# taz.de -- Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien: Für viele Serben bleibt er ein… | |
> Das UN-Jugoslawien-Tribunal fällt am Dienstag sein endgültiges Urteil | |
> gegen Ratko Mladić. In erster Instanz wurde er zu lebenslanger Haft | |
> verurteilt. | |
Bild: Noch immer für Viele ein serbischer Held: Wandgemälde zu Ehren von Gene… | |
SPLIT taz | Für Milorad Dodik, den führenden Politiker der Serben in | |
Bosnien und Herzegowina, ist Ratko Mladić kein Kriegsverbrecher, sondern | |
nur ein Mann, der „seine Pflicht“ erfüllt hat. In den vergangenen Wochen | |
leugnete Dodik mehrmals [1][den Genozid in Srebrenica] von 1995, bei dem | |
mehr als 8.000 Bosniaken ermordet wurden. Und mit dieser Meinung weiß der | |
nationalistische Populist die Mehrheit der Serben hinter sich. Mladić, | |
Stabschef der Armee der bosnischen Serben während des Kriegs im ehemaligen | |
Jugoslawien, wird sogar von vielen als Held verehrt. | |
In der Weltöffentlichkeit ist Ratko Mladić ein Symbol für die 1992 bis 1995 | |
vor allem von serbischer Seite begangenen Verbrechen: die sogenannten | |
ethnischen Säuberungen, denen Zehntausende Zivilisten, [2][vor allem der | |
muslimischen Volksgruppe], zum Opfer fielen. Ziel war es, alle Nichtserben | |
aus den von Mladić eroberten Gebieten zu vertreiben. Zwei Millionen | |
Menschen verloren ihre Heimat. | |
Am Dienstag soll Ratko Mladic das endgültige Urteil des Internationalen | |
Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag | |
entgegennehmen. Von der ersten Instanz wurde er 2017 schon zu lebenslanger | |
Haft verurteilt. | |
Von den Opfern und der Mehrheit der öffentlichen Meinung in Europa und der | |
Welt als „Schlächter des Balkans“ tituliert, von vielen Serben aber als | |
„Held“ gefeiert, wird der 77-jährige Mladić auch nach der wahrscheinlichen | |
Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils eine umstrittene Figur bleiben, | |
an der sich Konflikte entzünden. Es gibt zwar keinen Krieg mehr, es gibt | |
aber einen [3][Krieg über die Interpretation der Geschichte]. | |
## Immer noch ein Kriegsheld | |
Die Reaktionen in der serbischen Öffentlichkeit zeigen, dass die Mehrheit | |
der Serben bis heute das Angebot des UN-Gerichts nicht angenommen hat, die | |
im serbischen Namen begangenen Verbrechen zu individualisieren, indem | |
einzelne Täter dafür angeklagt und verurteilt werden. Indem Ratko Mladić, | |
Radovan Karadzić und andere in einem großen Teil der serbischen | |
Öffentlichkeit immer noch als Kriegshelden angesehen werden und das | |
UN-Gericht als antiserbische Institution im Auftrage eines westlichen | |
Imperialismus definiert wird, schottet man sich ab. | |
Im Schulunterricht, in den Medien sowie im öffentlichen Diskurs wird die | |
nationalistische Position ohne Wenn und Aber durchgesetzt. Intellektuelle, | |
Journalisten, Künstler und andere Kritiker, die das anders sehen, werden | |
mundtot gemacht. | |
Ratko Mladić ist für die serbischen Nationalisten das Symbol ihrer | |
Eroberung der Hälfte des Territoriums von Bosnien und Herzegowina. Die | |
damit einhergehenden ethnischen Säuberungen waren nicht bloße Folge des | |
Krieges, sondern dessen ausdrückliches Ziel. Würde die serbische Seite die | |
eigenen Kriegsverbrechen anerkennen, müsste sie an der Existenzgrundlage | |
der aus diesem Krieg hervorgegangenen serbischen Teilrepublik Republika | |
Srpska zweifeln. | |
So aber fordert deren Regierungschef Dodik seit Jahren immer wieder, die | |
Republika Srpska vom Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina abzuspalten und | |
mit Serbien zu vereinigen, was die Friedenslösung des Vertrages von Dayton | |
zerstören würde. | |
Die internationale Gemeinschaft hatte zwar in Dayton 1995 die serbische | |
Eroberungspolitik abgesegnet, indem sie Bosnien und Herzegowina auf | |
ethnischer Grundlage aufteilen ließ und somit den Teilstaat Republika | |
Srpska faktisch anerkannte. Aber sie hat auch die bosnischen Grenzen | |
garantiert. | |
Mit dem Urteil in Den Haag wird indirekt noch einmal bestätigt, dass die | |
Republik Srpska aus ethnischen Säuberungen hervorgegangen ist, also aus dem | |
Auseinanderreißen der multinationalen bosnischen Gesellschaft. Sie ist | |
Produkt eines Kriegsverbrechens. Doch diese hochbrisante Schlussfolgerung | |
führt bisher nicht zu politischen Konsequenzen. | |
Zwar ist es dem scheidenden Hohen Repräsentanten für Bosnien und | |
Herzegowina, Valentin Inzko, gelungen, wenigstens die Entfernung des Namens | |
von [4][Radovan Karadzić] vom Eingang eines Studentenwohnheimes in der | |
serbisch dominierten Stadt Pale bei Sarajevo durchzusetzen. Doch sein groß | |
angekündigtes Projekt, die Verherrlichung von Kriegsverbrechern unter | |
Strafe zu stellen, ist versandet. | |
Es fehlt bisher einfach am politischen Willen. Die USA haben zwar Milorad | |
Dodik mit einem Einreiseverbot belegt, und auch die EU könnte, wie von der | |
Zivilgesellschaft gefordert, mit ähnlichen Maßnahmen und der Sperrung von | |
Konten jene abstrafen, die mit Geschichtsklitterung weiterhin Hass und | |
Zwietracht säen. Doch das geschieht nicht. | |
## Mit gutem Beispiel vorangehen | |
Die Zivilgesellschaft in Sarajevo hat immerhin durchgesetzt, dass ein | |
Denkmal für mehrere Dutzend Serben errichtet wird, die von muslimischen | |
Kriminellen während der Belagerung der Stadt 1992 bis 1995 aus Rache oder | |
anderen niedrigen Beweggründen ermordet wurden. Man will also mit gutem | |
Beispiel vorangehen und so auf die serbische Seite positiv einwirken, damit | |
auch die ihre Verbrechen anerkennt. | |
Doch der Wunsch, um der Zukunft willen überall die geschichtliche Wahrheit | |
zu akzeptieren und so einen echten Friedensprozess zu initiieren, kann | |
nicht erfüllt werden, wenn alle Initiativen dazu in der serbischen | |
Teilrepublik blockiert oder kriminalisiert werden. Und an das wirkliche | |
Problem, die Verfassung von Bosnien und Herzegowina zu ändern, die Macht | |
der ethnisch verfassten Teilstaaten zu beschneiden und die Rechte aller | |
Bürger gleich welcher Religion und Volksgruppe zu gewährleisten, trauen | |
sich EU und USA nicht heran, zumal Russland Serbien politisch und | |
militärisch unterstützt. | |
8 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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