# taz.de -- Korruption in der Ukraine: Kyjiws langwieriger Kampf | |
> Die Ukraine freut sich über die Lieferung westlicher Panzer. Aber das | |
> Land hat noch eine Front, an der Panzer nicht helfen werden – die | |
> Korruption. | |
Bild: Im Frontgraben: Gutes Umfeld für Korruption | |
KYJIW taz | Diese Woche wurde die Ukraine [1][von Korruptionsskandalen | |
und einer Welle von Rücktritten auf höchster Regierungsebene überrollt]. | |
Vor dem russischen Angriff gehörten solche Nachrichten zum Alltag, aber in | |
Kriegszeiten wurden sie zum sensiblen Thema. In der ukrainischen | |
Zivilgesellschaft und im Kabinett des ukrainischen Präsidenten Wolodimir | |
Selenski lösten die Skandale heftige Reaktionen aus. Innerhalb weniger Tage | |
wurden Beamte aus Ministerien und Regionalverwaltungen, auch der | |
stellvertretende Leiter des Präsidialamtes, entlassen. Einige Fälle kamen | |
durch die ukrainischen Antikorruptionsbehörden ans Licht – die meisten | |
jedoch durch journalistische Recherchen. | |
Die Null-Korruption unter Kriegsbedingungen sowie ein wirksamer Kampf gegen | |
ihre Erscheinungsformen werden zu wichtigen moralischen Komponenten der | |
ukrainischen Gesellschaft, die sich gemeinsam gegen einen Feind – Russland | |
– zusammenschließt. Gleichzeitig wird er zur unmittelbaren Grundlage, um | |
die nötige militärische und finanzielle Hilfe von westlichen Partnern zu | |
erhalten. Bei der aufgedeckten Geldveruntreuung ging es um überteuerte | |
Preise für den Kauf von Lebensmittel und Verpflegung und für Ausrüstung und | |
Generatoren für die Soldaten. | |
Nicht nur Selenski versteht das, sondern auch Journalisten und Aktivisten, | |
die trotz Krieges weiterhin die Korruption von Beamten aufdecken. „Unser | |
Traum ist es, in einem freien Land zu leben – nicht nur von Russland, | |
sondern auch von Korruption“, schrieb die [2][Ukrayinska Pravda in dem | |
Leitartikel], der die wichtigsten Koruptionsfakten bekannt gab. | |
Witalij Schabunin, Vorstandsvorsitzender des Antikorruptionszentrums, | |
ist der Ansicht, dass diese Skandale zum Bruch des Gesellschaftsvertrags | |
zwischen Behörden und Gesellschaft, der am 24. Februar 2022 geschlossen | |
wurde, geführt habe. Das Präsidialamt ist sich der Lage bewusst und | |
reagierte blitzschnell. Am 7. Februar tagt das ukrainische Parlament, | |
Werchowna Rada, wieder und viele erwarten eine weitere Welle von | |
Personalwechseln. | |
## Korruptionsbekämpfung als Weg in die EU | |
Kyjiws schnelles Handeln diese Woche ist der EU nicht verborgen geblieben. | |
[3][Im Juni 2022 erhielt die Ukraine den Status eines | |
EU-Beitrittskandidaten]. „Wir begrüßen die Tatsache, dass die ukrainischen | |
Behörden diese Probleme ernst nehmen“, sagte die Sprecherin der | |
Europäischen Kommission, Ana Pisonero, bei einem Briefing in Brüssel. | |
„Maßnahmen gegen Korruption umzusetzen ist ein Schlüsselaspekt des | |
EU-Beitrittsprozesses und der politischen Bedingungen für die Fortsetzung | |
der EU-Finanzhilfe.“ | |
Die Ukraine hat bereits eine recht umfangreiche Infrastruktur zur | |
Korruptionsbekämpfung mit sechs unabhängigen Institutionen aufgebaut – | |
darunter [4][ein Ermittlungsbüro, eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht]. | |
Allerdings sind noch nicht alle einsatzbereit, und ein paar warten auf eine | |
Leitungskraft. | |
Gleichzeitig stellt der frühere Wirtschaftsminister Tymofij Mylowanow fest, | |
dass die Ukraine bereits weitere Schritte unternommen hat, etwa die Reform | |
der Zentralbank und des Bankensystems, die Schaffung eines transparenten | |
elektronischen Systems für das öffentliche Beschaffungswesen, die Reform | |
der Patrouillenpolizei und die Öffnung des Grundstücksmarktes. | |
Mylowanow gibt jedoch zu, dass noch viel Arbeit bevorsteht, unter anderem | |
die Gerichtsreform und Maßnahmen gegen Oligarchen. „Oligarchen | |
kontrollieren noch viele Monopole, daher ist eine Kartellrechtsreform | |
notwendig. Lobbyismus und politische Wahlkampfspenden müssen beseitigt und | |
reguliert werden“, unterstreicht der ehemalige Minister. | |
## Der Krieg als Ende der Oligarchen | |
Durch den Krieg haben ukrainische Oligarchen Vermögen und Millionen Dollar | |
verloren, auch ihre Unternehmen wurden zum Teil zerstört. Rinat Achmetow | |
ist zwar weiterhin der reichste Mann der Ukraine, aber laut verschiedenen | |
Schätzungen hat er bis zu 70 Prozent seines Kapitals verloren. | |
Sein größtes Unternehmen Metinvest [5][im besetzten Mariupol] hat | |
Industriegiganten wie das Stahlwerk Azovstal und die Illich Eisen- und | |
Stahlwerke verloren, die bei den Kämpfen vollständig zerstört wurden. Die | |
größte Koks- und Chemieanlage Europas, die sich in der Frontstadt Awdijiwka | |
in der Region Donezk befindet, wurde ebenfalls stillgelegt. Die | |
Wiederinbetriebnahme dieser Anlagen könnte etwa 20 Milliarden Dollar | |
kosten. Auch in einem anderen Industriezweig, in dem Achmetow ein Monopol | |
hat – der Energiewirtschaft -, [6][erleidet sein Unternehmen DTEK bei jedem | |
Raketenangriff Russlands Millionen von Dollar an Verlusten]. | |
Ein anderer ukrainischer Unternehmer, Ihor Kolomojskyj, dem 2022 von | |
Selenski die ukrainische Staatsbürgerschaft entzogen wurde, verlor | |
ebenfalls einen Großteil seines Kapitals durch den Krieg. Im Frühjahr | |
zerstörte der russische Beschuss eine seiner wichtigsten Anlagen, die | |
Ölraffinerie von Krementschuk, die mehr als ein Drittel des gesamten | |
ukrainischen Kraftstoffmarktes belieferte, vollständig. | |
Gleichzeitig verstaatlichte die Ukraine im Herbst seine teuersten Aktiva, | |
Ukrnafta und Ukrtatnafta. Sie erhielten den Status von Militärgütern und | |
wurden der Verwaltung des Verteidigungsministeriums unterstellt. Diese | |
Entscheidung wurde jedoch nur für die Zeit des Kriegsrechts getroffen. | |
Später können sie laut Gesetz an den Eigentümer zurückgegeben werden oder | |
der Staat muss eine Entschädigung für sie zahlen. | |
Viele Experten und Ökonomen in der Ukraine glauben, dass der Krieg das | |
Ende einer Ära von Industrieoligarchen bedeutet, die ihr Vermögen nach dem | |
Zusammenbruch der Sowjetunion erworben haben. Sie weisen darauf hin, dass | |
es unwahrscheinlich ist, dass sie ihren Status wiedererlangen, wenn der | |
Krieg vorbei ist. Gleichzeitig wird die Wirksamkeit der ukrainischen | |
Gesetzgebung, einschließlich der Umsetzung des so genannten | |
Anti-Oligarchen-Gesetzes und des Oligarchenregisters, darüber entscheiden, | |
ob neue Oligarchen und Monopolisten im Land auftauchen können. | |
Laut dem [7][Korruptionsindex von Transparency International] (TI) lag die | |
Ukraine 2021 auf Platz 122 der Welt-Rangliste und ist damit im Vergleich zu | |
2020 um einige Plätze zurückgefallen. Am 31. Januar wird TI den aktuellen | |
Bericht veröffentlichen, aus dem hervorgehen wird, inwieweit das | |
Korruptionsniveau im Zuge der Anti-Korruptions-Infrastruktur und des | |
Krieges tatsächlich zurückgegangen ist. | |
27 Jan 2023 | |
## LINKS | |
[1] /Korruption-in-der-Ukraine/!5910355 | |
[2] https://www.pravda.com.ua/columns/2023/01/24/7386084/ | |
[3] /EU-Kandidatenstatus-fuer-die-Ukraine/!5863297 | |
[4] /Generalstaatsanwalt-in-der-Ukraine/!5871059 | |
[5] /Krieg-in-der-Ukraine/!5863203 | |
[6] /Umweltschuetzerin-zur-Lage-in-der-Ukraine/!5902952 | |
[7] https://www.transparency.de/cpi/cpi-2021/cpi-2021-tabellarische-rangliste | |
## AUTOREN | |
Anastasia Magasowa | |
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