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# taz.de -- Kolumne Mittelalter: Unter Deutschen
> Mohamed Amjahid schreibt was Lustiges und Antideutschland nimmt übel.
> Zeit, die Schreib-und-denk-Linke zu verabschieden.
Bild: Auch im Alter fit und antideutsch bleiben – gar nicht so einfach
Letzte Woche brandeten auch an meine Facebook-Küste ein paar
Aufregungswellen, ausgelöst von einem Minitsunami in Form eines
[1][Artikels] im ZEITmagazin. Unter dem Titel „Ga Ga Land“ hatte der Autor
und Redakteur [2][Mohamed Amjahid] seine einjährige bizarre „Reise durch
Antideutschland“ geschildert – und für einige [3][Aufregung in der Szene]
gesorgt.
Ich mag den unprätentiösen Stil von Mohamed Amjahid. Befremdlich erscheint
mir nur, dass von den zehn Antideutschen, mit denen er gesprochen hat, die
meisten nicht namentlich im ZEITmagazin zitiert werden wollten: Die Leute,
die ich in dieser Szene kenne, haben ein überaus robustes Verhältnis zu
Publicity.
Aber egal: In „Ga Ga Land“ stehen auch anonym schöne Zitate („Antideutsc…
sind Linke, die sich duschen“), und richtig fand ich die
Stimmungsbeschreibung junger Westdeutscher 1989, denen „im
schwarz-rot-goldenen Fahnenmeer“ das große Kotzen kam.
Mich etwa hatte die Wiedervereinigung so kalt erwischt, dass ich erst mal
ins Warme musste. Von Italien aus sah ich den deutschen Linken bei der
hasserfüllten Selbstzerfleischung zu und auch ein Abstecher zur großen Demo
„Nie wieder Deutschland“ in Frankfurt 1990 konnte mich nicht überzeugen,
kalten Soli-Filterkaffee gegen den morgendlichen Espresso einzutauschen. In
Italien kam beim langsamen Tod der alten Kommunistischen Partei wenigstens,
wie meine Wiener Ahnen gesagt hätten, „a schöne Leich'“ heraus.
## Ein bisschen albern
Zurück in Nebelland habe ich dann für J[4][ungle World] und [5][junge Welt]
geschrieben, und ich verstehe, dass für meinen besten Freund der Tag, wenn
die neue [6][konkret ] ins Haus kommt, bis heute der ersehnte „Heftchentag“
geblieben ist, wie Wiglaf Droste das [7][einst] genannt hat.
Ich habe in der deutschen Schreib-und-denk-Linken wunderbare, großzügige
und sehr kluge Menschen kennengelernt, einige selbstverliebte Idioten auch,
aber weniger als sonstwo.
Und doch: Wenn in Deutschland mal wieder ein Wesen mit [8][komischer]
Frisur an die Macht kommen sollte, dann wird die Schreib-und-denk-Linke
seine erste Sorge nicht sein. Wer wirklich gegen diesen Staat war, der ist
tot. Es ist ein bisschen albern, sich als radikal zu denken, aber noch
keinen Tag im Gefängnis verbracht zu haben.
Am schönsten und größten an der deutschen Schreib-und-denk-Linken fand ich
immer, wie viele Menschen dort nichts werden wollen. Das ist ihr passiver,
manchmal heroischer, sie in die ekligen Arme des Hartz-IV-Systems führender
Widerstand.
Aber damit sehen sie halt jetzt sehr alt aus, wo auf dem Schachbrett der
Identitätspolitik rabiater Karrierewille ganz spielerisch sich mit
radikalem Habitus verbinden lässt. „Denn in der Literatur wie in den
Wäldern der nordamerikanischen Wilden werden die Väter von den Söhnen
totgeschlagen, sobald sie alt und schwach geworden“, hat das der alte
Antideutsche Heinrich Heine auf den Punkt gebracht.
Also – geh mit Adorno, „Ga Ga Land“, adieu! Und welcome, whatever. Wenn w…
uns darauf einigen könnten, die Sache mit dem Duschen beizubehalten, wäre
doch schon viel gewonnen.
23 Mar 2017
## LINKS
[1] http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/12/antideutsche-israel-linke-deutschla…
[2] /Mohamed-Amjahid-ueber-weisse-Privilegien/!5383658
[3] https://www.facebook.com/events/1933094896926609/
[4] http://jungle-world.com/
[5] https://www.jungewelt.de/
[6] http://www.konkret-magazin.de/
[7] /Archiv-Suche/!1158764&s=heftchentag&SuchRahmen=Print/
[8] https://www.britannica.com/biography/Adolf-Hitler/Rise-to-power
## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
Antideutsche
Mittelalter
Mittelalter
Eier
Lügenleser
Schwerpunkt Rassismus
Schwerpunkt Deniz Yücel
Serie Alt-Right-Bewegung
J. R. R. Tolkien
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