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# taz.de -- Konzertbesprechung Sleaford Mods: Pinkelt im nächsten Hinterhof
> Die Song gewordenen Sozialdramen des britischen Duos Sleaford Mods werden
> gehypet. Musikalisch ist ihr Gastspiel in Berlin etwas eintönig.
Bild: Focker, Focking, Fock: die Sleafords Mods auf einem früheren Konzert der…
Britische Verhältnisse in Berlin. Gut zwei Stunden vor Konzertbeginn bildet
sich eine Schlange vor dem Club „Bei Ruth“, der im industriellen Wasteland
zwischen Neukölln und Treptow in einem Hinterhofgeflecht aus
Schrotthändlern und Autoschraubern in einem Obergeschoss versteckt liegt.
Vorverkauf gibt es keinen, Getränke verkauft auch niemand, nur die
handgeschriebene Anweisung, man möge gefälligst im nächsten Hinterhof
pinkeln, verziert eine Absperrung.
Das Ambiente passt zu den Headlinern des Abends, den Sleaford Mods aus
Nottingham, die in einem Song den charakteristischen Uringestank ihrer
Heimatstadt mit dem Geruch von gebratenem Speck vergleichen. Hierzulande
nimmt der Hype um das Duo fast schon bedrohliche Ausmaße an. Ist es, weil
sich die Sleaford Mods im Milieu der Abgehängten und Aussortierten
auskennen, dass sich gerade männerbündlerische Journalisten von dieser
Musik gewordenen Hoffnungslosigkeit angesprochen fühlen? Auch linke Medien
wie Konkret und Jungle World finden an dem unversöhnlichen Sound der
Sleaford Mods Gefallen.
Das Berliner Konzert ist im Nu ausverkauft, eine Sardinenbüchse fühlt sich
vergleichsweise nach Hängematte an, so viel Geschiebe. Eine ganze Armada
von TrägerInnen britischer Sportswear der Marke Fred Perry zeigt Klamotten
mit extra breiter Brust. Musikerkollegen von Jens Friebe über Kristof
Schreuf bis Andreas Spechtl sind gekommen sowie der Hamburger Theaterautor
Thomas Ebermann, aber auch eine Tresenkraft aus der Lieblingsbar in
Neukölln.
Zunächst entert die Bühne ein Berliner Lokalheld, Patric Catani in seinem
Rapper-Alias Ill Till. Alleine fantasiert sich Catani eine „Dirty 6 Crew“
zurecht und lässt Myriaden von Wortspielen vom Stapel. Seine Version von
HipHop liegt in einem Paralleluniversum zu den Vorstellungswelten des
Mainstream-Gangstarap. Wie ein Flaschensammler klaubt er die kläglichen
Reste der Sprache zusammen und gibt ihnen einen Tritt, der wohltuend anders
wirkt. „Can’t you see / wir sind nicht verrückt / Doch die Welt crazy.“
Es ist ein schmaler Grat zwischen peinlich und irre, auf dem Catani tanzt.
Endlos wiederholt er den Spruch „Ich hab das Gefühl / Ich kenne die
Raststätte“ und lässt dazu Billo-Synthiesounds und Beats ablaufen, die
zermatschen wie Fliegen am Kühlergrill.
## Frisuren wie Playmobil-Figuren
Als Andrew Fearn und Jason Williamson gegen 23 Uhr die Bühne entern, dauert
es circa vier Sekunden, bis das Wort „Fuck“ zum ersten Mal erklingt. Lustig
gerade im Zusammenhang mit ihren Topfhaarschnitten, die sie wie
Playmobil-Figuren wirken lassen. Getreu dem Dialekt der Gegend von
Nottingham klingt es eher nach „Fock“, „Focker“, „Focking“, „Fock…
Die Begrüßung schenken sich die Sleaford Mods, stattdessen kläfft Sänger
Jason Williamson „Ihr kennt alle den focking Song“, spannt die
Halsschlagader an und belfert los. „Jolly Fucker“. Hass, Neid und Frust
kommen zum Ausdruck, wenn Williamson in den Tiraden-Modus umschaltet. Wenn
er über die Erniedrigungen am Arbeitsamt in dem Song „Jobseeker“ sinniert.
Wenn sich die Verstörung über seine Beschimpfungsarie gelegt hat, tritt
eine Empathie für die Sorgen und Nöte der kleinen Leute zutage. „Die beste
Band der Welt“, hat ein Kritiker geschrieben. Was die No-Nonsense-Attitude
der Sleaford Mods angeht, mag das stimmen. Musikalisch passiert außer
Samples zwischen Northern Soul und Postpunk allerdings kaum etwas. Andrew
Fearn bedient gelegentlich sein Laptop und zieht an einer Elektrozigarette.
Im Mittelpunkt steht Jason Williamson, etwa wenn er bei dem Song „Donkey“
seinen Mund aufreißt wie ein blökender Esel. Oder wie ein Fuchs die
Mikrofonstange umschleicht.
20 May 2014
## AUTOREN
Julian Weber
## TAGS
Punk
englisch
Sleaford Mods
Punk
Sleaford Mods
elektronische Musik
Großbritannien
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