Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- "Wearable Computing": Schöne neue Arbeitswelt
> Die ForscherInnen der Bremer Universität haben das "Wearable Computing"
> bis zur Marktreife entwickelt: Ärzte können als wandelnde Computer
> agieren, Feuerwehrleute sind über Google Earth fernsteuerbar.
Bild: Was Sie hier sehen, ist ein Auslaufmodell: Der Trend geht zum zweiten Bil…
Science Fiction ist vorbei, die Vermarktung kann beginnen: Nach über
zehnjähriger Entwicklung haben ForscherInnen des Technologie-Zentrums
Informatik (TZI) der Bremer Universität jetzt erstmals Datenhandschuhe und
andere in Gürtelschnallen und Kleidung integrierte Computerelemente so weit
entwickelt, dass sie großflächig anwendbar sind. Der Produktgruppen-Name:
"Wearable Computing". Kombinierte Mini-Monitoren, die auf Augenhöhe
getragen werden, machen sie Menschen bei Bedarf zum mobilen Computer.
Am Bremer TZI wird das weltweit größte Forschungsprojekt für Wearable
Computing koordiniert: 42 Partner aus Wissenschaft und Wirtschaft sind
beteiligt, darunter SAP, Microsoft, Hewlett Packard, Zeiss und EADS. Die EU
ist mit 24 Millionen Euro dabei - das ist eine ihrer bislang größten
Forschungs-Investitionen.
Die Anwendungen sind vielfältig: Sie liegen in der Auto- und
Flugzeugmontage ebenso wie im privaten Bereich, "ambient assisting living"
etwa soll die eigenen vier Wände zum bewohnbaren Computer machen. Im
süditalienischen Paestum kann man sich per GPS-gestütztem Videoguide durch
die antiken Ruinen leiten lassen, bei der Pariser Feuerwehr wird die Bremer
Technik bereits für den Ernstfall genutzt. Ein Sensor in den Stiefeln des
Einsatzkommandos, kombiniert mit den von Google Earth zur Verfügung
gestellten Bildern, machen die Feuerwehrleute für die Einsatzzentrale
durchgehend zu orten - auch in rauchgefüllten Gebäuden. Die bisherigen
Erfahrungen zeigen laut Projektmanager Michael Lawo, Professor für
Praktische Informatik, dass die Opferortung mit Hilfe der neuen Technik
doppelt so schnell möglich ist.
Die Sprachsteuerung der Computer allerdings, die wegen der internationalen
Anwendbarkeit auf Englisch basiert, habe sich als schwierig erwiesen: "Die
Computer kamen nicht mit dem französischen Akzent zurecht", sagt Lawo, auch
das harte norddeutsche "th" bereite Probleme. Daher reagieren die tragbaren
Systeme vor allem auf haptische Signale. Dem "Datenhandschuh" kommt dabei
eine zentrale Rolle zu: Ein äußerlich wie eine Herdhilfe aussehender
Übezieher, der voll feinster Elektronik steckt. Die Ärzte im Krankenhaus
des österreichischen Steyr benutzen ihn bereits, um ihre Visiten zu
rationalisieren. Statt nach den Krankenbesuchen im Dienstzimmer Papierkram
zu erledigen, loggen sie sich direkt am Patientenbett in das W-Lan des
Krankenhauses ein. Diagnosen und Therapieanweisungen gelangen sofort in die
elektronischen Krankenakten, Röntgenaufnahmen werden direkt geordert.
Allerdings gibt es noch atmosphärische Probleme: Um die elektronischen
Patientenakten zu aktivieren, sind eine Ab- und eine Seitwärtsbewegung mit
dem Handschuh erforderlich. "Nicht alle Patienten", sagt Lawo, "mögen dies
Zeichen an ihrem Bett."
Die ungewollte Aussegnung stelle jedoch ein lösbares Problem dar. Und so,
wie es die oberösterreichischen PatientInnen andererseits "toll" fänden,
dass jetzt an allen Betten auch für sie selbst nutzbare Monitore montiert
seien, so fühlten sich mit Wearable Computing ausgestattete
ArbeitnehmerInnen "deutlich aufgewertet". Sicher sei es nicht jedermanns
Sache, sich morgens zunächst eine Viertelstunde zu verkabeln. Mittlerweile
hätten sich die Ärzte jedoch an den Flachrechner vor dem Bauch gewöhnt.
Auch die Angestellten etwa im Bremer Mercedes-Werk seien "stolz" auf ihre
neue Ausstattung, die sie zu "Wissens-Arbeitern" aufwerte.
"Wir machen das in enger Abstimmung mit den Betriebsräten", sagt Otthein
Herzog, Professor für Künstliche Intelligenz. Schließlich gelte Weareable
Computing mittlerweile als "einzige Chance, die Produktivität in
Hochlohnländern zu erhalten". Sind die Personalvertreter auch mit der
potentiellen Total-Überwachbarkeit einverstanden? "Natürlich ist das ein
Thema", sagt Lawo. Doch der Betriebsrat der tschechischen Skoda-Werke etwa
habe versichert: "Hier sind sowieso schon überall Videokameras, das macht
keinen Unterschied mehr."
Im Übrigen geht der Trend zur Bionkularität. Was nichts mit Ökologie,
sondern mit Monitor-Maximierung zu tun hat: Statt einem haben die
"Wissens-Arbeiter" jetzt zwei Bildschirmchen vor den Augen. "Unsere
Probanden fanden es zu anstrengend, einäugig zu lesen", sagt Lawo. Im
Prinzip funktioniere die Gesichtsfeld-Aufteilung wie bei einer
Halbrandbrille: Ganz oben die Monitore, die bei Bedarf wie Sonnengläser
ganz hochklappbar sind, in der Mitte Normalsicht und unten gegebenenfalls
die Gläser der Lesebrille. Solche durch die "Head-Mounted Displays"
dreigeteilten Gesichtsfelder sind nach Lawos Ansicht keinesfalls
futuristische Theorie-Konstrukte.
Wo sind für die Forscher selbst die Grenzen des Wünschenswerten? Es wäre
"furchtbar", sagt Lawo, wenn Arbeitsprozesse derart ferngesteuert würden,
dass Jemand nur noch im engmaschigen Rhythmus von Anweisung und Bestätigung
arbeite. Wenn die menschliche Sensorik also nur noch eine Erweiterung der
maschinellen sei. "Dann sind wir wirklich nur noch ein Zahnrädchen." Wie
will Lawo eine derartige Roboterisierung vermeiden? "Indem", so Lawos
Antwort bündig, "wir selbst davor warnen."
16 Oct 2008
## AUTOREN
Henning Bleyl
Henning Bleyl
## TAGS
Schlaf
Automatisierung
Google
## ARTIKEL ZUM THEMA
Schlafstörung durch Tracking: I can't get no sleep
Vermehrt suchen sich Menschen wegen einer neuen Schlafstörung Hilfe:
Orthosomnia. Kriegen kann diese aber nur, wer seinen Schlaf trackt.
Roboterisierung gestalten und steuern: Österreich bekommt einen Roboterrat
Das Beratergremium soll Strategien entwickeln, wie und wo künftig Roboter
zum Einsatz kommen. Auch die Risiken sollen untersucht werden.
Wearables und Fernsehen mit Google: Android fürs Handgelenk
Google macht immer weiter: Das Betriebssystem Android wurde fürs
Wearable-Geschäft fit gemacht. Und den Fernseh-Stick Chromecast gibt es
jetzt auch in Deutschland.
Körper und Internet: Zu mir oder zu dir?
Körper und Internet verschmelzen zusehends – so will es die Science
Fiction. Doch wer kommt schneller zu wem? Das Netz in den Körper oder der
Körper ins Netz?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.