# taz.de -- Konflikt in Georgien um Südossetien: Realität und Vision | |
> Vor 13 Jahren fand der Südkaukasuskrieg statt. Die Wunden sind noch immer | |
> tief. Ein Mediator möchte sie lindern – mit einem Workshop in den Bergen. | |
Bild: Im georgischen Teil des Kaukasus haben sich die Workshop-Teilnehmer*innen… | |
GORDI taz | Die Anspannung ist ihnen anzumerken an diesem Dienstag im | |
August auf dem Vorplatz des Hotels „Chateau Chikovani“, hoch oben in den | |
Bergen Georgiens. Zwölf Frauen und Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren | |
kleben vor ihren Laptops und legen noch einmal Hand an, bevor sie ihre | |
Poster, Videos, Comics und Blogs präsentieren. Dann flimmern auch schon die | |
ersten Plakatmotive über die Bildschirme – Stacheldrähte, Grenzzäune, wei�… | |
Tauben und immer wieder das Peace-Zeichen. Sie kreisen alle um dasselbe | |
Thema: den russisch-georgischen Krieg um die Region Südossetien im August | |
2008. | |
Südossetien ist ein autonom verwaltetes Gebiet im Norden Georgiens, nur | |
rund 3.900 Quadratkilometer groß, geschätzt weniger als 40.000 Menschen | |
leben dort. Südosset*innen und Georgier*innen sprechen zwei nicht | |
miteinander verwandte Sprachen, schreiben in unterschiedlicher Schrift. | |
Auch deshalb sollen die jungen Frauen und Männer an diesem Tag | |
künstlerische Poster für sich sprechen lassen. | |
Die Präsentation ist Teil eines Workshops, den die georgische NGO | |
„Coalition for IDP’s Rights“ – Bündnis für die Rechte von | |
Binnenflüchtlingen – vor anderthalb Jahren für Georgier*innen und | |
Südosset*innen gestartet hat. Die Idee sei es, „negative Stereotype in | |
den jeweiligen Gesellschaften aufzubrechen und so Möglichkeiten für eine | |
Annäherung zu eröffnen“, sagt der Workshopleiter und Vorsitzende des | |
Bündnisses, Zurab Bendianischwili. | |
Seit fast 30 Jahren ist er in der Konfliktbearbeitung aktiv und weiß: | |
„Gerade die junge Generation kann in Zukunft zu einem wichtigen Akteur | |
werden, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen.“ | |
Obwohl er sich über das Engagement seiner Schützlinge freut, ist seine | |
Stimmung gedrückt, denn an diesem Tag sind die Südosset*innen gar nicht | |
dabei. Um nach Georgien zu gelangen, müssen sie über Russland einreisen, | |
doch die russischen Grenzbeamten lassen sie nicht nach Georgien. | |
Auch mehrere Versuche, sie per Videochat hinzuzuschalten, scheitern, an | |
einer schlechten Internetverbindung. Der 18-jährige Davit sagt: „Es ist | |
schade, dass sie nicht kommen konnten.“ Südossetien gleiche eben doch einem | |
großen Gefängnis.War die Grenze zuvor zumindest teilweise durchlässig, ist | |
die Region nun völlig abgeschottet. | |
Kontakte und Begegnungen, die unterbunden oder erschwert werden, | |
Feindbilder, die immer weitergetragen werden – das ist die traurige | |
Realität seit dem Krieg im Jahr 2008. In der Nacht vom 7. auf den 8. August | |
nahmen damals georgische Truppen die südossetische Hauptstadt Zchinwali | |
unter Beschuss. Der damalige georgische Staatspräsident Michail | |
Saakaschwili glaubte, die abtrünnige Region Südossetien im Handstreich | |
wieder unter die Kontrolle von Tiflis bringen zu können. Eine fatale | |
Fehleinschätzung, die auch auf der Annahme beruhte, der Westen werde ihn | |
unterstützen. | |
Schon zu Sowjetzeiten haben sowohl Südossetien [1][als auch Abchasien] – | |
eine Region im äußersten Westen Georgiens – einen weitgehenden | |
Autonomiestatus in der georgischen Sowjetrepublik. Nach der Unabhängigkeit | |
Georgiens 1991 wird Swiad Gamsachurdia, ein erklärter Nationalist, zum | |
ersten Präsidenten gewählt. Das befeuert in beiden Regionen separatistische | |
Bestrebungen. In Südossetien und in Abchasien kommt es Anfang der 90er | |
Jahre zum Krieg. Allein letzterer fordert Schätzungen zufolge zwischen | |
10.000 und 15.000 Tote. | |
Auch im August 2008 eskaliert der Konflikt, Moskau mischt sich ein: Am 8. | |
August greifen russische Truppen eine georgische Militärbasis an, rücken | |
weit auf georgisches Territorium vor. Vier Tage später handelt Frankreich | |
im Mandat der EU-Ratspräsidentschaft mit Russland einen Sechs-Punkte-Plan | |
aus. Der Krieg ist beendet. Die Bilanz: schätzungsweise 850 Tote, rund | |
2.500 Verletzte und 100.000 Menschen, die über Nacht zu Binnenflüchtlingen | |
werden, größtenteils Georgier*innen, die in Südossetien leben. Am 26. | |
August 2008 erkennt Moskau die Unabhängigkeit Südossetiens an. | |
Heute, 13 Jahre nach dem Ende des Krieges, hat Russland in Südossetien | |
Fakten geschaffen. Moskau hat seine militärische Präsenz ausgebaut – ein | |
klarer Verstoß gegen den Sechs-Punkte-Plan, der eine Reduzierung der | |
Truppen auf den Stand von vor 2008 vorsieht. | |
Das Ansinnen des Kremls ist eindeutig: Durch die Präsenz soll die | |
fortschreitende Westanbindung Georgiens – auch im Hinblick auf einen | |
möglichen Beitritt zur Nato – torpediert werden. Mittlerweile finanziert | |
Moskau rund 90 Prozent des südossetischen Staatshaushalts. Vor allem junge | |
Leute, die studieren wollen, verlassen mangels Perspektiven die Region. | |
Dabei bleibt ihnen als einzige Alternative oft nur der Weg nach Russland. | |
Grenzschutztruppen des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB sichern die | |
Demarkationslinie, die de facto undurchlässig geworden ist und [2][sich | |
langsam, aber stetig weiter ins Landesinnere Georgiens verschiebt]. Immer | |
wieder kommt es dort zu Vorfällen. Etwa wenn georgische Bauern ihrem | |
wandernden Vieh über die Grenze folgen und auf der südossetischen Seite | |
festgenommen werden. Solche Vorkommnisse dokumentiert die European | |
Monitoring Mission der EU. Sie ist seit 2008 mit rund 200 unbewaffneten | |
Beobachter*innen vor Ort, jedoch ohne Zugang zu Südossetien. | |
Seit 2010 finanziert die EU zudem das Programm „Confidence Building Early | |
Reponse Mechanism“. Sein Ziel ist, zur Entspannung zwischen Georgien sowie | |
Abchasien und Südossetien beizutragen. Auch Zurab Bendianischwili, der | |
Konfliktmediator, finanziert einen Großteil seiner Aktivitäten aus diesem | |
Programm. | |
Auf die Frage, wie seine persönliche Bilanz des Workshops lautet, sagt er: | |
„Für mich war es interessant zu beobachten, wie sich die | |
Teilnehmer*innen während des Projekts verändert haben. Sie sind für | |
mich eine große Hoffnung, dass wir in dieser Region wirklich etwas | |
verändern können.“ | |
29 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Kooperationsvertrag-Russland-Abchasien/!5027786 | |
[2] /Russische-Grenze-in-Suedossetien/!5617934 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
## TAGS | |
Georgien | |
Kaukasus | |
Russland | |
Abchasien | |
GNS | |
Georgien | |
Georgien | |
Ukraine | |
Erntehelfer | |
Schwerpunkt LGBTQIA-Community | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Südossetien und Russland: Doch kein Referendum | |
Der Präsident der von Georgien abtrünnigen Region bläst eine | |
Volksabstimmung zum Russland-Beitritt ab. Ein Grund könnten klamme Kassen | |
sein. | |
Nach den Wahlen in Georgien: Sieg mit Beigeschmack | |
Georgiens Regierungspartei hat die Kommunalwahlen gewonnen. Doch | |
internationale Beobachter berichten von Einschüchterungen und Stimmenkauf. | |
„Krim-Plattform“ in Kiew: Ukraines Polit-Offensive | |
Kurz vor dem Nationalfeiertag sucht Präsident Selenski neue Unterstützung | |
gegen die russische Annexion – mit einem „Krim-Gipfel“. | |
Ausbeutung von Erntehelfer*innen: Gericht als letzter Ausweg | |
Georgische Saisonarbeitskräfte sind in Deutschland um ihren Lohn betrogen | |
worden. Jetzt klagen sie – in Deutschland, aber auch in der Heimat. | |
Homophobe Gewalt: Georgien im Schockzustand | |
Nach einem Angriff homophober Demonstranten auf Journalisten ist ein | |
Kameramann gestorben. Tausende demonstrierten am Sonntag in Tiflis. |