# taz.de -- Kunst und Kunstpolitik in Berlin: Motorgirls und Tubenmänner | |
> Die Ausstellung des Kupferstichkabinetts „Pop on Paper“ im Kulturforum | |
> regt das Nachdenken über den Kunstbetrieb und seine Fallstricke an. | |
Bild: Ausschnitt aus Roy Lichtenstein, Crying Girl, 1963 | |
„Pop on Paper“ verdankt sich zum größten Teil Alexander Dückers, der von | |
1970 bis 2002 den Aufbau der amerikanischen Sammlung im Kupferstichkabinett | |
verantwortete. Wie der Kustos und spätere Direktor der graphischen Sammlung | |
im Ausstellungskatalog berichtet, betrug sein Ankaufsetat in den 1960er | |
Jahren 200.000 Mark pro Jahr. In den 1980er Jahren wurde er um 100.000 Mark | |
erhöht, um in den 1990er Jahren ganz gestrichen zu werden. Also just zu dem | |
Zeitpunkt, als Berlin nach dem Fall der Mauer aufbrach, wieder Bedeutung | |
auf der Weltkarte der zeitgenössischen bildenden Kunst zu erlangen. | |
Und wenn es eine Zeit lang so aussah, als könnte das gelingen, machten | |
Entscheidungen wie die oben genannte schnell deutlich: Für diese Aufgabe | |
reichten weder die finanziellen, personellen noch intellektuellen | |
Ressourcen von Stadt und Land Berlin, noch die des Bundes als Drittem im | |
Bund. | |
Die zunächst dringend notwendigen enormen Baumaßnahmen – zunehmend aber | |
schlicht Luxusplanungen – verstellten den Blick darauf, dass die | |
erforderliche Ausstattung und Betreuung der vorhandenen Sammlungen und | |
Bestände genauso wenig gewährleistet war wie ein tragfähiger | |
Zukunftsentwurf für die Häuser und Sammlungen. Dafür genügte das „Sammeln | |
von Sammlern“. | |
Das bedeutete natürlich reichlich „do ut des“-Absprachen bei fehlender | |
Transparenz, wer wem eigentlich was gibt. Nachhaltigkeit war für die | |
Staatlichen Museen, die Senatsverwaltung für Kultur und Europa oder die | |
Kulturstaatsministerin genauso wenig inbegriffen. | |
## Berlin verliert seine Kunstmesse und seine Sammler*innen | |
Die Kunstmesse verlor man jetzt, weil sich die entsprechende | |
Senatsverwaltung nicht in der Lage sieht, der Betreibergesellschaft | |
Planungssicherheit für den Hangar im Flughafen Tempelhof als Messestandort | |
2020 zu geben. Die F. C. Flick Collection büßt man ein, weil man dem | |
Verkauf der Rieck-Hallen im Zuge der Bahn-Privatisierung nichts | |
entgegensetzte, nicht einmal den Notnagel eines Denkmalschutzes für die | |
Rieck-Hallen. 2021 werden sie jetzt abgerissen. | |
Nach Thomas Olbricht, der Wella-Erbe zieht sich mit seinem „me Collectors | |
Room“ wieder in die heimischen Gefilde im Ruhrgebiet zurück, erwägt nun | |
auch Julia Stoschek diesen Schritt. 2016 eröffnete sie im ehemaligen | |
Tschechischen Kulturzentrum an der Leipziger Straße eine Dependance ihrer | |
in Düsseldorf beheimateten Sammlung mit zeitbasierter Medienkunst. Auch sie | |
scheint mit der Immobilie Probleme zu haben. Der Vermieter ihrer Räume, die | |
Stoschek für rund eine Million Euro saniert hat, die Bundesanstalt für | |
Immobilienaufgaben, renoviert nun ihrerseits die Außenfassade des Hauses | |
und möchte ihr deshalb die Miete kräftig erhöhen. | |
Hört man „Motorgirl“ Stoschek – sie ist Gesellschafterin der Fahrzeugtei… | |
Brose GmbH, eines der weltweit größten Autozulieferer – jedoch genau zu, | |
ist auch sie wegen der Berliner Wurschtigkeit versucht, sich aus der Stadt | |
zurückzuziehen. Obwohl sie mit ihrer Sammlungspräsentation einen der | |
wenigen Orte in Berlin unterhält, wo Kunst internationale Strahlkraft und | |
Relevanz und dazu ein interessiertes, junges und diverses Publikum hat, | |
bringen Berlins Kulturpolitiker und Museumsleute kein Wort der Anerkennung | |
über die Lippen. | |
„Bei mir meldet sich niemand“, klagte sie gerade im Gespräch mit der | |
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung über die Staatlichen Museen. Aber | |
die sprachen ja immer nur vom Sammeln der Sammler. Also, worüber wundert | |
sich Julia Stoschek? Zumal sie mit ihrem Erfolg an einen wunden Punkt | |
rührt. | |
## Damals sammelte man gerade Erich Marx | |
In den 1990er Jahren, als Berlin ins neue Kunstzeitalter der Stadt | |
aufbrach, wurde ausgerechnet der Kurator kaltgestellt, der gerade noch im | |
Kölner Kunstverein mit Brian Eno zusammengearbeitet hatte und der auch in | |
Berlin weiter auf Video, Fotografie und neue Medien setzen wollte. Aber | |
damals sammelte man gerade Erich Marx. Dessen Kreise durften nicht gestört | |
werden. Schon gar nicht von Marie Jo Lafontaine, Mary Lucier oder Ulrike | |
Rosenbach, Künstlerinnen, die Wulf Herzogenrath im Rahmen der Berliner | |
Festwochen 1989 gezeigt hatte. | |
Künstlerinnen stören denn auch nicht weiter in der aktuellen | |
Sammlungspräsentation „Pop on Paper“, die unter den entsprechenden | |
Vorsichtsmaßnahmen wegen der Coronapandemie am 12. Mai im Kulturforum | |
eröffnet hat. Andreas Schalhorn, der Ausstellungskurator, versucht dieses | |
Manko erst gar nicht zu überspielen. | |
Er stellt es im Gegenteil offensiv aus, mit [1][Antje Dorns] „Motorgirls“ | |
(2000/2001), wunderbar bösen, witzigen Paraphrasen auf die Unart der Pop | |
Art, nackte oder halbnackte, junge, sexy Frauen mit Produkten der | |
Konsumgüterindustrie zu kombinieren, um sie als die begehrliche Ware zu | |
zeigen, die sie für Männer wie in der Ausstellung etwa Mel Ramos nun mal | |
darstellten. | |
Dorns Gouachen finden sich auf einem der Quersteller, die die einzelnen | |
thematischen Bereiche abteilen und einer allzu einfachen Lesart des | |
Materials gegensteuern. Sie rufen ins Bewusstsein, dass es hier nicht nur | |
um den Durchbruch der Pop Art im Medium des Siebdrucks, sondern ebenso um | |
Sammlungsgeschichte und Bestandspflege geht. Also das, was definitiv zu | |
kurz kommt im aktuellen Museumsbetrieb. | |
## Die Nähe von Massenmedien und Kunst in der Pop Art | |
Daher bleibt man gleich mal vor Roy Lichtensteins „Crying Girl“ (1963) | |
stehen, dessen tränenreiche Verzweiflung bestens zu der eigenen | |
hinsichtlich der Berliner Kunstzustände passt. Das in Lichtensteins | |
berühmter Rasterpunkt-Ästhetik entworfene „Crying Girl“ ist ein Plakat f�… | |
die Leo Castelli Gallery, die in dieser Form ihre Vernissagen-Einladungen | |
gestaltete. | |
Wie nahe sich Massenmedium und Kunst in der Pop Art – ganz gewollt – | |
kamen, zeigt das Nebeneinander von Lichtensteins berühmtem „Brushstroke“ | |
(1965) als Plakat für Castelli (in den 1970er Jahren von der | |
Kunstbibliothek angekauft) und als signierter Siebdruck (Schenkung von Hans | |
+ Uschi Welle, 2001). | |
Dass das Kupferstichkabinett mit einer wirklich tollen, sehenswerten | |
Ausstellung aufwarten kann, hängt eben damit zusammen, dass die Pop Artists | |
vor allem Drucker waren beziehungsweise mit solchen zusammenarbeiteten – | |
und sehr viel weniger Maler. Niemand steht dafür mehr als Andy Warhol, | |
dessen früher Versuch des seriellen Kunstwerks von 1959 stammt, es hanbdelt | |
sich um ein kleines Blatt mit Stempeldrucken von „Twelve Cupids“. | |
Mit Andy Warhol vor allem verbindet man den Begriff des Siebdrucks. Aber | |
sie arbeiteten alle mit diesem Verfahren, Robert Indiana, dessen „Love | |
Wall“ (1967) die Staatlichen Museen 1976 im Kunsthandel gekauft hatten, | |
während sein Plakat für den ersten „Kunstmarkt Köln 67“ eine Schenkung v… | |
Egidio Marzona im Jahr 2002 ist. | |
## Wer dreht den Tubenschlüssel? | |
Am Ende läuft man auf den monumentalen Fries „F-111 (North, East, South, | |
West)“ (1974) von James Rosenquist zu, der den Höhepunkt der Ausstellung | |
bildet. Der Künstler überblendet den namengebenden Kampfbomber mit einem | |
Autoreifen, einem Mädchen unter der Trockenhaube, einem Atompilz und einer | |
Napalmkartusche zum (Alb-)Traumbild des US-amerikanischen Alltags in den | |
1960er Jahren. Der Druck, der Lithografie und Siebdruck mischt, ist die | |
Adaption eines Gemäldes von 1965, das Rosenquist 1974 anfertigte. Kurz | |
darauf erwarb ihn das Kupferstichkabinett. | |
Neben den englischen Ursprüngen der Pop Art, etwa Eduardo Paolozzi und | |
Richard Hamilton, trifft man auch auf Übernahmen der Pop Art hierzulande, | |
darunter Drucke von K. P. Bremer, Sigmar Polke und der herrlich schlauen | |
Maria Lassnig. Bei ihr werden Mensch und Markenprodukt gleich eins, und | |
deshalb kann sie ihren „Tubenmann“ (1970) mit dem definitiv amerikanischen | |
Werkzeugschlüssel und einem definitiv europäischen Sarkasmus aus- und | |
flachquetschen. | |
Und da stellt sich die Frage, wer im Berliner Kunstbetrieb den | |
Tubenschlüssel dreht: die Sammler*innen? Die Immobilienfritzen? Womöglich | |
die Kulturpolitiker? Die Museumsleute? | |
26 May 2020 | |
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## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
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