# taz.de -- Kriminalität im Partykiez: Angetanzt und ausgeraubt | |
> Der Partykiez um die Warschauer Straße wird immer gefährlicher: | |
> Diebstähle und Gewalt nehmen zu, die Polizei scheint überfordert. Ein | |
> Clubchef macht die Politik verantwortlich. | |
Bild: Antanztrick ja, sexuelle Belästigung nein, sagt die Polizei über das RA… | |
Ausgeraubt wurden die gebürtigen Berliner Silvia Koch und Jos Beek (Namen | |
geändert) in ihrer Heimatstadt nie – bis zu einer Partynacht im Ausgehkiez | |
rund um die Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg. | |
Das Paar hatte in Clubs am Schlesischen Tor gefeiert, war auf dem Heimweg. | |
An der Aral-Tankstelle am Flutgraben wurden Koch und Beek von jungen | |
Männern angetanzt, umklammert und bestohlen. „Einer stand direkt vor mir | |
und drohte, meinem Freund was anzutun, wenn ich mich wehre“, erinnert sich | |
Koch. „Er schrie mich an. Ich hatte wahnsinnige Angst.“ | |
Der Überfall ist kein Einzelfall. Nach Polizeiangaben haben Diebstähle und | |
Raubdelikte rund um die Oberbaumbrücke und Warschauer Straße in den | |
vergangenen Monaten zugenommen; bei Taschendiebstählen gebe es eine Tendenz | |
zu Körperverletzungen. | |
Besonders gefährlich ist es am RAW-Gelände und an der Revaler Straße, sagt | |
Polizeisprecher Thomas Neuendorf. Bekannt seien an diesen Orten drei | |
Gruppen, die „gezielt Diebstähle begehen“: Einzelpersonen, kleine und | |
größere Gruppen, die „teils arbeitsteilig vorgehen“; ihre Zielgruppe sind | |
junge Partygäste, die meisten Opfer betrunkene Männer. | |
## Keine sexuellen Übergriffe | |
Anzeigen und Hinweise, dass es in Berlin bei „Antanz“-Überfällen zu | |
sexuellen Übergriffen kam, liegen der Polizei nicht vor. „Auch nicht für | |
Silvester“, ergänzt Neuendorf. In Köln und anderen deutschen Städten waren | |
Menschen in der Silvesternacht sexuell belästigt worden – vermutlich von | |
Tätern, die sich in Gruppen zusammenschlossen und ihre Opfer teilweise | |
„antanzten“. Bis Dienstag gingen in Köln rund 550 Strafanzeigen ein, etwa | |
45 Prozent der Fälle stehen im Zusammenhang mit Sexualdelikten. Auch Carola | |
Klein von Lara, dem Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und | |
sexuell belästigte Frauen, kennt bisher keine Fälle von Diebstählen im | |
Zusammenhang mit sexuellen Übergriffen. | |
Ob und wo in Berlin solche Übergriffe zu befürchten sind, ist laut | |
Neuendorf unbekannt und spekulativ. Derartige Taten seien nicht auf die | |
Lage bestimmter Orte zurückzuführen, sondern auf die Ansammlung von | |
Menschenmengen. Die Berliner Polizei werde das „Antanz“-Phänomen aber | |
weiter beobachten und Straftaten rund um die Oberbaumbrücke noch genauer | |
auswerten. | |
Im August 2015 rückte die steigende Kriminalität im Kiez bundesweit in den | |
Fokus, nachdem es am RAW-Gelände zu mehreren Raubüberfällen gekommen war. | |
Unbekannte verletzten unter anderem einen Freund der Sängerin „Jennifer | |
Rostock“ lebensgefährlich mit einem Messer. | |
Seit Sommer 2015 wendet sich die Polizei verstärkt in sozialen | |
Online-Medien an Partygänger; informiert über Tatorte und die Methoden der | |
Täter. Trotzdem sei die Zahl der Diebstähle und Raubdelikte seitdem | |
gestiegen, berichtet Neuendorf. Ein Problem: Die Nachrichten der Polizei | |
über Facebook und Twitter erreichen nicht alle potenziellen Opfer. | |
Auch Nico Fuchs war die „Antanz“-Methode unbekannt. Er begleitete Koch und | |
Beek in jener Nacht nach Hause. Beim Überfall ahnte er zunächst nichts | |
Böses, als sich junge Männer vom Gehwegrand näherten und auch ihn | |
antanzten: „Ich dachte, die hätten einfach nur gute Laune, wollten Spaß | |
haben.“ Fuchs lebte zu diesem Zeitpunkt erst wenige Tage in Berlin, vorher | |
in Spanien. Dort sei es „häufiger vorgekommen, von gut gelaunten Menschen | |
auf der Straße angetanzt zu werden“. Die Berliner „Tänzer“ aber waren n… | |
nur auf Spaß aus – sondern auf Geldbörsen, Schlüssel und Mobiltelefone. | |
Die rund zehn Täter trieben ihre Opfer auseinander, machte die Lage | |
unübersichtlich. Beek fühlte sich „sehr bedroht“, vermied aber, aggressiv | |
zu handeln: „Ich dachte, bloß ruhig bleiben! Die hätten jederzeit ein | |
Messer ziehen können.“ Die Zahl der Täter habe ihn eingeschüchtert. „Es … | |
nicht abschätzbar, aus welcher Richtung ein Angriff kommen könnte“, | |
berichtet Beek. Während er und seine Freundin umklammert wurden, rannten | |
einzelne Täter mit dem Diebesgut in den nahen Park am Flutgraben. | |
Fuchs entging den Umklammerungen, wurde nicht beraubt. Schnell merkte er, | |
dass „etwas nicht stimmte“, rief sofort die Polizei an. Drei Minuten später | |
sah er einen Mannschaftswagen eintreffen – alle Verbrecher seien bereits | |
geflüchtet gewesen. Polizisten hätten sich an der Straße umgeschaut, nicht | |
aber den Park abgesucht. | |
## Polizei ist „überfordert“ | |
Bei der Zeugenaussage vor Ort sagte ein Polizist zu den Opfern: „Wir sind | |
überfordert. Das passiert hier jeden Tag mehrmals.“ Offiziell klingt das | |
anders: Neuendorf könne das „nicht bestätigen“. Dass die Polizei beim | |
Überfall „schnell kam“, würde bereits zeigen, dass sie nicht überfordert | |
sei. Außerdem gebe es „an der Schlesischen Straße“, am RAW-Gelände und an | |
der Warschauer Straße regelmäßig Festnahmen. | |
Ein Mitarbeiter der Tankstelle am Tatort sagte den Opfern, er und Kollegen | |
seien nach Feierabend schon mehrfach vor Ort überfallen worden. „Die | |
Polizei weiß, wer wann wo zuschlägt, kriegt die Täter auf dem Silbertablett | |
serviert und schafft es trotzdem nicht, die Gegend sicherer zu machen. Das | |
ist ein Skandal!“, ärgert sich Fuchs und ergänzt: „Das hätte richtig üb… | |
enden können. Was wäre, wenn die Täter mit einem Messer zugestochen | |
hätten?!“ | |
Den Vorwurf, dass der Polizei die Täter bekannt seien und sie nichts mache, | |
weist Neuendorf entschieden zurück. Die Polizei führe regelmäßig Razzien in | |
der Gegend durch und setze Zivilpolizisten ein. „Bei Straftaten leiten wir | |
Ermittlungsverfahren ein, über Haftstrafen entscheiden die Gerichte“, sagt | |
er. | |
Was aber tun die Clubs und Bars im Kiez für die Sicherheit ihrer Gäste? Für | |
Steffen Hack, „Watergate“-Clubchef seit 2002, geht diese Frage „seit Jahr… | |
an den Ursachen vorbei“. Medien, Politik und Polizei würden „immer falsch | |
berichten“. Denn nicht die Clubs seien schuld an der steigenden | |
Kriminalität vor ihren Türen, sondern die „offenen europäischen Grenzen“ | |
sowie die Bezirkspolitik und der Senat um Frank Henkel (CDU). „Es werden | |
immer mehr Touris eingeflogen, Spätis und Hostels in Club-Nähe eröffnet. | |
Aber in die Sicherheit vor Ort wird nicht gleichermaßen investiert“, sagt | |
Hack. Er kritisiert den „politisch gewollten“ Tourismuszuwachs der | |
Hauptstadt. Ins „Watergate“ am Spree-Ufer strömen viele Touristen. | |
## Polizeipräsenz gewünscht | |
Einige Clubbetreiber wünschen sich von der Polizei „dauerhaftere und | |
schnellere Präsenz vor den Clubs“, berichtet der Vorsitzende des Berliner | |
Kulturverbands „Clubkommission“, Olaf Möller. Die Betreiber hätten auf die | |
Sicherheit vor ihren Türen nur begrenzt Einfluss, wären angewiesen auf die | |
Zusammenarbeit mit der Polizei. Hack sieht für eine solche Zusammenarbeit | |
keine gemeinsame Vertrauensbasis, es gebe keine Absprache zwischen der | |
Polizei und den Clubs. | |
Die Polizei würde den Clubs und Türstehern voreingenommen entgegentreten, | |
wirke mit ihrer „hochgerüsteten Erscheinung“ vor Ort nicht deeskalierend, | |
wäre überlastet, schlecht ausgebildet und unfähig. Schuld daran seien | |
Entlassungen und Einsparungen im öffentlichen Dienst. Der Watergate“-Chef | |
fordert mehr und besser geschultes Wachpersonal. Sein Vorschlag: „gut | |
ausgebildete Kiez-Läufer“, die kommunikativ auf die Menschen einwirken. Für | |
die wäre aber vermutlich „kein Geld in der Senatskasse“, glaubt Hack. Die | |
Clubs seien auf sich allein gestellt. | |
Die Polizei sieht das anders: Auf dem RAW-Gelände arbeite sie mit den | |
Geschäftsführern und Eigentümern der Clubs stetig daran, das | |
Sicherheitskonzept zu verbessern; spreche zusätzlich mit dem Bezirksamt und | |
dem LKA über „städtebauliche Kriminalprävention“ auf dem Privatgelände.… | |
Debatte stünden: Gelände besser beleuchten, Hölzer roden, Zugänge | |
reduzieren, Warnhinweise anbringen, Sicherheitsdienste verstärken und | |
schauen, ob Videoüberwachungen möglich sind. Möller berichtet, erste | |
Maßnahmen habe das Bezirksamt bereits umgesetzt: Securitys wurden | |
aufgestockt, Beleuchtungen verbessert; um die Sicht zu verbessern, wurden | |
Bäume gestutzt. | |
Polizeisprecher Neuendorf wertet die Maßnahmen als Erfolg: Sie hätten „das | |
Sicherheitsgefühl von Anwohnern, Gewerbetreibenden, Besuchern und Touristen | |
erhöht“, ebenso „sichtbar und deutlich den Überwachungsdruck für agieren… | |
Tätergruppen“. Hack glaubt trotzdem, dass die Gewalt im Kiez steigen wird. | |
Videoüberwachungen hält der „Watergate“-Chef für „Blödsinn“. Sie w�… | |
Gewalttaten nicht vorbeugen, Probleme nicht lösen. | |
## Maßnahmen entwickeln | |
Um die Sicherheit auf dem RAW-Gelände und außerhalb zu erhöhen, will die | |
Clubkommission demnächst einen selbst entwickelten Maßnahmenplan | |
veröffentlichen. Zusätzlich berät sich der Kulturverband mit der Polizei, | |
dem Ordnungsamt und privaten Sicherheitsfirmen. Fürs Erste sei damit | |
begonnen worden, das Verstecken von Drogen zu erschweren, berichtet Möller. | |
Kriminalität per se könne diese Maßnahme aber nicht verhindern. Dafür | |
brauche es vor allem die Polizei. | |
Wenige Tage nach dem Überfall auf Koch, Beek und Fuchs wurde eine Freundin | |
Kochs auf der Warschauer Straße bestohlen – zwei Mal in einer Nacht. Wieder | |
hatten es die Täter auf Handys, Schlüssel und Geldbörsen mit Kreditkarten | |
abgesehen. Wieder entkamen die Diebe – auch der Polizei. Mitarbeit: Uta | |
Schleiermacher | |
12 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wolf | |
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