# taz.de -- DeutschtürkInnen über Özil: Hört uns zu! | |
> Zu Mesut Özil hat jeder eine Meinung. Meist sprechen weiße alte Männer. | |
> Hier äußert sich die migrantische Community. | |
Bild: Bei Arsenal-Fans hat er die Unterstützung jedenfalls: Mesut Özil | |
## „Hoffentlich gibt es ein krönendes Abschiedsspiel“ | |
Die Ex-Integrationsbeauftragte Gül Keskinler kann beim DFB keinen Rassismus | |
erkennen. Aber sie beklagt Respektlosigkeit | |
Ich bin mir sicher, dass Herr Grindel und die anderen Verantwortungsträger | |
im DFB keine Rassisten sind. Sie mögen vieles durch eine deutsche Brille | |
sehen und nicht immer die nötige Sensibilität aufbringen und auch mal | |
Empathie vermissen lassen, aber rassistisch, wie Mesut Özil es ihnen | |
vorwirft, sind sie nicht. | |
Was Mesut aber zu Recht beklagt, sind Alltagsdiskriminierung und | |
Respektlosigkeit. Die gab es schon immer, und sie wachsen leider. | |
Alltagsrassismus und Islamfeindlichkeit sind durch einen gesellschaftlichen | |
Rechtsruck verstärkt worden, wir haben eine Partei namens AfD in beinahe | |
allen Parlamenten. Insoweit kann ich Mesut verstehen. | |
Vor etwa zehn Jahren hatte ich mich sehr dafür eingesetzt, dass junge | |
Nationalspieler auch in interkultureller Kompetenz ausgebildet werden. | |
Viele kommen aus Milieus, in denen solche Werte nicht vermittelt werden. | |
Dass er sich nicht genügend dafür eingesetzt hat, kann man dem DFB | |
tatsächlich vorwerfen. | |
Im Fußballmilieu liegt da tatsächlich vieles im Argen. Auch im VIP-Bereich | |
in Stadien habe ich öfter hören müssen, dass Spieler wie Mesut Özil oder | |
Serdar Taşçı als „Dönertüte“ beschimpft wurden. Und auch ich, als | |
DFB-Mitarbeiterin erkennbar, aber eine mit „komischem Namen“, wurde von | |
Fans schräg angeschaut. | |
Das ist schlimm, denn die Nationalmannschaft ist tatsächlich für viele | |
Bereiche in Deutschland ein Vorbild, auch für große Firmen und Verbände. | |
Nach der WM 2014 sah es so aus, dass wir die Diversität in diesem Land | |
akzeptieren. Doch heute, 2018, müssen wir nach vorne schauen. Ich hoffe, | |
dass der DFB Mesut zu einer Aussprache einladen wird und er ein krönendes | |
Abschlussspiel bekommt. Es wäre ein sehr wichtiges Zeichen für den sozialen | |
Frieden. Junge Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass Sie nur dann | |
als ein Teil dieser Gesellschaft akzeptiert werden, wenn sie besonders gute | |
Leistungen erbringen. | |
## „Erdoğan nutzt den Rassismusvorwurf sehr geschickt“ | |
Der Schrifsteller Imran Ayata begründet, warum Özil Recht hat – und auch | |
nicht | |
Mesut Özil hat recht und unrecht zugleich. Er wirft dem DFB und Medien, | |
womit er vor allem die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Julian Reichelt | |
meint, Rassismus vor. Dass in den letzten Wochen rassistische Ressentiments | |
bedient wurden, steht für mich außer Frage. Von Basler über Bierhoff und | |
Grindel bis Heiko Maas klang immer Ressentiment durch, immer andeutend: So | |
ganz gehört einer wie Özil doch nicht dazu. | |
Zugleich fällt mir auf, wie Teile der Migrantencommunity antiislamischen | |
Rassismus einsetzen, um eigene politische Anliegen zu thematisieren und von | |
eigenen Praktiken der Ausgrenzung abzulenken. Ein Role Model dafür ist | |
Recep Tayyip Erdoğan. Niemand benutzt so geschickt den Vorwurf des | |
Rassismus wie er. Wenn Özil es mit dem Rassismusvorwurf ernst meint, dann | |
hätte er sein Erdoğan-Foto bedauern müssen. | |
Denn es hat neben der AKP vor allem den Rechten in Deutschland in die Hände | |
gespielt, allen, die gegen Vielheit sind. Seine Kritik an Grindel scheint | |
mir nachvollziehbar, weil der als CDU-Politiker nicht wirklich Befürworter | |
einer Einwanderungsgesellschaft war, im Gegenteil. Aber es hatte ja Gründe, | |
dass Özil selbst jahrelang DFB-Testimonial für Antirassismus war. | |
Tatsächlich hat der DFB, gerade unter Theo Zwanziger, sehr viel Gutes auf | |
den Weg gebracht. | |
Vielleicht lässt Özil all das jetzt hinter sich. Peinlich finde ich die | |
Kritik, dass er sich auf Englisch geäußert hat. Ich empfand das als einen | |
klugen Move, an den Optionen „deutsch“ und „türkisch“ vorbeizudribbeln. | |
Aber auf Englisch sendet er die konsequente Botschaft: Mesut Özil ist eine | |
globale Marke. Brutal, dass Erdoğan die Marke für sich kapitalisiert, | |
während Deutschland diese Chance wegen ewiggestriger Männer, die auf Namen | |
wie Reichelt, Grindel oder Matthäus hören, verpasst hat. | |
## „Ich hätte auch ein Foto mit Erdoğan gemacht“ | |
Oktay Urkal hat den Doppelpass und holte für Deutschland große Titel im | |
Boxen.Jetzt ist er vor allem traurig | |
Eigentlich bin ich ja Fan der deutschen Nationalmannschaft, aber nach dem, | |
was jetzt passiert ist mit Mesut Özil, bin ich einfach nur noch traurig. | |
Ich finde es nicht gut, dass man ihn zum Sündenbock stempelt. Deutschland | |
hat verloren, und Özil soll es ausbaden. Das Foto mit Erdoğan kam dem DFB | |
doch wie gerufen, damit er Özil alles in die Schuhe schieben kann. | |
Das ist schade, denn ich mag Mesut Özil. Er ist ein Vorbild für Leute wie | |
mich, die hier leben. Alle wollten doch schaffen, was Özil geschafft hat: | |
in die deutsche Nationalmannschaft reinkommen. Ich meine, wir leben hier, | |
machen unser Ding. Und so ein Foto mit Erdoğan hätten doch viele von uns | |
gemacht. Ich auch. Wem wird schon mal so eine Ehre zuteil? Ein Foto mit dem | |
Staatspräsidenten, das kann nicht jeder! Das hätte viele stolz gemacht, vor | |
allem die Eltern. | |
Dass man Mesut Özil von heute auf morgen so niedermacht, kann ich nicht | |
verstehen. Ihm ist vielleicht nicht klar gewesen, was er da auslöst. Man | |
hat ihn nicht ausreichend gewarnt, das kann schon sein. Aber viele von uns | |
sagen eben auch: Das ist unser Präsident, wir lieben ihn. Wenn in der | |
Türkei Journalisten im Gefängnis landen, dann wird es schon irgendeinen | |
Grund dafür geben. Özils Eltern waren bestimmt unheimlich stolz, dass der | |
Sohn ein Foto mit dem Präsidenten gemacht hat. Nicht, weil er Leute ärgern | |
wollte, sondern einfach so. | |
Özil ist ein Symbol dafür, was man als Migrant erreichen kann. Unsere | |
Eltern sind als Gastarbeiter gekommen. Hier haben wir alles gelernt, auch | |
das Boxen. Trotzdem wollte ich damals für die Türkei antreten, aber die | |
haben mich nicht akzeptiert. Das war okay, ich lebe ja hier, aber ich sage | |
dir auch: Man kann als Türke hundertmal den deutschen Pass haben, man | |
bleibt immer Ausländer. Man sieht ja, dass ich anders aussehe, südländisch | |
und so. Ob ich gut oder schlecht bin, Ausländer bleibe ich immer. | |
## „Deutschland hat schlicht überreagiert“ | |
Volkan Ağir erinnert daran, dass sich Mesut Özil schon mit Erdoğan traf, | |
als Deniz Yücel noch in Haft war | |
Die Reaktionen in Deutschland auf das Foto mit Recep Tayyip Erdoğan kann | |
ich verstehen. Niemand möchte seine Fußballhelden ausgerechnet mit dem | |
sehen, der bei jeder Gelegenheit Deutsche als Nazis bezeichnet. Aber | |
mittlerweile ist die Diskussion ja über dieses Foto hinaus. | |
Als ich das Bild zum ersten Mal sah, dachte ich nicht an Propaganda für | |
Erdoğan. Seit Jahren bekommt der doch zwei Drittel der deutsch-türkischen | |
Wählerstimmen. Da brauchte es diese Propaganda nicht. | |
Ilkay Gündogan hat auf das Trikot, das er Erdoğan schenkte, „Mein | |
Präsident“ geschrieben. Das schmerzte viele Deutsche, aber es sind nur | |
übliche Worte, die Türken verwenden, um die Person in höherer Position zu | |
nennen – egal ob es ein Staats- oder ein Klubpräsident ist. Aber da seit | |
drei Jahren in Deutschland ein riesiger Hass auf Erdoğan herrscht, war dies | |
für deutsche Medien Anlass, hiesigen Erdoğan-Wählern die Meinung zu sagen. | |
Mesut Özil steht seit 2010 in Verbindung zu Erdoğan. Auch 2017 trafen sie | |
sich. Zu diesem Zeitpunkt war ein anderer Deutschtürke, Deniz Yücel, ohne | |
Grund inhaftiert. Wo waren die deutschen Werte damals? Warum stand damals | |
niemand gegen Mesut auf? | |
Deutschland hat natürlich das Recht, auf Özils Erdoğan-Foto zu reagieren, | |
doch es hat überreagiert. Von Anfang an war klar, dass die Diskussion nur | |
erreichen konnte, was Erdoğan erreichen wollte. Denn auch wenn dieses Bild | |
am Anfang keine Propaganda für Erdoğan war, so ist es das jetzt. | |
Jetzt ruft er aus, Deutsche seien Rassisten, weil ein deutscher | |
Nationalspieler mit türkischen Wurzeln die Nationalmannschaft verlassen | |
musste. Jetzt unterstützen Erdoğan und seine AKP lautstark Mesut Özil und | |
sagen, dass dies ein Kampf gegen Rassismus ist. Eigentlich hat Deutschland | |
Erdoğan eine Wild Card gegeben, damit er machen kann, was immer er will. | |
28 Jul 2018 | |
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Recep Tayyip Erdoğan | |
Deutscher Fußballbund (DFB) | |
Kolumne Press-Schlag | |
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