# taz.de -- Kriegsauswirkungen in Russland: Wie der Krieg Familien entzweireißt | |
> Der russische Angriff auf die Ukraine spaltet die russische Gesellschaft. | |
> Freundschaften und familiäre Beziehungen werden zerstört. | |
Bild: „Das Imperium ist böse.“ Russische Militärführung bei einer Rede v… | |
Der Krieg hat neben dem ganz offensichtlichen Leid auch jede Menge | |
Schwierigkeiten mit sich gebracht. Diese Schwierigkeiten ließen die | |
Ukrainer näher zusammenrücken, aber sie spalteten die Russen umso mehr. | |
Der Krieg ist zu einem Thema geworden, über das man sich nicht mehr einigen | |
kann. Es ist unmöglich geworden, anderen zuzuhören, Kompromisse zu finden. | |
Meinungsverschiedenheiten, selbst wenn sie zunächst friedlich beginnen, mit | |
dem Versuch, sich über Tatsachen zu verständigen, Argumente auszutauschen, | |
enden im bestem Fall mit tödlichem Schweigen und einer noch größeren | |
Distanzierung. | |
Oder – im schlimmsten Fall – mit Hass, Verwünschungen und einem endgültig… | |
Bruch. Das ist sehr schmerzhaft. Ein Ausweg ist nicht in Sicht. Denn es | |
gibt diametral entgegengesetzte Wahrnehmungen der Realität. | |
Ich gehöre zu denen, die „Glück“ hatten. Meine Eltern sind gegen den Krie… | |
Aber es gibt Nuancen. Meine Mutter ist ein leicht zu beeinflussender | |
Mensch. Sie hat viele Jahre staatliches Fernsehen geschaut. Ich weiß noch, | |
wie sie vor etwa zehn Jahren [1][am 9. Mai eine Militärparade auf dem Roten | |
Platz gesehen hatte], mich anrief und sagte: „Mascha, es macht mich stolz, | |
unsere Jungs zu sehen, ich musste ein paar Tränen vergießen.“ | |
## Auf verschiedenen Seiten | |
Ich schauderte vor Entsetzen und sagte ihr alles, was ich über die | |
Militarisierung der Gesellschaft dachte. Aber dann habe ich sie vor ein | |
paar Jahren mal vor den Sender Doschd gesetzt und dann fing sie an, die | |
Welt so zu sehen, wie sie ihr dieser oppositionelle und liberale Sender | |
präsentierte. Dann ging ihr Fernseher kaputt und sie schaute die | |
gesellschaftspolitischen Sendungen, die ich ihr empfohlen hatte, nur noch | |
auf Youtube. Als der Krieg begann, war sie schon lange auf der richtigen | |
Seite. | |
Mit meinem Vater ist es schwieriger. Seit der Annexion der Krim 2014 sagt | |
er, dass „alles kompliziert“ und „jeder gut“ sei. Allerdings hat er auch | |
bewusst begonnen, ukrainisches Fernsehen zu schauen, um besser zu | |
verstehen, was passiert. Und jetzt glaubt er niemandem: „Das Imperium ist | |
böse. Aber ich lasse es in Ruhe – und es lässt mich in Ruhe. Ich bleibe in | |
meiner Datscha und kümmere mich um meine Weintrauben.“ | |
Und dann ist da noch [2][meine Ex-Freundin], sie ist für den Krieg. Das war | |
keine Überraschung und keine Tragödie. Sie arbeitet im russischen | |
Außenministerium und vertritt durchgehend staatliche Positionen. Dank ihr | |
weiß ich, dass es wirklich Menschen gibt, die aufrichtig an eine globale | |
Verschwörung gegen Russland und Intrigen des Westens glauben, der „unseren | |
großen Staat“ zerschlagen will. Sie verteidigt Stalin. Sie meint, dass ein | |
Staat stark und totalitär sein muss, weil „sonst Anarchie herrscht und es | |
noch schlimmer wird“. Als wir uns vor 15 Jahren getrennt haben, waren wir | |
noch lange gute Freundinnen, aber irgendwann um 2019 haben wir den Kontakt | |
abgebrochen – aus politischen Gründen. | |
Also, ich sage es noch mal, ich habe Glück. Aber ich kenne sehr viele | |
Fälle, wo der Riss mitten durch die Familien geht. Er trennt Eltern und | |
Kindern, Geschwister, Ehepartner*innen voneinander. Es sind Geschichten | |
voller Schmerz und Hoffnungslosigkeit. | |
Aus dem Russischen [3][Gaby Coldewey] | |
Finanziert wird das Projekt von der [4][taz Panter Stiftung]. | |
Einen Sammelband mit den Tagebüchern hat der Verlag [5][edition.fotoTAPETA] | |
im September herausgebracht. | |
23 Dec 2022 | |
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[1] /Diesjaehriger-9-Mai-in-Russland/!5853027 | |
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[3] /Gaby-Coldewey/!a23976/ | |
[4] https://shop.taz.de/product_info.php?products_id=245248 | |
[5] https://www.edition-fototapeta.eu/ | |
## AUTOREN | |
Maria Bobyleva | |
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ab. |