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# taz.de -- Kommentar Identität und Integration: Die Özil-Debatte ist eine Ne…
> Özil selbst sagt, er habe zwei Herzen, ein deutsches und ein türkisches.
> Das ist eindeutig zuviel des Guten. Denn Deutschsein ist zeitaufwendig.
Bild: Mesut Özil nach seinem Tor gegen die türkische Fußballmannschaft im Ja…
Mal wieder richtet sich der Zorn gegen diejenigen unter uns, die mehr
haben. Der Neid wächst, und das ist kein Wunder bei dieser Ungleichheit: In
diesem Land leben Personen, die sind afrodeutsch, turkodeutsch,
italodeutsch, asisatisch-deutsch oder sonst wie mehr-als-deutsch. Andere
dagegen sind nur-deutsch und haben sonst nichts. Das ist nicht fair, denn
schließlich können sie nichts dafür, dass ihre Vorfahren sich nur mit
anderen Deutschen gepaart haben.
Während ich meine Weihnachtsferien bei Oma unter Palmen verbringen durfte,
saßen meine Klassenkamerad*innen bei den Großeltern im nordhessischen
Schneeregen fest. Während Herr Özil sich entscheiden durfte, für welche
Nationalmannschaft er spielen will, wurde den meisten Nur-Deutschen kein
einziges Trikot angeboten. Das schmerzt. Und so blicken sie voller
Missgunst auf die, die mehr haben: zwei Sprachen, zwei Pässe oder gar zwei
Heimaten.
Die Özil-Debatte ist eine Neiddebatte. Er selbst hat zugegeben, Familie in
mehr als einem Land zu haben und dazu noch „zwei Herzen, ein deutsches und
ein türkisches“. Das ist eindeutig zu viel des Guten. Zwei Herzen! Das
heißt im Grunde doppeltes Leben. Wer damit gesegnet ist und obendrein noch
einen Weltmeistertitel und einige Millionen auf dem Konto hat, der soll
dankbar sein und den Mund halten. Freundlichkeit, Respekt und Anerkennung
kann so einer nicht auch noch verlangen. Er soll gefälligst Leistung
zeigen; wer sich darüber beschwert, ist ein Jammerlappen. Jede
Benachteiligung, die ihm widerfährt, ist doch im Grunde nur ein gerechter
Ausgleich.
Der Rassismus, den viele Mehr-Als-Deutsche derzeit wieder erleben, ist eine
besonders destruktive Form des Neids, denn er versucht, den Beneideten auf
verschiedene Weise zu schaden. Zum einen soll ihnen genommen werden, was
man ihnen nicht gönnt. Diese Leute sollen sich gefälligst entscheiden.
Deutsch und … das geht nicht. In den Augen der Neider hat niemand zwei
Zugehörigkeitsgefühle verdient, und deshalb muss ihm dringend eines davon
weggenommen werden. Das geschieht, indem man ihnen ihr Deutschsein einfach
abspricht, beziehungsweise deutlich macht, dass ihnen diese Zugehörigkeit
jederzeit aberkannt werden kann. Diese Verunsicherung soll sicherstellen,
dass der Mehr-als-Deutsche seine hiesigen Pflichten nicht vernachlässigt.
Deutschsein ist schließlich zeitaufwendig. Man muss sich schon kümmern. Wie
ist das alles zu schaffen, wenn man noch anderweitig gebunden ist?
## Ein Schimpfwort mit Spaghetti
Eine andere Möglichkeit ist es, den Vorteil einfach zum Makel zu erklären.
Schon Ende der 1950er Jahre blickte man neidisch auf Menschen, die
kunstvoll Nudeln auf ihre Gabeln wickeln konnten, und erfand ein
Schimpfwort mit Spaghetti. Neidisch darüber, dass sich da welche in einer
Sprache unterhalten, die dem Nur-Deutschen unbekannt ist, ruft man auch
heute noch über die Straße: „Hier wird Deutsch gesprochen!“
Die Zweisprachigkeit, die interkulturelle Expertise, die Möglichkeit, sich
an mehreren Orten zu Hause zu fühlen – das alles wird zum Problem erklärt,
denn um es zu feiern und zu bewundern, müsste man ja gönnen können. Neben
der Abwertung des Anderen wird das Deutsche erhöht. Wir haben die beste
Hymne, also singt sie gefälligst mit. Unsere Dichter sind großartig, also
lest sie, auch wenn wir nicht glauben, dass ihr sie versteht.
Dabei wird nicht behauptet, dass es keine Probleme gibt. Aber nur
Nur-Deutsche dürfen diese ansprechen, bei den Mehr-als-Deutschen wird man
misstrauisch. Sie haben immerhin die Möglichkeit, uns einfach mit unserem
Deutschsein allein zu lassen und sich einer ihrer anderen Heimaten
zuzuwenden, sollte es mal nicht so gut laufen. Wer die Wahl hat, muss immer
wieder beteuern, dass er sich nicht umentscheiden wird. Gefordert wird
verlässliche Deutschland-Monogamie mit dem Bekenntnis zu ewiger Treue.
Wenn Deutsche mit Hintergrund diesen zu deutlich zur Schau stellen, wird
vielen Nur-Deutschen ihr eigener Mangel an Hintergründigkeit schmerzlich
bewusst. Mehr-als-Deutsche werden daher dazu angehalten, ihren Reichtum
nicht öffentlich zu zeigen. Diesen Vorgang nennen wir „Integration“. Ein
Schutzmechanismus, der dazu dient, Nur-Deutsche nicht zu verunsichern oder
gar zu reizen. Die Forderung nach Integration meint eigentlich: Sei bloß
nicht stolz darauf, wer du bist und was du hast. Sei dankbar, dass du einer
von uns sein darfst. Für diesen Zweck wurde extra ein Preis ins Leben
gerufen. Den Integrationsbambi will eigentlich niemand gewinnen, aber
einige wollen ihn unbedingt verleihen. Als Anreiz zur Bescheidenheit und
Unauffälligkeit.
## Schlagen die Herzen gleichzeitig?
Nur mit Neid lässt sich erklären, dass einzelne weniger dazugehören sollen,
nur weil sie etwas mit in diese Gesellschaft einbringen, das nicht alle
beisteuern können. Zugegeben: Die Vorstellung von zwei Herzen ist von außen
betrachtet ein wenig gruselig. Es ist einfach nicht nachvollziehbar, wie
das funktionieren soll. Schlagen sie gleichzeitig oder im Wechsel? Kann man
eines einfach ausschalten, wenn es mal schmerzt? Sind Menschen mit zwei
Herzen besonders gut darin, diejenigen unter uns auszumachen, die gar
keines haben?
Aber was, wenn einer die Kraft seiner zwei Herzen dafür einsetzen will, die
Gemeinschaft zu stärken? Wer etwas teilen soll, der muss auch zeigen
dürfen, dass er es hat. Wir sollten das zulassen.
Neid ist eine unangenehme Emotion und schadet allen Beteiligten. Wer die
eigenen Minderwertigkeitsgefühle bezwingt, spürt Wohlwollen statt Missgunst
und Neugierde an Stelle von Angst. Dann fällt es leicht zu akzeptieren,
dass wir mit Menschen zusammen leben, die deutsch sind und arabisch oder
deutsch und türkisch, und dass daraus niemandem ein Nachteil entsteht.
27 Jul 2018
## AUTOREN
Simone Dede Ayivi
## TAGS
Mesut Özil
Neid
Schwerpunkt Rassismus
Fußball
Integration
Studie
Mesut Özil
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