| # taz.de -- Krieg in Syrien: Paradies zwischen den Fronten | |
| > Massaker, Entführungen und Bombardements: In der Region um das Bergdorf | |
| > Sednaya werden Zivilisten Opfer der Rebellen und der syrischen Armee. | |
| Bild: Loch in der Klostermauer: Schon im Januar 2012 stand Sednaya unter Beschu… | |
| SEDNAYA taz | Sednaya ist ein Bergdorf – etwa 27 Kilometer nördlich der | |
| Hauptstadt Damaskus. Es liegt 1.500 Meter über dem Meeresspiegel, bietet | |
| frische Luft und den Blick auf grüne Berghänge, auf denen Feigenbäume und | |
| Weinstöcke wachsen. | |
| Vor dem Krieg freuten sich die Damaszener auf ihren Wochenendausflug nach | |
| Sednaya. Das luxuriöse Sheraton-Ressort mit weitläufigem Schwimmbecken war | |
| stets ausgebucht, heute steht es leer. Das Restaurant „Paradies“ war das | |
| Lieblingsrestaurant von Präsident Baschar al-Assad, dort führte er | |
| Staatsgäste, zuletzt Hugo Chávez, zum Lunch aus. Jetzt liegt das „Paradies�… | |
| in Trümmern, der Besitzer hat sich längst in den Libanon abgesetzt. Heute | |
| fährt kein Mensch mehr hierher. Sednaya ist ein gefährlicher Ort geworden. | |
| Am Freitag fuhren 50 Jugendliche aus Sednaya in die Berge, um Feigen und | |
| Trauben zu ernten. Von den Berghängen in der Nähe des Ortes Talfita | |
| eröffneten Kämpfer, die vermutlich der mit al-Qaida verbündeten Nusra-Front | |
| angehörten, das Feuer auf sie. Die Jugendlichen flüchten zu ihren Autos, | |
| einige wurden verletzt und ins Krankenhaus gebracht. Der in der Nähe | |
| jagende Issam Alkibbe, 40 Jahre alt und Vater zweier Kinder, kam ihnen zu | |
| Hilfe und wurde erschossen. Daraufhin feuerte die syrische Armee als | |
| Vergeltungsaktion drei Raketen von einem Militärstützpunkt in den Hügeln | |
| über Sednaya auf Talfita ab. Augenzeugenberichten zufolge kamen eine Frau, | |
| ein Jugendlicher und ein Junge ums Leben. | |
| Jetzt fürchten die Bewohner von Sednaya, dass Kämpfer der Nusra-Front sich | |
| für dieses Bombardement an ihnen rächen werden. In der Nacht auf Samstag | |
| rekrutierten sie weitere 500 junge Männer zur Verstärkung der Bürgerwehr. | |
| Sie errichteten an allen Ortseingängen Barrikaden und patrouillierten auf | |
| den Plätzen. „Wir rechnen jeden Moment mit einem Angriff der Kämpfer aus | |
| Talfita und aus den sunnitischen Nachbardörfern“, sagte Youssef, ein | |
| Ingenieur, der die Bürgerwehr unterstützt. | |
| ## Konflikte mit Schmugglern | |
| Ebenfalls am Freitag explodierte im Nachbardorf Al-Nur, fünf Kilometer | |
| östlich von Sednaya Richtung Ranquz gelegen, eine Autobombe vor einer | |
| Moschee, genau zu der Zeit, als die Gläubigen nach dem Freitagsgebet am | |
| Mittag das Gebäude verließen. Das Sprengstoffattentat tötete 45 Menschen | |
| und verletzte 120 weitere. Hintergrund dieses Massakers soll eine nicht | |
| angekommene Waffenlieferung sein. | |
| Die Nusra-Front soll eine Waffenlieferung von Arsal, einer sunnitischen | |
| Kleinstadt im Libanon nach al-Ghouta im Osten von Damaskus auf den Weg | |
| gebracht haben, aber der Freien Syrischen Armee zuarbeitende Schmuggler aus | |
| Ranquz sollen die Lieferung, die nie in al-Ghouta ankam, abgefangen haben. | |
| Da die Moschee in Al-Nur von den Angehörigen der Familien besucht wird, der | |
| auch die Schmuggler angehören, ging dort am Freitag wohl die Bombe hoch. | |
| Kämpfer der Nusra-Front stellen seit langem den Waffennachschub an | |
| Aufständische in Damaskus sicher. Diese Nachschubwege verlaufen fast | |
| ausschließlich entlang sunnitischer Dörfer. Sednaya und al-Maaret Sednaya, | |
| Maruneh und Maalula sind die einzigen christlichen Dörfer in diesen Bergen. | |
| Sechzehn sunnitische Dörfer liegen allein auf der zwölf Kilometer langen | |
| Straße zwischen Sednaya und Maalula, 14 weitere Dörfer zwischen Sednaya und | |
| Arsal. | |
| Badda, ein sunnitisches Dorf, nur einen Kilometer von Sednaya entfernt, ist | |
| neben Ranquz die berüchtigste Schmugglerhochburg. Männer aus Badda | |
| unterstützen die Nusra-Front und liefern ihnen Waffen und alle weiteren | |
| Güter, die sie benötigen. | |
| Den ganzen Freitag und Samstag erschütterten schwere Kämpfe die Bergregion. | |
| Am Samstag bombardierte die syrische Luftwaffe die Beerdigung der Opfer des | |
| Massakers von Al-Nur. Schwarzer Rauch stieg über den Bergen auf. | |
| ## Entführungen und Erpressungen | |
| Dutzende Bewohner von Sednaya sind von Kämpfern aus Badda, Talfita und | |
| Ranquz entführt worden, 16 der Entführten wurden bisher in Gefangenschaft | |
| getötet. „Selbst für die Herausgabe des verstümmelten und enthaupteten | |
| Körper meines Schwiegervaters mussten wir bezahlen“, erzählt Youssef, der | |
| die Leiche mit seinem Auto abholte und ein Foto des zu Tode Gefolterten auf | |
| seinem Handy zeigt. Seine Frau Abir und ihre vier Schwestern werden jetzt | |
| ein Jahr lang schwarze Kleidung tragen. | |
| Pierre, ein 44-jähriger Lkw-Fahrer aus Sednaya, hatte Glück. Seine Familie | |
| hat ihn für sechs Millionen Pfund (30.000 Dollar) freigekauft. Für Abu | |
| Alla’ Al-Teli, den 56-jährigen Restaurantbesitzer aus Sednaya, zahlte die | |
| Familie zwei Millionen Pfund an die Nusra-Front. Beide Überlebende wollen | |
| aus Angst nicht mit Journalisten sprechen. | |
| Nicola al-Zahr, Bürgermeister von Sednaya und Mitglied der regierenden | |
| Baath-Partei, weiß nicht mehr, wie er den Angehörigen von Entführten und | |
| Todesopfern durch Raketeneinschlägen helfen soll. „Dem großen Geschäft mit | |
| den Entführungen, unter denen unsere Familien leiden, stehen wir machtlos | |
| gegenüber“, sagt er im Gespräch. Der einzige Ausweg sei, sich zu bewaffnen | |
| und selbst zu verteidigen. | |
| „Wir werden in Sednaya ständig beschossen, weil wir uns den Rebellen nicht | |
| anschließen, wir werden schuldlos in diesen Krieg mit hineingezogen, aber | |
| wir haben bisher selbst keine Gewalt ausgeübt“, erläuert al-Zahr die Lage. | |
| „Dass die syrische Armee ausgerechnet in den Bergen über unserem Dorf einen | |
| Stützpunkt hält, dafür können wir nichts.“ | |
| Youssef, der Ingenieur, sagt: „Wir leben ständig in Angst. Wir misstrauen | |
| inzwischen sogar den Muslimen, mit denen wir immer friedlich in Sednaya | |
| zusammengelebt haben. Wir fragen uns, ob sie vielleicht mit den Kämpfern in | |
| den Nachbardörfern kollaborieren.“ | |
| 30 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Martin Lejeune | |
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