# taz.de -- Anspannung in Washington, D.C.: Es wird einsam um Trump | |
> In der US-Hauptstadt Washington ist die Spannung überall spürbar. Für | |
> Republikaner.innen ist jetzt ein Moment der Entscheidung: Für oder gegen | |
> Trump? | |
Bild: Donald Trump am Ende … seiner Pressekonferenz im Weißen Haus am Donner… | |
WASHINGTON taz | Am Donnerstagmittag nach der Wahl strahlt in Washington | |
die Sonne, es ist spätsommerlich warm, Südstaatenwärme. Washington befindet | |
sich in einem merkwürdigen Zustand der Trance, während sich das Drama | |
andernorts entfaltet. | |
Ausnahmsweise wird die Politik nicht im District of Columbia gemacht, | |
sondern in Pennsylvania, in Georgia, in Nevada, in Arizona; das Leben in | |
der Hauptstadt fühlt sich an, als hätte jemand auf Zeitlupe geschaltet, mit | |
einem Takt, den CNN, Fox News und die vielen Wahlhelfer.innen vorgeben, die | |
derzeit überall die letzten Stimmen auszählen. | |
Auf der obersten Stufe der Freitreppe zum Supreme Court sitzen drei junge | |
Frauen im Sonnenschein. Alle drei tragen Laufkleidung, AirPods in den | |
Ohren. Sie studieren an der University of California in Berkley, sind aber | |
eigens für die Wahl nach Washington gekommen. „Dienstagnacht haben wir | |
geduldig vor dem Weißen Haus auf die Ergebnisse gewartet“, erzählt die | |
Biologie-Studentin mit den rötlichen Locken. | |
Auf der Black Lives Matter Plaza standen die drei, direkt hinter dem | |
eisernen Zaun, den der Secret Service rund um das Weiße Haus aufgestellt | |
hat. Jetzt sitzen sie hier, „als Hommage an [1][Ruth Bader Ginsburg]“, | |
„RGB“, die gerade verstorbene feministische liberale Ikone am Supreme | |
Court, die wenige Tage vor der Wahl durch die fundamentalistische Richterin | |
[2][Amy Coney Barrett] ersetzt wurde. Die drei jungen Frauen verstehen sich | |
als Wächterinnen der Demokratie. | |
## Trumps Sohn ruft zum „totalen Krieg“ | |
Später am Tag wurde klar, wie sehr der Schutz der Demokratie in den USA | |
derzeit nötig ist. Am Donnerstagabend trat Präsident Donald Trump zum | |
ersten Mal nach fast 36 Stunden wieder vor die Kameras. Es wird ein | |
Auftritt der dritten Art. Mit belegter Stimme sagt er: „Wenn man die | |
legalen Stimmen zählt, dann haben wir gewonnen. Wenn man die illegalen | |
Stimmen zählt, können sie uns die Wahl stehlen.“ | |
Kurz zuvor hat sein Sohn Don Junior auf Twitter noch zum „totalen Krieg“ | |
aufgerufen. Ein Ausdruck, der in deutschen Ohren gar nicht gut klingt. | |
Mitten in Trumps Rede schalten mehrere Sender ihre Liveübertragung und | |
andere Medien ihre Livestreams aus. | |
Nicht nur die von Trump so genannten Mainstream Media, darunter die größte | |
Zeitung des Landes, USA Today, sperren ihn aus, weil er Unwahrheiten und | |
Verschwörungstheorien verbreite. Der größte Schlag kommt von einem ebenso | |
treuen wie mächtigen Unterstützer. „Ein niedergeschlagener Donald Trump | |
macht grundlose Wahlbetrugsvorwürfe in einer Rede aus dem Weißen Haus“, | |
twittert es vom Account der konservativen New York Post, die kurz vor der | |
Wahl noch eine grenzwertige Skandalgeschichte über Joe Bidens Sohn Hunter | |
veröffentlichte, die andere Medien abgelehnt hatten. | |
Es wirkt so, als habe Rupert Murdoch, der Besitzer der New York Post und | |
von Fox News, beschlossen, Donald Trump fallen zu lassen. Und so wird es | |
einsam um den Präsidenten am Tag zwei nach der Wahl, und das, noch bevor | |
die offiziellen Wahlergebnisse ausgerufen sind. | |
## Trump merkt, dass es einsam um ihn wird | |
Von der Freitreppe des Supreme Courts lässt man den Blick in Richtung | |
Westen über das Kapitol schweifen. Die Straßen sind leer zu Coronazeiten, | |
nur ein paar Jogger.innen laufen über die freien Straßen, der politische | |
Betrieb steht. Aber auch zuvor hatte die eigentliche Entwicklung der Grand | |
Old Party (GOP) längst nicht mehr im Kapitol stattgefunden. | |
In den vergangenen vier Jahren ist es dem Präsidenten gelungen, die | |
Republikanische Partei zu einer Partei des Trumpismus umzuformen, die | |
Fraktionen im Repräsentantenhaus und im Senat seinem Willen zu unterwerfen. | |
Im Weißen Haus, nicht im Kapitol wurde die republikanische Linie bestimmt. | |
Wie in einem Kinofilm lässt es sich jetzt aber beobachten, wer dem | |
Präsidenten noch Chancen einräumt und wer hofft, unauffällig durch den | |
Sturm zu gelangen. Brad Pascale, Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager, der | |
entkräftet und angeschlagen aus dem Wahlkampf ausgeschieden war, twittert | |
direkt: „Wenn man 2024 als Republikaner gewinnen möchte, würde ich | |
wahrscheinlich mal anfangen, etwas zu sagen.“ | |
Bis zu diesem historisch-grotesken Auftritt am Donnerstagabend war Donald | |
Trump für eine lange Zeit unsichtbar, praktisch verschwunden, das hatte es | |
noch nie gegeben, nicht einmal, als er mit Covid-19 ins Krankenhaus | |
eingeliefert wurde. Er muss gefühlt haben, dass es einsam um ihn wird. Don | |
Junior beschwerte sich via Twitter: „Das völlige Fehlen von Handeln | |
praktisch aller 2024-GOP-Hoffnungsträger ist sehr erstaunlich. Sie haben | |
eine perfekte Plattform, um zu zeigen, dass sie willig und fähig sind, zu | |
kämpfen, aber sie werden sich stattdessen vor dem Medienmob ducken.“ | |
## Moment der Entscheidung für Republikaner.innen | |
Die treuesten Trump-Anhänger versuchen die Reihen zu schließen. Aber es | |
sind dann doch nur wenige Hundertprozentige wie der ehemalige Berliner | |
Botschafter [3][Richard Grenell], Ted Cruz, Senator aus Texas und Lindsey | |
Graham aus South Carolina, die die Fälschungsvorwürfe öffentlich | |
unterstützen wollen. | |
Graham hat sogar angekündigt, eine halbe Million Dollar für die anstehende | |
juristische Anfechtung der Wahl spenden zu wollen. | |
Das ist der Moment in dem sich jede.r Republikaner.in entscheiden muss, ob | |
er oder sie für oder gegen Trump steht. Die meisten bleiben still und | |
hoffen. Das ist der Moment, an dem das Ende von Donald Trump greifbar wird. | |
Einer, der am Abend schnell begreift, wie ernst die Situation ist, ist der | |
Politik-Korrespondent Tim Alberta, der ein Buch über Trump und die | |
Republikanische Partei geschrieben hat. Er kommentiert: „Nicht sicher, ob | |
irgendwer gerade Witze machen kann. Wir können nicht anfangen zu begreifen, | |
wie viel Schaden diese Rede zur langfristigen Gesundheit und Stabilität | |
unseres Landes anrichten wird.“ | |
## Trump hofft auf den Obersten Gerichtshof | |
Monica Palacio, 52, „stolze Latina“ und Bürgerrechtsanwältin, ist am | |
Bahnhof Union Station unterwegs, mit ihrer Mutter zusammen, um Washington | |
zu verlassen. Früher kam Biden hier ja tagtäglich aus Wilmington an. Sie | |
und ihre Freunde warteten jetzt aber nun wirklich nicht auf Biden, sagt | |
Palacio. Das komme hoffentlich später. | |
Wird es den Krieg geben, den Don Junior anzustacheln hofft? Palacio wartet | |
unruhig darauf, was Trump nun tut. „Ich bringe Umzugskartons zum Weißen | |
Haus und helfe ihm auszuziehen“, sagt sie. Aber die Unsicherheit, die in | |
der Luft liegt, klingt auch in ihrer Stimme durch. Joe Biden wird an diesem | |
Tag nicht müde, die Bürger.innen zur Ruhe und Geduld aufzurufen. | |
Quer über den neun Säulen, die das Portal zum Supreme Court bilden, auf dem | |
Sturz des Portals steht in großen Buchstaben die Inschrift „Equal Justice | |
under Law“. Vor dem Gesetz sind alle gleich, heißt das in Deutschland im | |
Grundgesetz. | |
Von den neun Richter.innen des Supreme Court hat Trump in seiner Amtszeit | |
drei eingesetzt, die Mehrheiten sind eindeutig: sechs republikanischen | |
Richter.innen stehen nun drei demokratische gegenüber. „Wir werden vor den | |
Supreme Court ziehen“, hat Trump am Mittwoch nach der Wahlnacht | |
angekündigt, als die fortgesetzte Stimmenauszählung da schon die Gewichte | |
allmählich zugunsten von Joe Biden verschob. | |
## Anfechtungen in mehreren Bundesstaaten | |
Hier am Gericht hat Trump mit seinen Berufungen für so eine Situation | |
vorgearbeitet. Seine Richter sind platziert. Aber selbst bei diesen | |
Richter.innen scheint jetzt fraglich, ob sie in so einer Situation einem | |
Präsidenten folgen, der sich weiter und weiter von der Realität entfernt. | |
Donald Trumps Team hat inzwischen [4][Anfechtungen] der Ergebnisse in | |
mehreren Bundesstaaten, in Michigan, Georgia, Wisconsin, Nevada und | |
Pennsylvania angekündigt oder schon auf den Weg gebracht. Unter | |
Jurist.innen besteht zwar keine Einigkeit über die Erfolgsaussichten dieser | |
Anfechtungen, auch die juristische Klasse ist in den USA stark durch die | |
republikanisch-demokratische Dualität geprägt. | |
Allerdings haben Republikaner.innen aus Pennsylvania schon vor der Wahl am | |
Supreme Court [5][gegen die Bearbeitung von Briefwahlumschlägen geklagt], | |
die zwar bis zur Wahl abgeschickt waren, aber erst in den Tagen danach | |
ankommen. Das Gericht hat dem Antrag nicht stattgegeben, diese Entscheidung | |
als Eilentscheidung zu treffen. | |
Ob die Klage überhaupt angenommen wird, diese Entscheidung steht noch aus – | |
und da Amy Coney Barrett mittlerweile dazugestoßen ist, könnte die | |
Entscheidung zugunsten einer Befassung beeinflussen. Am Mittwochnachmittag | |
haben Trumps Anwälte beim Supreme Court beantragt, sich dieser Klage | |
anschließen zu dürfen. Sollte die Mehrheit tatsächlich an Pennsylvania | |
hängen, könnte also die Frage, wer der nächste US-Präsident ist, | |
tatsächlich hier hinter den Säulen landen, vor denen drei Studentinnen aus | |
Kalifornien Wache halten. | |
6 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Junge | |
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