# taz.de -- Künstliche Intelligenz und Artenschutz: Verlässliche Daten | |
> Die Beobachtung von Tieren und ihren Lebensräumen produziert Unmengen von | |
> Daten. Künstliche Intelligenz hilft, sie auszuwerten. | |
Bild: 250 Geoparden in Namibia bekamen einen GPS-Sender | |
Manchmal braucht es Daten, um einen Streit zu schlichten. In Namibia kommt | |
es oft zu Konflikten zwischen Farmern und Geparden, die auf deren riesigen | |
Arealen leben und jagen. Vor allem die Kälber sind für die Großkatzen | |
leichte Beute. Um sich zu wehren, greifen die Farmer mitunter zum Gewehr – | |
und das, obwohl die gefährdeten Geparde unter Artenschutz stehen. Einen | |
Lösungsansatz für den Konflikt bringt ein Forschungsprojekt des | |
Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). Die Forschenden | |
verpassten dabei 250 Geparden einen GPS-Sender und verfolgten jede Bewegung | |
der Großkatzen. Um mehr über ihre Territorien herauszufinden, haben die | |
Forschenden einen gewaltigen Datensatz ausgewertet. | |
Eine wichtige Erkenntnis: Geparde nutzen offensichtlich Büsche und Bäume | |
als eine Art „Soziales Netzwerk“. Mit Kot und Urin verkünden sie | |
Paarungsbereitschaft oder warnen die Konkurrenz auf der Durchreise. Um | |
diese Stellen herum gibt es dementsprechend viele Geparden-Bewegungen. Nun | |
werten die Forschenden mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz | |
[1][Bewegungsdaten der Großkatzen aus], um festzustellen, ob sie an diesen | |
Stellen auch fressen und sich ausruhen. So sollen Schutzmaßnahmen für die | |
bedrohten Tiere entstehen. Eine erste gibt es bereits: Kälber werden von | |
den Bäumen ferngehalten. Die Vieh-Risse gingen auf den Testfarmen deutlich | |
zurück, weniger Geparde wurden geschossen. | |
Für Wanja Rast, Datenspezialist am Berliner IZW, zeigt dieses Beispiel das | |
Potenzial von Künstlicher Intelligenz für Wildtierforschung und | |
Artenschutz. „Moderne Instrumente der Tierbeobachtung wie Satellitenbilder, | |
Fotofallen oder Bewegungssensoren erzeugen riesige Datenmengen, die | |
händisch kaum noch ausgewertet werden können. Mit Hilfe von KI-Anwendungen | |
bekommen wir schnell und verlässlich Informationen über den Artenreichtum | |
in unzugänglichen Regionen oder die Bewegungsmuster von Tierwanderungen“, | |
sagt er. Nicht wenige Forschende sprechen deshalb von einem „Game Changer“ | |
für die Wildtierbiologie. | |
## Beispiel visuelle Tierbiometrie | |
Ein Game Changer fällt natürlich nicht vom Himmel. Für ihre Anwendung in | |
der Forschung muss die KI speziell trainiert und mit dem Wissen von | |
möglichst vielen Forschenden gefüttert werden. Ein Beispiel dafür ist die | |
visuelle Tierbiometrie. Dieses neue interdisziplinäre Forschungsgebiet | |
beschäftigt sich damit, in autonom aufgenommenem Bild- und Videomaterial | |
Tiere automatisch zu erkennen, Spezies zu klassifizieren und einzelne Tiere | |
zu identifizieren. Im Kongobecken, dem zweitgrößten Regenwald der Welt, | |
wird diese Technik zum Schutz von bedrohten Arten wie Waldelefanten, | |
Schuppentieren oder Gorillas eingesetzt. | |
Für ein Pilotprojekt stellt die Nationalparkbehörde in Gabun auf einem | |
7.000 km² großen Waldgebiet über 200 Kamerafallen auf. Forschende der | |
Universität Stirling brachten einer [2][KI namens Mbaza] bei, die Tiere des | |
Regenwaldes zu erkennen und nach Auffälligkeiten Ausschau zu halten. Dafür | |
wurden sogenannte Trainingsdatensätze mit bekanntem und schon analysiertem | |
Bildmaterial angelegt. Im Prinzip ist es so, als schaut man mit einem | |
Kleinkind zusammen ein Wimmelbuch über Tiere an. Nach vielen Wiederholungen | |
weiß das Kind auch, wie ein Gorilla oder ein Elefant aussieht. Der | |
wesentliche Unterschied liegt in der Komplexität: An einem solchen Training | |
sind viele verschiedene Spezialistinnen beteiligt, um die sehr | |
unterschiedlichen Arten im Regenwald verlässlich zu unterscheiden. Laut den | |
Entwickelnden kann Mbaza bis zu 3.000 Bilder pro Stunde analysieren und hat | |
dabei eine Erfolgsquote von 96 Prozent. | |
Dabei zählt die KI nicht nur die Tiere und liefert einen Überblick zu der | |
Artenvielfalt im Regenwald. Sie hält auch nach ungewöhnlichen Ereignissen | |
Ausschau. Besteht zum Beispiel der Verdacht, dass Wilderer in der Region | |
unterwegs sind, werden die örtlichen Ranger informiert. Mensch und KI gehen | |
auch bei den Geparden in Namibia Hand in Hand. Die ausgewerteten | |
Bewegungsdaten der Geparde aus Namibia allein zeigen nämlich nur, dass die | |
Großkatzen öfter an einem Baum vorkommen. | |
Um die Frage nach dem Warum zu beantworten, legten sich die Forschenden auf | |
die Lauer und beobachteten die Großkatzen beim Markieren. „Die | |
Wildtierforschung lebt auch zukünftig von Beobachtungen. Allerdings fallen | |
diese kürzer oder gezielter aus. Die störende Anwesenheit von Menschen in | |
den Lebensräumen der Wildtiere wird so auf ein Minimum begrenzt“, sagt der | |
Datenspezialist Wanja Rast. | |
## Schwer zugängliche Ökosysteme | |
Es gibt auch Ökosysteme, die für uns Menschen nur schwer zugänglich sind. | |
Bei ihrer Erforschung ist Künstliche Intelligenz ebenfalls eine große | |
Hilfe. Ein Beispiel dafür sind Korallenriffe mit ihrer enormen | |
Artenvielfalt. Ihre große Bedeutung für maritime Ökosysteme ist bekannt, | |
genauso wie die Bedrohung durch den Klimawandel. Ihre Erforschung steckt | |
trotzdem noch in den Kinderschuhen. Das Unwissen erschwert ihren Schutz. | |
Am Leibniz-Zentrum für maritime Tropenforschung suchen Arjun Chennu und | |
seine Kollegen deshalb nach neuen Möglichkeiten, um Riffe zu untersuchen. | |
„Wir wollen Korallenriffe mit Hilfe kleiner Unterwasser-Roboter kartieren | |
und die Artenvielfalt darin erfassen“, erklärt Chennu. Ein dafür | |
entwickeltes [3][Unterwassermessgerät namens HyperDiver] hat besonders | |
hochauflösende Kameras an Bord, die sehr viele Aufnahmen vom | |
Korallenriffboden machen. Anschließend werden die Bilder von einer KI | |
ausgewertet und zum Beispiel Lebewesen und Subs-traten auf dem Meeresboden | |
automatisch zugeordnet. Dieser Ansatz soll helfen, die Funktionen und | |
Dynamiken innerhalb der Korallenriffe besser zu verstehen. Chennu nennt es | |
die Zählung des Unzählbaren. | |
Von dieser Forschung könnten am Ende nicht nur die Meeresbiologen | |
profitieren. „Denkbar sind zum Beispiel neue Überwachungsmethoden, um die | |
Gesundheit der Riffe im Blick zu behalten und frühzeitig vor | |
Verschlechterung zu warnen“, sagt Chennu. Eine entsprechend trainierte KI | |
könnte zum Beispiel mit Unterwasser-Kameras in Korallenriffen frühzeitig | |
vor drohenden Seesternplagen warnen. Manche Seesternarten fressen | |
Steinkorallen und gefährden damit ohnehin schon bedrohte Riffs. Mit | |
Tauchern oder Unterwasser-Fahrzeugen versucht man ihnen am Great Barrier | |
Reef entgegenzuwirken. Mit einer frühzeitigen Warnung wären diese | |
Schutzmaßnahmen besser koordinierbar. | |
Auch bei der Festlegung der unlängst beschlossenen Schutzgebiete auf hoher | |
See könnte Künstliche Intelligenz wichtige Anhaltspunkte geben. Ein | |
Beispiel dafür ist die Beo-bachtung von Buckelwalen und ihren Wanderrouten. | |
Sie lassen sich nur schwer nachvollziehen, immerhin sind die Ozeane riesig | |
und die Meeressäuger tauchen tief. Ihr Gesang ist aber über viele hundert | |
Kilometer hinweg zu hören. Fachleute von der US-Ozeanographie-Behörde haben | |
deshalb [4][akustische Aufzeichnungsgeräte zu Wasser gelassen], um so die | |
Meeressäuger besser zu verfolgen. | |
Es entstanden über 190.000 Stunden Aufzeichnungen. So schön Walgesänge auch | |
sein mögen, diese exorbitante Menge ist zu viel für menschliche Ohren. Mit | |
Hilfe von KI lässt sich der Buckelwalgesang ausfindig machen und die Tiere | |
lokalisieren. Die Forschenden stellten fest, dass die Buckelwale auch an | |
abgelegenen Inseln im Nordpazifik unterwegs sind. Dort wurden die | |
Meeressäuger noch nie zuvor beobachtet. Ob und wie sie in Zukunft geschützt | |
werden, darüber müssen allerdings Menschen entscheiden. | |
3 Apr 2023 | |
## LINKS | |
[1] https://link.springer.com/article/10.1007/s42991-022-00284-w | |
[2] https://appsilon.com/data-for-good/mbaza-ai/ | |
[3] https://www.nature.com/articles/s41598-017-07337-y | |
[4] https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmars.2021.607321/full | |
## AUTOREN | |
Birk Grüling | |
## TAGS | |
Tierforschung | |
Wildtiere | |
Datenspeicherung | |
künstliche Intelligenz | |
Kolumne Digitalozän | |
Wildtiere | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Reisen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ein Wort für die KI-Nutzung: Der genial gepromptete Liebesbrief | |
Was haben Tesa und Tempo, was Apple nicht hat? Genau, ein eigenes Wort. In | |
Sachen Künstliche Intelligenz können wir da schon mal auf Wortsuche gehen. | |
Living Planet Report 2020: Wildtiere verschwinden von der Erde | |
68 Prozent weniger Landwirbeltiere seit 1970 zeigt das wichtige | |
Öko-Barometer des WWF. Zuletzt hat sich der Rückgang aber verlangsamt. | |
Tierschützer fordern Verbot wegen Corona: Gefährliche Importe von Wildtieren | |
Naturschützer fordern, die Einfuhr von lebenden Wildtieren zu verbieten: | |
Als Maßnahme gegen die Übertragung von Krankheitserregern. | |
Tripadvisor in der Kritik: Wildtiere sind kein Urlaubsziel | |
Tierschützer werfen der weltgrößten Touristikwebsite vor, von grausamen | |
Attraktionen zu profitieren. Die weist die Schuld von sich. |