# taz.de -- Kunstmesse „Art Basel/Miami Beach“: Hey, wir gehören zur Luxus… | |
> Der international führenden Verkaufsausstellung für zeitgenössische Kunst | |
> „Art Basel/Miami Beach“ fehlt es an Problembewusstsein. | |
Bild: Art Basel in Miami Beach: Viele Sammler richten es sich in Floridas Idyll… | |
Zu den illustren Gästen, deren sich die Art Basel/Miami Beach in der Woche | |
vom 1. bis zum 6. Dezember rühmte, gehörte neben Hollywoodstars wie | |
Sylvester Stallone und Hilary Swank oder der Sängerin Alicia Keys auch der | |
35-jährige Jetset-Sammler Abdullah Al-Turki. Er kommt aus Saudi-Arabien, | |
dem Land also, in dem gerade der gleichaltrige Künstler Ashraf Fayadh zum | |
Tode verurteilt wurde. | |
Fayed ist Mitglied der britisch-saudischen Kunstinitiative Edge of Arabia, | |
als deren Creative Director sich Al-Turki noch vor ein paar Jahren | |
vorstellte. Umso verwunderlicher, dass das Skandalurteil in Miami überhaupt | |
nicht zur Sprache kam. Es interessiert auf der Art Basel/Miami Beach eben | |
nicht die vorsichtig sich erst herausbildende zeitgenössische saudische | |
Kunst, es interessiert das schon reichlich vorhandene saudische Geld. | |
Deutlich zeigte sich während der Messetage: Die international führende | |
Verkaufsausstellung für zeitgenössische bildende Kunst ist inhaltlich wie | |
organisatorisch auffallend ehrgeizlos. Gleich bei der abendlichen Welcome | |
Reception im Collins Park verwunderte das lieblose Arrangement des | |
sogenannten Public Sector mit Skulpturen von – unausweichlich - Tony Cragg, | |
von Robert Wilson, der seine Original-Eisenstühlen von anno dunnemals, also | |
von Einstein on the Beach, abstellte, oder Tony Tasset, der mit einem | |
riesigen, vier Meter hohen Rehkitz erschreckte. | |
Auch ein undefinierbar imposanter Berg Eisenschrott ließ nicht unbedingt | |
darauf schließen, dass die Frau, die ihn hier anhäufte, bei der Berliner | |
Galerie Contemporary Fine Arts eine der überzeugenderen Arbeiten der Messe | |
präsentieren würde. | |
Marianne Vitale, 1974 in Rockaway/Brooklyn, geboren, kann mit ihrer | |
strengen Reihung von zehn Eisenbahnweichen umstandslos und nachdrücklich | |
amerikanische Geschichte evozieren, die Kolonisierung des Landes durch die | |
Eisenbahn und ebendiese (über den gesamten amerikanischen Boden verlegte) | |
Standardweiche, über die Abermillionen Tonnen Fracht noch immer | |
hinwegrollen. Die Arbeit war denn auch schon am ersten Tag der Messe | |
verkauft. | |
## Im SUV zur Klimakunst | |
Dass die Eisenbahn nicht einfach amerikanische Vergangenheit ist, sondern | |
amerikanische Zukunft – das in den Messeinformationen zu thematisieren, | |
wäre eines der ehrgeizigen Zeichen gewesen, die man in Miami Beach | |
vermisste. Denn es fährt ein ultraschicker Zug vom Flughafen in die Stadt, | |
von dem offenbar keiner etwas weiß, so leer ist er. Kein lässlicher Fehler | |
ist es aber, dass die Shuttle-Busse (die die Messebesucher zu den | |
ortsansässigen „Übercollectors“ bringen sollen, wie die | |
Coca-Cola-Repräsentanten für Südamerika, Pablo und Rosa de la Cruz, oder | |
den Immobilientycoon Martin Z. Margulies) viel zu selten fahren. | |
Überdies ist ihr Standort so schlecht ausgeschildert, dass man am Ende doch | |
wieder im Taxi sitzt und zusammen mit den privaten SUVs und den BMW-VIP | |
Cars vor dem berühmten (Kunst-)Lagerhaus von Don und Mera Rubell einen | |
veritablen Verkehrsstau verursacht. Paris und der Klimagipfel? Werden hier | |
durchgängig als Anlass für Klimakunstwerke und Klimakunstaktionen | |
missverstanden, die „Awareness“ schaffen wollen. | |
Problembewusstsein an Ort und Stelle: Fehlanzeige. Das müsste nun nicht | |
interessieren, wäre die Messe nicht ein Treffpunkt des berühmt-berüchtigten | |
einen Prozents, also der Leute, die global Macht und Einfluss haben. Hier | |
sind sie in Partylaune, geben sich privat – und geben damit auch Einblick | |
in ihr gesellschaftliches Selbstverständnis. Es idiosynkratrisch zu nennen | |
ist das Mindeste. | |
## Künstlerinnen sind in Miami angesagt | |
Schwerer wiegt, dass es darin symptomatisch ist. Nicht wenige Sammler | |
unterstützen etwa Human Rights Watch. Da sollte man doch denken, für sie | |
müsse der Fall Fayadh gerade hier, während der Zusammenkunft der | |
internationalen Kunstszene, ein Anliegen sein. Aber davon ist nichts zu | |
bemerken. Ähnlich unklar ist auch das Verhältnis zu Kunst und Sammeln. | |
Zwar positioniert sich beispielsweise die Familie Rubell mit ihrer | |
aktuellen Schau „No Man’s Land“ an der Spitze eines kunst- wie | |
gesellschaftspolitisch relevanten Trends, der schon auf vorangegangenen | |
Messen, jetzt aber auf der Art Basel/Miami Beach besonders deutlich wurde: | |
Künstlerinnen sind angesagt. Gleichzeitig ist die Schau mit hundert oft | |
noch sehr jungen weiblichen Positionen so ungeschickt summarisch, so fern | |
jeder anregenden, bedeutungsstiftenden Erzählung aufgestellt, dass es | |
schwerfällt, ihren Beweggrund zu erkennen. Nur vornedran sein ist es sicher | |
nicht, doch was dann? | |
Da wäre man neugierig, zu erfahren, wohin die 16 schwarzen Assemblagen der | |
Bildhauerin Louise Nevelson gehen, die bei der Pace Gallery, die sie seit | |
1963 vertritt, für Preise zwischen 75.000 und 1 Million Dollar das Stück | |
verkauft wurden. Barbara Kruger erzielte bei der Galerie Sprüth Magers für | |
ihr neustes Wortbild „Untitled (Beneath You)“ 320.000 Dollar. Sherrie | |
Levine verkaufte bei David Zwirner 18 Postkarten für 185.000 Dollar. | |
## Kluger Schachzug und Klauen bei Hermès | |
Dass sich die Berliner Galeristin Barbara Thumm fast ausschließlich auf | |
Künstlerinnen verlegt hat, ist ein kluger Schachzug. Sie zeigt mit der | |
Peruanerin Teresa Burga eine faszinierende Position der südamerikanischen | |
Pop-Art der 1960er Jahre. Eine kleine Papierarbeit der bekannteren | |
Brasilianerin Lygia Clark ging bei der Alison Jacques Gallery für | |
unglaubliche 600.000 Dollar weg. Wesentlich günstiger, aber nicht weniger | |
reizvoll: die Architekturfantasien von Isa Melsheimer bei Jocelyn Wolff aus | |
Paris. Ehrgeiz zeigte Javier Peres von Peres Projects, der die Preise für | |
Dorothy Iannones lustvoll-naive Erotikmalereien stark anhob, bis zu 150.000 | |
Dollar, und sie erfolgreich verkaufte. | |
Weniger ehrgeizig und damit repräsentativ für das Messekalkül der Händler | |
hinsichtlich einer sehr statusbewussten internationalen Sammlerklientel | |
sind all die Frank Stellas, die im Windschatten seiner großen Retrospektive | |
im Whitney Museum in New York bei den Galerien Marianne Boesky, Mnuchin, | |
Sperone Westwater, Van Doren Waxter, Waddington Custot, Bernard Jacobson | |
und last, not least, Dominique Lévy auftauchen. | |
Auf das Museumsrenommee ist eben Verlass. Dass ein Joseph-Beuys-Porträt, | |
das Andy Warhol 1980 fertigte, bei Thaddeus Ropac für 1,4 Millionen Dollar | |
wegging, ist folgerichtig. Ebenso, dass die Picasso und Matisse der Hammer | |
Gallery dann bei 20 bis 50 Millionen liegen. | |
Ihren 50. feierte die Züricher Galerie Gmurzynska – Anlass für Starkurator | |
Germano Celant, ihren Stand als völlig durchgeknallten Mix aus Motherwell | |
und Lagerfeld, Malewitsch und Helmut Lang zu inszenieren. Beim ersten Blick | |
in den überbordenden Kunstsalon dachte man: Hier haben aber gerade sehr | |
viele bei Hermèseingekauft! − überall standen die berühmten orangefarbenen | |
Tüten und Schachteln herum. Aber dann stellte sich heraus: Nein, es war nur | |
Mimikry, sie hatten bei Gmurzynska eingekauft, die den Hermès-Stil geklaut | |
haben, um zu signalisieren: Hey, wir gehören auch zur Luxusindustrie. | |
6 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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