# taz.de -- Kommentar Kämpfe in Libyen: Der Weg in den Abgrund | |
> Frankreich blockiert in Libyen eine gemeinsame europäische Politik. Das | |
> ermutigt den Gewaltakteur Haftar in seiner militärischen Eskalation. | |
Bild: Auf dem Weg in den Abgrund: die Truppen von Chalifa Haftar | |
Jahrelang hat die Weltgemeinschaft den Kriegszustand in Libyen | |
achselzuckend hingenommen – ein Ärgernis zwar aus ihrer Sicht, aber keines | |
von übergreifender Bedeutung, das schlaflose Nächte bereiten müsste. Jetzt | |
ist diese Zeit vorbei. Die beiden verfeindeten großen Machtzentren – der | |
Möchtegern-Militärherrscher Chalifa Haidar im Osten und die | |
Möchtegern-Regierung von Fayiz Serradsch im Westen – bekriegen sich vor den | |
Toren der Hauptstadt [1][Tripolis]. Sie werfen jeweils verbündete lokale | |
Milizen in die Schlacht und schrecken nicht einmal vor Luftangriffen | |
zurück. | |
Libyen war seit dem Scheitern der Bemühungen um eine | |
Post-Gaddafi-Nachkriegsordnung ein Pulverfass – nun ist es explodiert. | |
Das ist nicht nur für die Libyer eine Gefahr. Erneut, wie beim | |
Syrien-Konflikt, erweist sich die „internationale Gemeinschaft“ als | |
handlungsunfähig. Der UN-Sicherheitsrat kann sich nicht einmal auf eine | |
Erklärung – die, anders als eine UN-Resolution, folgenlos bleibt – zur | |
Verurteilung der kriegerischen Eskalation einigen. Ein entsprechender | |
Versuch scheiterte am Sonntag am Widerstand Russlands. | |
Moskau setzt auf den militärischen Sieg des „starken Mannes“ Haftar, um | |
Libyen mit Gewalt zu befrieden. Der Westen setzt auf einen politischen | |
Prozess, der die schwachen Institutionen der Staatlichkeit stärkt und die | |
unzähligen unterschiedlichen Machtzentren und Interessen dieses zerrissenen | |
Landes unter einen gemeinsamen Hut bringt. Das Haftar-Lager nimmt sich | |
Autokraten wie Präsident Baschar al-Assad in Syrien oder Abd al-Fattah | |
as-Sisi in Ägypten zum Vorbild und geht zielstrebig und brutal vor. Das | |
Serradsch-Lager hat überhaupt kein Vorbild und eiert herum. | |
Man könnte in dieser Situation zumindest von Europa eine klare Linie | |
erwarten. Libyens Stabilität liegt im unmittelbaren europäischen Interesse. | |
Als südlicher Anrainerstaat am Mittelmeer und als wichtigstes Transitland | |
der afrikanisch-europäischen Migration. Und man hört im beginnenden | |
Europawahlkampf viele Worte über die Notwendigkeit für die EU, geeint und | |
entschlossen aufzutreten, um Europas Interessen auf der Welt zu vertreten | |
und als Wertegemeinschaft zu handeln. | |
Libyen entlarvt solche schönen Worte gnadenlos. Europa ist im Umgang mit | |
Libyen heillos zerstritten. Denn Frankreich ist aus der gemeinsamen | |
Position der Unterstützung eines politischen Prozesses ausgeschert und | |
unterstützt einseitig Haftar und seine militärische Lösung. | |
Präsident Emmanuel Macron hat den Feldmarschall hofiert, ihn politisch auf | |
eine Stufe mit der international anerkannten Serradsch-Übergangsregierung | |
gestellt und ihn diskret mit Spezialkräften unterstützt. Das hat die | |
ohnehin bröcklige Autorität der zivilen Institutionen untergraben und jenen | |
Libyern Recht gegeben, die auf Gewalt setzen. | |
## Frankreich sieht sich als Ordnungsmacht Nummer Eins | |
Der Grund für Frankreichs Haltung ist eine ganz traditionelle, also auf die | |
Stärkung loyaler Gewaltherrscher setzende französische Geopolitik in | |
Afrika. Frankreich sieht sich in der Sahara- und Sahelzone als militärische | |
[2][Ordnungsmacht Nummer Eins]. Haftar gilt als Garant von Stabilität, | |
zusammen mit autokratischen Präsidenten von Nachbarländern wie Tschad. | |
Frankreich applaudierte, als Haftar im Februar die Kontrolle über Libyens | |
südliche Wüstengebiete übernahm. Das war für den Feldmarschall die Vorstufe | |
zum Vorstoß auf Tripolis, und jetzt drückt Paris verschämt beide Augen zu. | |
Und wie immer, wenn es um Afrika geht, sieht Frankreich auch in Libyen | |
nicht die geringste Veranlassung, seine Politik mit anderen europäischen | |
Partnern abzusprechen. Die EU darf diplomatische Legitimität liefern und | |
Rahmen setzen, innerhalb derer andere europäische Länder Frankreich helfen, | |
die Lasten seines Engagements zu tragen, aber das Engagement selbst | |
definiert Paris bitteschön allein. | |
Europa ist in Sachen Libyen so zerstritten wie es Libyen selbst ist. Und | |
auch sonst ist keine Ordnungsmacht in Sicht. Es gibt nur Unordnungsmächte. | |
Und wer das abtut mit der Gewissheit, das libysche Chaos werde schon noch | |
von den Weiten der libyschen Wüste verschluckt und müsse sonst niemanden | |
beunruhigen, hat die Lektionen des Krieges gegen die Gaddafi-Diktatur 2011 | |
nicht gelernt. | |
Damals dachten die westlichen Interventionsmächte, es genüge, Gaddafi zu | |
stürzen, und den Rest erledigen die aufständischen Libyer schon selbst. Sie | |
zogen sich zu früh aus dem Land zurück, und zurück blieb ein | |
Scherbenhaufen. | |
Vielleicht ist es Zeit, sich von der Idee zu verabschieden, dass irgendeine | |
starke Figur den Scherbenhaufen namens Libyen zusammenfegen könnte. In den | |
acht Jahren seit der Revolution haben sich in dem weitläufigen Land, dessen | |
Bestandteile nur durch das Generieren und Verteilen [3][von Öleinnahmen | |
zusammengehalten werden], viele verschiedene Ordnungssysteme | |
herausgebildet, jeweils mit eigener Legitimität. Sie müssen alle zunächst | |
einmal anerkannt werden, damit auf der Grundlage gemeinsamer Interessen | |
Kooperation entstehen kann, bevor der Aufbau einer gesamtlibyschen | |
Staatlichkeit überhaupt denkbar ist. | |
Stattdessen soll es nun, geht es nach Putin und Macron, ein einziger Akteur | |
richten, indem er die anderen vernichtet. Das ist der Weg in den Abgrund. | |
Er darf nicht beschritten werden. Es ist Zeit, auch innerhalb der EU dazu | |
klare Worte zu fassen. | |
8 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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