# taz.de -- Landesparteitag der Berliner CDU: Alles ist drin | |
> Die Christdemokraten beschließen ein breit gefächertes Wahlprogramm. | |
> Parteichef Kai Wegner ist jetzt auch offiziell Spitzenkandidat. | |
Bild: Ex-CDU-Chefin Grütters (l.) empfahl beim Parteitag ihren Nachfolger Kai … | |
BERLIN taz | Monika Grütters hat in ihrem Leben schon manche politische | |
Prüfung über sich ergehen lassen müssen, hat manche Niederlagen eingesteckt | |
und viel Erfolge gefeiert, die sie bis ins Amt der Kulturstaatsministerin | |
geführt haben. Am Samstagmittag beim CDU-Landesparteitag aber muss sie eine | |
Herausforderung der ganz besonderen Art meistern: Ausgerechnet Grütters | |
muss den versammelten rund 280 Delegierten Kai Wegner als künftigen | |
Regierungschef Berlins empfehlen – den Mann, der sie vor zwei Jahren | |
[1][für die falsche Landesvorsitzende] zur Rettung Berlins hielt, und der | |
damals erfolgreich für ihre Nachfolge kandidierte. | |
„Kai brennt für diese Stadt“, sagt Grütters – aber das liest sie | |
größtenteils genauso ab wie den Rest ihrer Nominierungsempfehlung, in der | |
sie auch noch sagt: „Ich stehe fest an Deiner Seite.“ De facto ist Wegner | |
längst Spitzenkandidat und CDU-Anwärter auf das Rote Rathaus, offiziell | |
wird es durch den folgende Abstimmung. 90,4 Prozent der Delegierten | |
votieren dabei für ihn. Das ist mehr als bei SPD-Spitzenkandidatin | |
Franziska Giffey, die [2][bei den Sozialdemokraten Ende April 85,7 Prozent | |
erhielt], und weniger als die [3][96,6 für Bettina Jarasch] im Dezember bei | |
den Grünen. | |
Dieser Samstag im weitläufigen Neukölner Hotel Estrel ist ein besonderer | |
Tag für die Christdemokraten. Nicht bloß, weil ihr auch als | |
Landesvorsitzender wieder gewählter Frontmann 99 Tage vor der Wahl [4][laut | |
der jüngsten Umfrage] weit aussichtsreicher da steht als 2016 sein | |
Vorgänger Frank Henkel: Von neun Punkten Rückstand im April ist die CDU nun | |
bis auf einen einzigen Punkt an die führenden Grünen in den Umfragen | |
herangerückt. Nein, die Delegierten genießen es auch sichtlich, beim wegen | |
Corona ersten Präsenz-Parteitag seit 2019 wieder lang vermisste Bekannte | |
von früheren CDU-Treffen wieder zu sehen. Immer wieder muss die | |
Parteitagsleitung zu Disziplin mahnen und um ein Ende der Gespräche am | |
Rande bitten. | |
Da trifft es sich gut, dass Cornelia Seibeld diese Aufgabe übernommen hat, | |
die als Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses solche Situationen gewöhnt | |
ist. Ihr schlagkräftigstes Argument: Wenn es nicht zügig weiter gehe, werde | |
man sich das um 18 Uhr anstehende [5][EM-Spiel gegen Portugal] im | |
Tagungssaal auf dem Smartphone statt zuhause ansehen können – was dann | |
merklich wirkt. | |
## Sozialisten „mit Bio-Siegel“ | |
Inhaltlich hat der Parteitag leicht überraschend begonnen. Da sagt nämlich | |
Generalsekretär Stefan Evers über die Grünen-Spitzenkandidatin: „Bettina | |
Jarasch hat Recht.“ Allerdings nur in einer Sache: Mit einer Aussage vom | |
Freitag, dass die Wahl am 26. September eine Richtungsentscheidung für | |
Berlin sei. Und zwar aus Evers Sicht keine Richtungsentscheidung über mehr | |
oder weniger Umweltschutz – aus seiner Sicht sind „die Zeiten vorbei, dass | |
die Grünen uns da etwas vor machen können.“ Für ihn sind die Grünen sowie… | |
keine Ökopartei mehr: „Sie sind inzwischen eine sozialistische Plattform | |
mit Bio-Siegel.“ | |
Die Grünen, das sei nicht „die nette Frau Jarasch“, sagt Evers, sondern der | |
maßgebende linke Parteiflügel in Friedrichshain-Kreuzberg. Dort hätten die | |
Grünen „ihre schützende Hand viel zu lang über Linksextremisten gehalten | |
haben“, spielt er auf [6][die jüngsten Ausschreitungen in der Rigaer | |
Straße] an. Evers nimmt vorweg, was Wegner später in einer weit längeren, | |
ausdauernd beklatschten, aber weniger pointierten Rede wiederholen wird: | |
„Darum geht es am 26. September: Die oder wir.“ | |
Für Erheiterung bis Kopfschütteln sorgt bei CDUlern [7][die am Freitag | |
vorgestellte Plakatkampagne der Grünen], in der alle abgebildeten Personen | |
inklusive Jarasch in einem fahlen Grünton eingefärbt sind, der nach | |
Parteiangaben lind- oder hellgrün ist. „Gesund sieht das nicht aus“, lautet | |
noch einer der netteren Kommentaren, die am Rande zu hören sind. | |
## Umfrage gibt Auftrieb | |
Wegner ist währenddessen viel im weitläufigen Saal unterwegs, vergisst kaum | |
jemanden – corona-konform – zu grüßen, steht auch mit vielen einfachen | |
Delegierten zusammen. Der CDU-Chef wirkte auch in Zeiten schlechter | |
Umfragewerte motiviert, aber die jüngsten Veränderungen – plus drei Punkte | |
bei der CDU, minus fünf bei den Grünen – geben ihm merklich zusätzlich | |
Auftrieb. | |
Allein mit der FDP als Partner kommt er nicht ins Rote Rathaus – sein Ziel | |
ist seit langem, der rot-rot-grünen Koalition die absolute Mehrheit zu | |
nehmen und dort Unterstützung zu finden. Und in der besagten Umfrage von | |
Infratest dimap steht Rot-Rot-Grün so schlecht da wie noch nie in dieser | |
Wahlperiode bei diesem Forschungsinstitut: nur noch bei 51 Prozent sehen | |
die Wahlforscher die CDU, zwischenzeitlich waren es bis zu 58 Prozent. | |
Die Debatte über das 135-seitige christdemokratische Wahlprogramm, das | |
einen mehrmonatigen Vorlauf hatte und an dem Hamburgs Ex-CDU-Regierungschef | |
Ole von Beust stark beteiligt war, bietet auch eine kleine Überraschung. | |
Zum einen gibt es, anders als beim Programmbeschluss vor der Wahl 2016, | |
immerhin eine Wortmeldung. Zum anderen füllen Änderungsanträge zum Programm | |
24 Seiten. Wobei es weitgehend kleinteilige Anliegen sind, nicht jene | |
großen Fragen wie pro oder contra Enteignung oder zum Begriff „Deutschland“ | |
als solchen, die vor einer Woche den Bundesparteitag der Grünen | |
beschäftigten. | |
Von der Themenbreite allerdings erinnert [8][das CDU-Papier] durchaus an | |
den Titel des Grünen-Programms, das mit „Alles drin“ überschrieben ist. V… | |
den großen Linien zu mehr Sicherheit, mehr Bauen und der mutmaßlichen | |
Quadratur des Kreises, sowohl Autofahrer als auch alle andere Verkehrsarten | |
fördern zu wollen ist da zu lesen.Weiter geht es mit Diversität und queerer | |
Pflege bis hin zu konkreten kleinteiligen Anliegen wie konsequentes | |
Vorgehen gegen lautstarke Motorboote und andere Störer auf Berliner Seen – | |
ist auch bei der CDU alles drin. | |
Auch wenn diese Breite mancher im Saal innerlich für zu kleinteilig oder | |
beliebig halten mag: Wenn bei Wegners Nominierung am Ende noch 20 | |
Gegenstimmen standen, so gibt es beim Beschluss des Programms kein einziges | |
„Nein“ und nur wenige Enthaltungen. Die 80 Berliner Ortsvereine der CDU | |
sollen es nun in den Wahlkampf tragen, dessen heiße Phase für | |
Generalsekretär Evers schon jetzt beginnt, und das nicht nur wegen der | |
aktuellen Temperaturen. | |
Nur kurz kommt die AfD vor. Da erinnert Evers daran, dass der | |
Spitzenkandidat eine Woche zuvor dazu alles Nötige gesagt habe. [9][Wegners | |
Worte dabei]: „Die AfD ist einer unserer Hauptgegner, ich würde so weit | |
gehen, die AfD ist unser Feind“. Mehr Erwähnung findet die | |
Rechtsaußenpartei nicht. Was nun nach dem Parteitag kommt, sind aus | |
CDU-Sicht „die letzten 99 Tage bis zum Regierungswechsel.“ | |
19 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!5582553&s=wegner+gr%C3%BCtters&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Berliner-SPD-kroent-Spitzenkandidatin/!5762653 | |
[3] /Spitzenkandidatinnen-fuer-Landtagswahlen/!5737700 | |
[4] https://www.wahlrecht.de/umfragen/landtage/berlin.htm | |
[5] https://www.tagesschau.de/sport/sportschau/deutschland-portugal-145.html | |
[6] /Ankuendigung-im-Abgeordnetenhaus/!5777058 | |
[7] https://gruene.berlin/wahl-2021/klar-geht-das | |
[8] /Landesparteitag-der-Christdemokraten/!5776900 | |
[9] https://ticker.taz.de/tkr/.lib/search?nscr=nf%2Fstart.php&tx=kai+Wegner… | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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