihrem Parteiprogramm die Latino-Wähler in Florida | |
nicht mobilisieren konnte. Die Coronavirus-Pandemie hat die Bewohner des | |
Küstenstaates schwer getroffen. Mehr als 16.800 Menschen sind dort an dem | |
Virus gestorben, und die Zahlen der Infektionsfälle steigen dort weiter an. | |
Das Abschneiden Trumps in Miami-Dade ist umso erstaunlicher, als in keinem | |
anderen Landkreis der USA mehr Menschen auf das in Barack Obamas Amtszeit | |
eingeführte Gesundheitssystem Obamacare angewiesen sind. Und trotzdem | |
konnte Trump, der das überlebenswichtige Gesundheitssystem abschaffen will, | |
die größten Gewinne verbuchen. „Die Menschen haben gegen ihre eigenen | |
Interessen gestimmt“, sagt die Vorsitzende der League of United Latin | |
American Citizens in Florida, Mari Corugedo. „Es ist mir schleierhaft. Ich | |
verstehe es einfach nicht.“ Der Oberste Gerichtshof der USA soll kommende | |
Woche über die Verfassungsmäßigkeit von Obamacare entscheiden. | |
## Latinos sind in den Vororten von Miami keine Minderheit | |
Corugedo glaubt, das widersprüchliche Wahlverhalten sei auf Unwissenheit | |
zurückzuführen. „Das Wissen darüber, wie ein demokratisches | |
Regierungssystem funktioniert, fehlt. Die Menschen glauben nicht, dass sie | |
ihre Krankenversicherung verlieren könnten, falls der Supreme Court das | |
Gesetz für verfassungswidrig erklärt. Oder vielleicht wollen sie es nur | |
nicht glauben.“ | |
Rassismus war ein zentrales Thema bei den US-Wahlen, für Latinos in Florida | |
ist die Debatte darum laut Parra und Corugedo aber weniger entscheidend | |
gewesen. Mit 71 Prozent der Bevölkerung stellt die Gruppe die Mehrheit in | |
Miami-Dade. „Die Menschen hier nehmen Rassismus nicht wahr, da er ihnen im | |
Alltagsleben nicht begegnet“, sagt Corugedo. „Latinos und Hispanics in | |
anderen Bundesstaaten wie Arizona oder Texas nehmen Rassismus hingegen sehr | |
wohl wahr. Er ist Teil ihres täglichen Lebens.“ | |
Doch auch in Miami-Dade gibt es Anzeichen dafür, dass Trumps abwertende | |
Aussagen über die verschiedenen Protestbewegungen nach dem gewaltsamen Tod | |
von George Floyd Wirkung zeigen. „Rassismus wurde von diesem Präsidenten in | |
eine Waffe verwandelt, und dies ist äußerst gefährlich, da es die Menschen | |
spaltet“, meint Corugedo. | |
Hinzu kommt, dass die Verbreitung von „Fake News“ auf sozialen Plattformen | |
wie Facebook und anderen ebenfalls zur weiteren Spaltung der | |
US-Gesellschaft beiträgt. Seit mehreren Monaten berichten US-Medien | |
darüber, dass vor allem Latino-Wähler in Florida mit falschen Informationen | |
überflutet werden würden. Verschwörungstheorien zu Corona, „Deep State“ … | |
QAnon seien dabei nur die Spitze. | |
Ein Rechtsstreit könnte das offizielle Wahlergebnis in den USA um Wochen | |
verzögern. Für die Demokraten sollte das enttäuschende Abschneiden in | |
Florida dennoch eine Warnung sein. Sie brauchen eine strategische | |
Neuausrichtung in dem Bundesstaat, damit sie die Latinos dort wieder | |
erreichen – sonst ist es mit Floridas Status als Swing State erst einmal | |
vorbei. | |
6 Nov 2020 | |
## AUTOREN | |
Hansjürgen Mai | |
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