# taz.de -- Kritik an „Germanys Next Topmodel“: „Bin ich schön genug?“ | |
> Am Donnerstag startet die achte Staffel von „Germanys Next Topmodel“. Die | |
> „PinkStinks“-Aktivistin Stevie Schmiedel will, dass die Sendung abgesetzt | |
> wird. | |
Bild: Auch du kannst ein Topmodel werden. | |
taz: Frau Schmiedel, soll der Fernsehsender Pro 7 die Show „Germanys Next | |
Topmodel“ absetzen? | |
Stevie Schmiedel: Ja, natürlich sollte man sie absetzen. Die Sendung | |
verspricht: „Auch du kannst ein Topmodel werden“, das ist ein direkter | |
Appell, der Mädchen maßlos verunsichert. | |
Welches Gremium sollte auf solche Entscheidungen hinwirken? | |
Unsere Kampagne gilt zuerst der Außenwerbung für die Sendung. Fernsehen | |
kann man einschränken, aber Plakatwerbung sehen alle, auch kleine Kinder. | |
Deshalb wollen wir, dass dem Werberat eine Ethikkommission zur Seite | |
gestellt wird, die die psychosozialen Auswirkungen beurteilt. Und wir | |
machen darauf aufmerksam, dass die Sendung das Körperbild von Kindern | |
schädigt. Schon mit 8 Jahren gucken Kinder diese Show. Ab der dritten | |
Klasse wird Modeln geübt, man spielt an Kindergeburtstagen Topmodel: Wer | |
fliegt raus? Bei unseren Straßenaktionen erzählen uns Eltern: Meine Tochter | |
macht sich Gedanken, ob sie zu dick ist. 8- bis 10-Jährige werden heute mit | |
Essstörungen in Kliniken eingeliefert. | |
Sollten Eltern ihren Kindern diese Sendung verbieten? | |
Ich halte nicht viel von Verboten. Die Sozialpädagoginnen, die bei uns | |
mitmachen, schauen sie mit den Kindern. Aber sie sagen: Wenn ihr euch | |
hinterher wohlfühlt in eurem Körper und nicht in euren Speckfalten | |
rumkneift, dann können wir die Sendung gern weiter gucken. Das | |
Zentralinstitut für Kinder- und Jugendfernsehen hat auch eine Schulstunde | |
dazu entwickelt: Wie sieht das Modelleben wirklich aus? Kate Moss kam nur | |
mit Koks und Wodka über die Runden. Warum werden Frauen durch | |
Schönheitsideale unsicher gehalten? | |
Ja, warum? | |
Bin ich schön genug? Bin ich toll genug? Nein? Dann muss ich noch dieses | |
oder jenes Produkt kaufen. Das ist das Interesse der Konsumgüterindustrie. | |
Frauen werden als Statussymbol präsentiert. Die Frauen möchten gern dieses | |
Statussymbol sein und die Männer möchten es gern haben. | |
Aber Schönheitsideale gab es schon immer. Die Griechen … | |
Aber es ist nie so unerreichbar gewesen wie heute: Die griechischen Statuen | |
haben Bäuche und Schenkel. Seit den 60er Jahren wird das Ideal immer | |
dünner. Das ist auch die Zeit, seit der Frauen arbeiten gehen, die Pille | |
nehmen, unabhängiger werden. Dieses niedliche kleine Twiggy-Wesen mit den | |
großen Augen ist ein unbewusster Wunsch nach Rückkehr in die Kinderwelt, | |
als Frauen noch nicht so viel Verantwortung hatten. | |
Können Sie der Sendung auch etwas Positives abgewinnen? | |
Nein. Heidi Klum ist eine begabte Entertainerin, finde ich. Aber 80 Prozent | |
der britischen Mädchen wollen Model werden. Die höchste Jobsicherheit haben | |
wir aber zurzeit in mathematisch-technischen Berufen. Eine Kindheit, die | |
schon mit Barbie anfängt, führt aber ganz woanders hin. Mädchen haben keine | |
Möglichkeit, räumliches Denken zu entwickeln, Abenteuer zu erleben. Wer | |
statt mit Lillifee mit dem Pendant für Jungs, Käpt’n Sharky und seinen | |
Abenteuern, aufwächst, wird nicht so viel Verlangen nach Hin- und Hergehen | |
auf einem Laufsteg entwickeln. | |
Aber es gab eine Topmodel-Gewinnerin, die war Mathematik-Studentin. | |
Offenbar war in deren Kopf Platz für beides. | |
Natürlich geht beides. Es wird auch nicht aus jedem Mädchen, das mit einer | |
Barbie spielt, ein Modeopfer. Aber die Gewichtung hat sich verschoben. In | |
den Wohngruppen der Sozialarbeiterinnen gehen Mädchen nicht mehr zum Sport, | |
weil sie nicht aussehen wie bei „Germanys Next Topmodel“. Sie mögen sich | |
nicht vor anderen umziehen. | |
Können Mädchen nicht unterscheiden zwischen einem Modeljob, für den man | |
schlank sein muss, und der eigenen Realität? | |
Es gibt bestimmt viele, die das können. Aber bei unseren Aktionen kommen | |
Männer und sagen: Meine Freundin ist so schön, aber sie findet sich immer | |
zu dick. Immer muss ich sie bestätigen, immer ist sie verunsichert. | |
Ist die Sendung nicht eher ein Symptom als die Ursache? Die Mädchen lernen | |
bei Heidi Klum, sich zu präsentieren und mit Wettbewerb umzugehen. Das | |
verlangt die Welt schließlich heute. | |
Ja, das erlebe ich sehr stark bei den Studierenden, die ich unterrichte: | |
Sie wollen Rezepte und nicht diskutieren. Das kritische Denken wird immer | |
weniger. Wenn wir mit zwei molligen Schauspielerinnen auf der Straße unsere | |
Aktion vorführen, dann stehen da oft dünne Frauen, die über das | |
„unmögliche“ Aussehen der beiden Frauen lachen. Das zeigt doch, unter was | |
für einem großen Druck diese Frauen stehen. | |
Traue ich mich, mit High Heels auf einem Steg über einen Abgrund zu laufen? | |
Das ist doch eine schöne Mutprobe und auch nicht schwachsinniger als viele | |
Mutproben von Jungen. | |
Ja, aber jedes Theaterstück ist kreativer und man hat ebenso die | |
Herausforderung, sich vor vielen Leuten zu präsentieren. Die | |
Theaterpädagogen, mit denen wir arbeiten, sagen, dass die Mädchen nur noch | |
einen Gesichtsausdruck können: Backen einsaugen, Lippen nach vorn: | |
Duckface. Sich zur Hexe machen, zu tausend verschiedenen Rollen, das ist | |
denen gar nicht möglich. „The Voice of Germany“ ist ein tolles | |
Gegenbeispiel: Da geht es um eine Leistung, wie man aussieht, ist völlig | |
egal. Die Leistung eines Models ist doch sehr limitiert. | |
Model sein ist also keine Leistung? | |
Schönheit wird einem geschenkt. Den Rest lernt man an zwei Tagen. | |
Deshalb ist ja Germanys Next Topmodel auch eher als ein Spiel zu | |
betrachten, oder? | |
Aber für die jungen Mädchen ist das kein Spiel. Die Bilder, die | |
transportiert werden, haben ein Eigenleben. Die älteren Mädchen würden nie | |
zugeben, dass sie unter Druck stehen, die haben diese Bilder schon | |
verinnerlicht und fragen uns, was wir frustrierte Emanzen von ihnen wollen. | |
Aber wenn wir junge Mädchen mit 12, 13 an Bushaltestellen über die | |
H&M-Dessouswerbung befragen, sagen sie: das ist uns zu viel. | |
Die Jungs geifern diese Bilder an und wir gucken auf unsere Minibusen und | |
denken „Oh, Scheiße“. Seit 2006 gibt es die Topmodel-Show. 70 Prozent | |
fühlten sich damals laut der Dr.-Sommer-Studie wohl in ihrem Körper. Und | |
2012 sind es nur noch 47 Prozent. Was wird 2018 sein? | |
Wie erklären Sie sich, dass die Mädchen in der Shell-Jugendstudie | |
eigentlich sehr straight sind und zu 80 Prozent beruflich erfolgreich sein | |
wollen? Da kann Heidi Klum ja nicht so viel Schaden angerichtet haben. | |
Das ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen. Das Problem ist nur, dass dann | |
die Doppelbelastung steigt. Mutter sein, arbeiten und dann noch perfekt | |
aussehen. Es gibt immer mehr Schönheitsoperationen und die Frauen machen | |
das, weil sie sich unsicher fühlen. Auch wenn sie operiert sind und | |
abgenommen haben, sind sie immer noch unsicher und fragen jeden Tag: Sehe | |
ich gut aus? | |
Was raten Sie Eltern, deren Tochter Topmodel werden will? | |
Erst mal cool bleiben. Und dann vorleben, dass Aussehen nicht alles ist. | |
Mal schminken, mal nicht. Nicht jeden Morgen vor den Kindern auf die Waage | |
steigen. Nicht kommentieren, ob jemand dick oder dünn ist. Nicht ständig | |
auf das Äußere anspringen. So oft sagt man zu Mädchen „Bist du süß!“ u… | |
Jungen „Bist du cool!“. Das mache ich selbst auch und ärgere mich darüber. | |
Meine Töchter gehen übrigens auch mit rosa Kleidchen in die Ballettstunden. | |
Solche Begeisterungen für Rosa gehen ja vorbei. Die Frage ist, wodurch sie | |
ersetzt werden. Durch den Wunsch, ein Topmodel zu werden, oder durch den | |
Fußballverein oder die Theater AG. | |
28 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Heide Oestreich | |
Heide Oestreich | |
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