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# taz.de -- Kolumne Press-Schlag: Schweigen wie ein Löw
> Soll die DFB-Elf ein Multikulti-Ensemble sein? Nein, sie ist es einfach.
> Jungs, die aus dem Ruhrgebiet kommen, sind doch Deutsche.
Bild: Jogi Löw schaut weg, während sich Mesut Özil sein DFB-Trikot auszieht
Jogi Löw schweigt. Selten ist ein Schweigen so laut gewesen wie dieses. Und
zusammen mit vielen anderen Gewissheiten, die dieser Tage zerfließen,
zerfließt auch das Missverständnis von Joachim Löw als großer Integrator.
Was sollte Jogi nicht alles gewesen sein, auch hier in der taz. Ein
Vorreiter schwäbisch-grünen liberalen Bürgertums im Fußball, der Erfinder
der bunten Nationalelf, derjenige, der eigenhändig Multikulti rettet und
die Zukunft dieses Land gleich mit. Viele Linke haben die Erzählung
gepredigt. Sie ist nicht erst seit dem kühlen bis unerträglichen Umgang mit
Mesut Özil großer Quatsch. Sie war es schon immer, und das sagt auch etwas
über falsche Annahmen in der sogenannten Integrationsdebatte.
Joachim Löw ist Pragmatiker. Er nominierte Spieler mit nichtdeutschen
Elternteilen für die Nationalelf vor allem, weil es Sinn hat. Er ist damit
nicht der einzige Mensch auf diesem Planeten. Frankreich, England,
Schweden, Belgien, die Schweiz, jede halbwegs ambitionierte Fußballnation
macht das so. Was auch sonst? Sollte er Özil, einen der besten deutschen
Spieler seiner Generation, nicht einladen, weil dessen Vorfahren aus der
Türkei einwanderten? Sollte er jeden Nachwuchsspieler nach seinem
Ariernachweis fragen? Wer es als progressiv tituliert, Boateng oder Emre
Can einzuladen, lässt eine Diskussion über das Nichteinladen dieser Spieler
erst zu. Was Löw tat, ist auf ideeller Ebene keine Revolution. Es ist eine
Selbstverständlichkeit.
Was der Jogi abgesehen davon denkt, wissen wir nicht, denn er hat es nie
gesagt. Gut möglich, dass er die Grünen toll findet. Ebenso gut möglich,
dass er FDP, Tierschutzpartei oder gar AfD wählt, wir wissen es nicht.
Solche Deutelei erinnert an jene, dem offensiv-kreativen Spielstil etwas
Linkes anzudichten, was spätestens bei Louis van Gaal nicht mehr
funktioniert.
## Von Ostbürgern und bayerischen Dörflern
Das Wort „Multikulti“ ist an der Stelle mindestens irreführend. Denn es
suggeriert, dass Deutschland oder die Nationalelf über eine einheitliche
Kultur verfügt, die aufgebrochen wurde, weil Sami Khedira dazukam. Was für
ein Unsinn. Der Ex-Ostbürger Toni Kroos und der bayerischer Dörfler Thomas
Müller haben natürlich völlig unterschiedliche Sozialisationen, Prägungen,
kulturelle Einflüsse erlebt, von den familiären gar nicht zu reden. Der
Berliner Stylist Jérôme Boateng und der Bremer Julian Brandt („Ein Tattoo?
Meine Mutter würde mich umbringen“) habe offensichtlich ganz
unterschiedliche Hintergründe.
Es wäre naiv, dabei die türkische oder muslimische Prägung eines Mesut Özil
auszublenden. Aber wer ständig von Multikulti redet, spricht den zumeist
hier geborenen Jungs das Deutschsein ab. Es ist auch das, was Mesut Özil
traf. Klar, sie gehören für uns Progressive dazu, aber so richtig deutsch
sind sie ja nun doch nicht. Wie viele Generationen sollen die Özils in
Gelsenkirchen leben, bis sich das ändert? Auch hat der Sportjournalismus
viel zu lange willkürliche Heimaten zugeteilt. Der in Polen geborene (!)
Miroslav Klose war nie Deutschpole, sondern deutscher als Katsche
Schwarzenbeck, der hier geborene Kollege Özil aber Deutschtürke. Die alte
deutsche Angewohnheit, Zugehörigkeit nach Blut oder Hautfarbe zu bestimmen,
wirkt unangenehm nach.
Das Wort „Integration“ wird ebenso oft missverstanden, auch im
Özil-Erdoğan-Fall. Im aktuellen Kinofilm „Landrauschen“ gibt es eine gute
Szene. Die Mutter, eine frustrierte und spießige Landbewohnerin, und ihre
Tochter, liberale Lesbe aus Berlin, kommen an afrikanischstämmigen jungen
Männern vorbei. „Wenn die hier sind, sollen die sich wenigstens mal
anpassen“, schimpft die Mutter. Darauf die Tochter: „An wen? An dich oder
an mich?“ Vielleicht sollte sich Özil-Verächter und Katar-Freund Uli Hoeneß
das mal anschauen.
28 Jul 2018
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Mesut Özil
Fußball
Deutsche Fußball-Nationalmannschaft
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