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# taz.de -- Krieg in Gaza: Wahrheit zwischen Trümmern
> Israel lässt keine ausländischen Journalist:innen in den
> Gazastreifen. Umso wichtiger sind palästinensische Reporter:innen, auch
> für die taz.
Bild: Gefährliche Einblicke: Gaza-Stadt am Sonntag nach einem israelischen Ang…
Tel Aviv/Berlin taz | „Seid ihr o. k.?“, schreiben wir an unsere Reporter
in Gaza, wenn Evakuierungsanordnungen oder Bombardierungen in ihrer Nähe
gemeldet werden. Und jetzt, wo Israels Militär im Begriff ist, Gaza-Stadt
einzunehmen: „Wisst ihr schon, wohin ihr fliehen könnt?“
Großflächige Zerstörung, massenhaftes Aushungern, täglich getötete Kinder
und noch immer 20 Geiseln, all das in Echtzeit auf Social Media: Der
Gaza-Krieg ist so gut dokumentiert wie wohl kein anderer in der Geschichte.
Dennoch ist das Misstrauen gegenüber jeder Information, jedem Foto, jedem
Bild gewaltig. Obwohl sich der Schrecken vor aller Augen abspielt, sieht,
wer nach Gaza blickt, doch nur, was er oder sie sehen will. Licht in dieses
Dunkel bringen palästinensische Journalisten vor Ort. Seit fast zwei Jahren
riskieren viele von ihnen alles, berichten trotz Hunger, Luftangriffen und
Flucht. Ohne sie könnte auch die taz nicht aus Gaza berichten.
Woher wissen wir als Reporter, dass etwas wahr ist? Etwa, wenn wir es mit
eigenen Augen sehen. Israel lässt aber seit fast zwei Jahren keine
internationalen Journalisten nach Gaza. Offensichtlich hat die Regierung
von Benjamin Netanjahu kein Interesse an Zeugen für das Vorgehen der
israelischen Armee.
## Aufwendige Recherchen
Was der Berichterstattung bleibt, ist eine Annäherung: Wir betrachten
Fotos, Videos, Karten und Satellitenbilder. Wir sprechen mit möglichst
vielen Quellen in Gaza und in Israel. Wir lesen Berichte von
Menschenrechtsorganisationen und internationalen Hilfsorganisationen. Wir
beziehen aufwendige Recherchen internationaler Medien ein. Kommen sie alle
zu ähnlichen Schlüssen, können wir relativ sicher davon ausgehen, dass es
stimmt.
Damit lässt sich mehr beantworten, als es mitunter scheint. Auch wenn viele
mittlerweile mit Blick auf Gaza erschöpft abwinken: Wer soll angesichts des
von Israel und der Hamas aufwendig geführten Propagandakrieges noch wissen,
was wirklich passiert?
Einiges lässt sich klar und mit Verweis auf die Verantwortlichen
beantworten: Ja, es gibt in Gaza vor allem aufgrund der israelischen
Blockade eine Hungersnot. Ja, israelische Soldaten erschießen regelmäßig
unbewaffnete Hilfesuchende vor Verteilzentren für humanitäre
Hilfsleistungen. Ja, Israel zerstört systematisch die Lebensgrundlagen der
zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens. Ja, in den wenigen noch
funktionierenden Krankenhäusern von Gaza liegen unterernährte Kinder, die,
selbst wenn sie überleben, ihr Leben lang an Folgen leiden werden. Ja,
Israel greift regelmäßig völkerrechtlich geschützte Krankenhäuser ohne
ausreichende Rechtfertigung an.
Und ja, die Hamas nutzt die zivile Infrastruktur im Gazastreifen für ihre
Zwecke. Ja, die Hamas schüchtert Menschen ein, die sich öffentlich gegen
sie äußern, sie tötet sie sogar. Ja, es gibt Journalisten, die ihr
ideologisch nahestehen.
Doch es gehört nicht zufällig zum Handbuch autoritärer Rechtspopulisten wie
Netanjahu und US-Präsident Donald Trump, Misstrauen gegen diese Quellen zu
verbreiten. Gesellschaftliche Institutionen werden so sturmreif geschossen,
bis sie entweder ausgeschaltet, neu besetzt oder ersetzt werden können.
Nähe zur oder Unterwanderung durch die Hamas sind die meistgenutzten
Vorwürfe, die israelische Regierungsmitglieder vorbringen: gegen
Krankenhäuser im Gazastreifen, Rettungsdienste, UN-Organisationen, NGOs. In
der Regel ohne Beweise.
Dass das trotzdem funktioniert, zeigt sich auch darin, dass Organisationen
wie die Vereinten Nationen oder internationale Hilfsorganisationen in der
Berichterstattung über Gaza wenig Gewicht haben, obwohl sie mit hunderten
internationalen und tausenden lokalen Mitarbeitern vor Ort sind. Die
Vorwürfe genügen, und obwohl bis heute keine Beweise vorliegen, dass das
UN-Palästinahilfswerk UNRWA, wie von Israel behauptet, systematisch von der
Hamas unterwandert ist, hat die Organisation international viel von ihrer
Glaubwürdigkeit verloren.
Auch deshalb kann kein Bericht und keine Hilfsorganisation palästinensische
Journalisten vor Ort ersetzen. „Kannst du hingehen und mit den Betroffenen
sprechen?“, ist unsere häufigste Frage an unsere Kolleginnen in Gaza.
„Berichtete ein Reporter der Nachrichtenagentur Reuters/AP/AFP vor Ort“,
lautet die Zeile, die bei Breaking News für Sicherheit sorgt: Ein
palästinensischer Kollege war dort, darauf können wir uns verlassen.
Auch die vielen Geschichten, die im Kleinen konkret das Große erzählen,
wären ohne palästinensische Reporterinnen und Reporter nicht möglich. Sie
brechen Schlagzeilen auf einzelne Schicksale herunter. Etwa, [1][wenn unser
Reporter Sami Ziara das Al-Aqsa-Märtyrer-Krankenhaus in der Stadt Deir
al-Balah besucht], während es vor einer drohenden Offensive evakuiert wird.
Das Schicksal des Patienten Mohammad al-Akhras, der nirgendwohin flüchten
kann, macht deutlich, was es bedeutet, wenn ein Krankenhaus in die
Schusslinie gerät.
Auch das Gaza-Tagebuch trägt zur Berichterstattung bei. Unsere Autorinnen
und Autoren beschreiben darin konkret ihren Kriegsalltag. Im Juli, als die
Hungersnot in Gaza am größten wurde, [2][schrieb unser Autor Esam Hajjaj:]
„Vor Kurzem gelang es mir, ein Kilogramm Mehl für 27 US-Dollar zu bekommen.
Außerdem habe ich fünf Tomaten, sieben grüne Paprikaschoten und ein Kilo
Molokhia (auf Deutsch: Mußkraut) für 44 US-Dollar bekommen. Beim Kochen
schnurrt es wie Spinat zusammen. Aus dem Mehl backen wir zehn kleine
arabische Brote. Das ist alles, was wir als fünfköpfige Familie an diesem
Tag essen.“
So konkret, so eindrücklich können wir aus Berlin oder Jerusalem nicht
berichten. Das hat auch Israels Regierung verstanden – und es dem Anschein
nach gezielt auf die Kollegen abgesehen. Journalistinnen und Journalisten
in Gaza brauchen dringend internationalen Schutz, sonst könnten ihre
Stimmen bald zum Schweigen gebracht werden – [3][so wie etwa am 25. August
Maryam Abu Dagga].
1 Sep 2025
## LINKS
[1] /Report-aus-dem-Al-Aksa-Maertyrer-Spital/!6029855
[2] /Gaza-Tagebuch-/!6102479
[3] https://www.spiegel.de/ausland/mariam-abu-daqqa-nachruf-auf-in-gaza-getoete…
## AUTOREN
Felix Wellisch
Lisa Schneider
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