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# taz.de -- Körper und Internet: Zu mir oder zu dir?
> Körper und Internet verschmelzen zusehends – so will es die Science
> Fiction. Doch wer kommt schneller zu wem? Das Netz in den Körper oder der
> Körper ins Netz?
Bild: Besucher der Cebit tragen Datenhelme: Hannover im Jahr 2001.
Das Gerücht hält sich hartnäckig: Google will noch in diesem Jahr eine
Brille auf den Markt bringen, die Informationen aus dem Netz einblenden
kann. Die Datenbrille soll über einen kleinen Bildschirm, GPS- und
Bewegungssensoren verfügen sowie mit dem Betriebssystem Android über
Googles Server laufen.
Die New York Times [1][schätzt den Preis] auf „250 bis 600 Dollar“. Damit
wäre sie wesentlich günstiger als die derzeit verfügbaren Datenbrillen und
-helme. Wir kommen also im Jahr 2012 der möglichen Massenfertigung eines
Geräts näher, das die Science Fiction der achtziger Jahre im vergangenen
Jahrhundert bewegt hat.
Frauen mit Datenmasken und -brillen zieren das deutsche Cover von William
Gibsons „Biochips“ (1986), auch in anderen Büchern der Zeit sind sie
präsent. Einige der Werke gehören zur Nischen-Science-Fiction, „Biochips“
ist als Teil der sogenannten Cyberpunk-Literatur längst ein Teil der
Populärkultur geworden.
Ob Google die Datenbrille nun für den Massenmarkt etnwickelt oder nicht,
ist sekundär; [2][Head Mounted Displays] finden seit Jahren auch ohne den
Netzkonzern Abnehmer, oft beim Militär. In jedem Fall ist das Gerät ein
seltsamer Zwischenschritt auf dem Weg der von der Science Fiction
vielbeschworenen Verschmelzung von Körper und Netz.
Ein Zwischenschritt, weil das Netz dem Körper mit der Brille nur näher
kommt, aber nicht in ihn eindringt. Das ist sehr weit entfernt von der
Welt, die [3][Cory Doctorow] in „Backup“ (2003) aufzeigt, wo das
menschliche Bewusstsein, auch Geist oder Seele genannt, jederzeit
abgespeichert und in einen neuen Körper transformiert werden kann.
## Der weite Weg zur Körper-Netz-Symbiose
Unzählige Fragen sind bislang unbeantwortet, wenn es um die
Körper-Netz-Symbiose geht: biologische, ethische, technische,
datenschutzrechtliche; einer Verschmelzung sind wir etwa so nahe wie der
menschlichen Unsterblichkeit.
Dabei dringt vernetzte Technologie schon länger in den Körper des Menschen
vor. Hörgeräten und Herzschrittmachern sind Implantate im Auge und Gehirn
sowie bioelektronische Prothesen [4][und Instrumente] gefolgt. Cyborgs, die
Mensch-Maschinen-Wesen aus Vorstellungswelten, die vor 25 Jahren populär
wurden, sind wir dennoch nicht geworden und so wird es auch noch eine Zeit
lang bleiben.
Auch umgekehrt kommt der Mensch im Netz körperlich kaum voran. Überwiegend
Spielkonsolen ist es vorbehalten, von Menschen erzeugte Bewegungen zu
erfassen und auf den Bildschirm zu übertragen. Im Internet selbst tummeln
sich seit Jahren die immergleichen Avatare und die auch fast immer in 2D –
das Jahr 2006 und der Ansturm auf Second Life erscheinen im Rückblick als
Höhepunkt des Pixel-Körpers.
Wo uns William Gibson einst eine mit Datenhandschuhen erfahrbare,
faszinierend-virtuelle Welt aufzeichnete, an der menschliche Körper
zumindest partiell teilhaben konnten, strahlt heute den meisten Nutzern das
Internet aus gut 30 Zentimetern Entfernung entgegen. Ein Anstupser auf
Facebook oder Masturbation beim Seitenbesuch von Youporn stellen schon das
Höchstmaß an Körperlichkeit dar.
## Zwischenstufen und glatte Oberflächen
Für [5][Marcus Hammerschmitt], Schriftsteller und Science-Fiction-Autor,
ist die dreidimensionale Darstellung von Daten und Körpern im Netz ein
kulturhistorischer Ausdruck der Science-Fiction-Ära des Cyberpunk. Schon
Gibson habe von einer "konsensuellen Halluzination" gesprochen. Stattdessen
präge das Netz der Gegenwart die Körper anders, indirekter. "Eine
Cyborgisierung ist derzeit gar nicht nötig, da die Wahrnehmung medial
derart vorgeprägt ist, dass viele Körper sich nach dem Netz richten", meint
Hammerschmitt.
Sport-, Beauty- und Pornoseiten im Netz hätten durchaus einen prägenden
Einfluss auf die Körper der Betrachter. Der "Körperkult" sei kaum
aufzuhalten und dabei spiele das Internet eine, wenn auch nicht die
entscheidende Rolle. "Heidi Klum ist in diesem Sinne ein Borg", sagt der
Schriftsteller in Anspielung auf die lebenden Assimilationsmaschinen in
„Star Trek“. Er verweist darauf, dass es sich um einen "schleichenden
Prozess" handele, "der über Sprache und Bewusstsein statt über Implantate"
vor sich gehe.
[6][Karin Harrasser], derzeit Professorin für Techniktheorie und
-geschichte an der HBK Braunschweig, sieht das Netz als "Haut zwischen dem
Körper und der Datenwelt". Sie beobachtet derzeit zwei Tendenzen zur
Verbindung von Körpern und Netzen. Zum einen häufe sich online die
Veröffentlichung von Körperdaten. Zum anderen finde sich der Körper heute
vor allem dank Konsumwelten wie Facebook schneller im Internet wieder als
früher. Dies gehe mit den einfachen Möglichkeiten einher, Fotos hochzuladen
und zu teilen.
## Fotos und die "Cloud"
Auf die Vorstellung eines von Technologie zerstörten oder veränderten
Körpers, dem Cyborg der Cyberpunks, sei in der Science Fiction von heute
die Reflexion eines datendurchherrschten Lebens getreten, sagt Harrasser.
Vor allem im Film beobachte sie eine "technische Einwanderung", die sich
derzeit gerne in durchscheinenden, glatten Oberflächen bemerkbar mache, auf
die Daten (Karten, Fotos, Schrift) projiziert werden.
Marcus Hammerschmitt sieht noch einen Aspekt auf dem Weg zur
Körper-Netz-Symbiose: "Die Cloud, das ständige Sprachrauschen,
Twitter-Streams und Dauer-Updates", allein das ständige Online-Sein habe
Auswirkungen auf den Körper des Netznutzers. Er will das aber nicht
kulturpessimistisch verstanden wissen. Deutlich unbehaglicher fühle er sich
angesichts der in Umfragen erhobenen 40 Prozent der "netzmisstrauischen
Deutschen".
Googles Datenbrille mag noch in diesem Jahr kommen oder auch nicht. Sie
kann ein Zwischenschritt sein auf den komplizierten Wegen, die zwischen
Körpern und Netzen verlaufen. Ein Grund zum Hype – ähnlich wie bei
Smartphones oder Tablet-Computern – ist sie ebensowenig wie ein Anlass zur
Furcht vor noch mehr Technologie oder weiteren Daten. Wieder einmal wird
ein neues Werkzeug entwickelt. Mehr nicht. Die Menschheit entscheidet, was
sie daraus macht.
29 Feb 2012
## LINKS
[1] http://bits.blogs.nytimes.com/2012/02/21/google-to-sell-terminator-style-gl…
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Datenbrille
[3] http://craphound.com/
[4] http://boingboing.net/2012/02/24/tongue-piercing-steers-wheelch.html
[5] http://www.cityinfonetz.de/homepages/hammerschmitt/
[6] http://www.khm.de/personen/lehrendeforschende/kuewis/vcard/517_harrasser/
## AUTOREN
Maik Söhler
## TAGS
Cyborg
Google Glass
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Germany’s Next Topmodel
Datenschutz
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