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# taz.de -- Kunst in Istanbul: Einfach mal durchatmen
> Sie versuchen die Kunstfreiheit am Bosporus hochzuhalten: Über die
> Istanbul Biennale und die Kunstmesse Contemporary Istanbul.
Bild: In Istanbul zu sehen: Untitled, 1994-96, Ceramic, 46,5 x 600 x 48 cm
Eine Zickzackform aus Stahl aus einem Sockel. In dem kleinen Maçka
Sanatçılar Parkı im Istanbuler Norden stehen sonst nur bemooste Büsten von
Herrschern aus der anatolischen Frühzeit, Spaziergänger ruhen sich aus,
Katzen dösen. Umso verdutzter betrachteten vergangene Woche die Passanten
in der kleinen Großstadtoase Tony Craggs Arbeit „Red Figure“ – eine fast
futuristische Mischung aus Abstraktion und Figuration: halb Gesicht, halb
Tornado.
Das „Fünfte Element“ hat die Istanbuler Kunstmesse „Contemporary Istanbu…
den harmlosen Skulpturenparcours betitelt, den sie sich für ihre 12.
Ausgabe ausgedacht hat. Misst man sie an dem neuen Kunststandard am
Bosporus, wurden seine neun Arbeiten plötzlich zu subversiven Objekten. Mit
dem Diktum „Die Skulptur gehört nicht zu unseren nationalen Werten“ hatte
Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan zum Auftakt der Istanbuler Kunstwoche
dieser gefährlichen Gattung eine Absage erteilt.
Die Szene zeigt türkische Kunst zwischen Druck und Selbstbehauptung. Und
nicht zuletzt wegen dieser prekären Lage fanden in diesem Herbst wohl zwei
Veranstaltungen zur gleichen Zeit statt, die sonst mehrmonatigen
Sicherheitsabstand hielten: Die 1987 gegründete Biennale der Istanbuler
Stiftung für Kunst und Kultur (IKSV) und die 2006 ins Leben gerufene
Kunstmesse Contemporary Istanbul (CI) des Tourismusunternehmers Ali Güreli.
Zusammen sind wir stärker, dürften sich die einstigen Opponenten gedacht
haben. Mit interessantem Effekt: Exemplarisch beleuchten die beiden
Veranstaltungen zwei seltsam spiegelverkehrte Strategien, die Kunstfreiheit
zu verteidigen.
## Wege aus dem Dilemma
Spätestens nach dem gescheiterten Militärputsch vor einem Jahr schien die
Aufgabe des dänisch-norwegischen Kuratorenpaares Elmgreen und Dragset, die
15. Ausgabe der Biennale zu kuratieren, zur mission impossible zu werden.
Einerseits sollten die Künstler die Tradition einer Biennale mit hohem
politischem Konfliktpotenzial fortführen. Andererseits sollten sie deren
Existenz nicht gefährden.
Das Subtile, Metaphorische vieler Arbeiten, mit der sich die Kuratoren aus
diesem Dilemma winden, zeigt die Istanbuler Künstlerin Candeğer Furtun. Die
neun Männerbein-Paare aus Keramik in einem gekachelten Baderaum auf einer
Bank fragen nach individuellen Körperpraktiken. So breitbeinig tritt die
Türkei aber auch politisch gegenüber ihren acht Nachbaarstaaten auf.
Der einzig direkte Hinweis auf die konkrete Politik kommt von der
marokkanisch-französischen Künstlerin Latifa Echakhch. Mit ihren
zerbröselnden Wandzeichnungen des Gezi-Aufstands im Istanbul Modern spielt
sie auf das Verschwinden einer Hoffnung an.
Umgeht die nichtkommerzielle Biennale die direkte politische Konfrontation
mit dem Erdoğan-Regime mit Verschlüsselung, wird die Kunst ausgerechnet auf
der, leider immer noch zweitklassigen, CI-Kunstmesse offensiv politisch.
## Medienwahrnehmung und Realität
Ob nun Istanbuls Alan-Galerie Kezban Arca Batıbekis Bild „No Promised Land“
(2017) zeigt, auf denen die türkische Künstlerin klassische
Landschaftsidyllen mit solchen von Krieg und Flüchtlingslagern kombiniert.
Oder ob man die Fotos nimmt, mit denen die Berlin-Istanbuler Galerie
Zilberman an die spektakuläre Aktion der türkischen Künstlerin Şükran Moral
erinnerte, die vergangenes Jahr ein blutiges Tierherz an die Wand nagelte –
Symbol für den existenziellen Schmerz ihres Landes.
Wer in diesen Tagen an den Bosporus kam, erlebte eine markante Diskrepanz
zwischen Medienwahrnehmung und Realität. Gleicht, von Deutschland aus
gesehen, die ganze Türkei längst einem Gefängnis, verblüffte eine Kuratorin
im Gespräch mit dem Geständnis: „Wir erleben hier unsere glücklichste
Zeit.“ So gibt es tatsächlich schon recht lange keine Attentate oder
Anschläge mehr.
Illusionen über die Aussichten im Land macht sich dennoch niemand. Mochten
auch Messedirektor Ali Güreli und seine graue Eminenz Hasan Bülent
Kahraman, Vizerektor der Hadir-Kas-Universität, sich noch so sehr an die
vage Hoffnung klammern, dass Kunst in der Türkei trotz der „schwierigen
Zeiten“ im Land auf lange Sicht die „Welt besser machen“ werde. Nach zwö…
Kunstmessen marschiert die Türkei derzeit geradewegs in eine Diktatur.
## Kein Signal zur Entwarnung
Erst im Februar hatte Erdoğan in einer Rede angekündigt, dass man in der
Kultur noch am wenigsten erreicht habe. Insofern war die irritierende
Fröhlichkeit, mit der am Bosporus ein Programm abgespult wurde, das der
Berliner Art Week in nichts nachstand, weniger ein Signal zur Entwarnung.
Kunst hat hier eher die Funktion, die Biennale-Direktorin Bige Örer auf der
Eröffnung im Garten der alten französischen Botschaft mit den Worten
beschrieb: „Einfach mal durchatmen“.
So politisch wie in den 1990er Jahren wird die Kunst in der Türkei nicht
mehr werden. Ausgerechnet der Kampfesmut eines kemalistischen Fossils wie
des 1957 geborenen Bedri Baykam wird da plötzlich zu einer Hoffnung. Auf
dem Stand seines Piramid Art Centers auf der CI-Messe bot die historische
Figur der türkischen Kunstgeschichte für anderthalb Millionen Dollar eine
ziemlich alte Arbeit an.
„Box of Democray“ heißt die Holzkabine, die er 1987, in den Jahren nach dem
Militärputsch in der Türkei, im Gründungsjahr der Istanbul-Biennale
kreierte. Wer das einen Quadratmeter große Symbol für ein Stück Freiheit
betritt, kann ein Telefon benutzen oder Graffiti an die Wand schmieren. Zu
Zeiten, in denen am Bosporus der „deep deep fascism“ anbricht, wie eine
Kuratorin seufzte, ist das Erbstück aktueller denn je. Nicht zuletzt ist
Baykams Arbeit eine wunderbare Skulptur.
20 Sep 2017
## AUTOREN
Ingo Arend
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