# taz.de -- Kolumne Fremd und befremdlich: Der Schwanz der Nation | |
> Autoposer sind Leute mit aufgemotzten Autos und dem Horizont eines | |
> Fünfjährigen. Es würde keine Autoposer geben, wenn die Leute nicht so | |
> neidisch auf sie wären. | |
Bild: Eingefangen: Ein Autoposer-Auto mit zu viel Dezibel im Autoknast der Poli… | |
Was kann man über Autoposer sagen? Was tun diese Menschen? Und wenn ich | |
Menschen sage, dann weiß jeder, dass ich Männer meine. Autoposer sind | |
Männer, die sich von irgendwoher ein sehr großes und schnelles Auto | |
besorgen, sie leihen es, sie leasen es, oder vielleicht kaufen sie es sich | |
auch. Sie verändern gerne irgendwas an dem Auto, damit es auffälliger | |
aussieht und auffälligere Geräusche macht und dann fahren sie mit diesem | |
auffälligen, lauten Auto herum und fühlen sich. Sie äußern sich mit diesem | |
Herumfahren: Guckt mal, was ich habe! Oder: Meins ist viel teurer, lauter, | |
schicker, als deins! | |
Es ist die Geste eines Fünfjährigen, der dieses Auto in der Hand auf dem | |
Teppich herumschiebt. Er dünkt sich besser, weil er etwas Besseres in | |
seinem Besitz hat. | |
Ätsch! Diese Autoposer werden nun in Hamburg von der Soko „Autoposer“ | |
gezielt „gejagt“, wie es heißt. Sie sind ja fast allen Leuten ein Dorn im | |
Auge: Sie sind so frech, so laut, und die Leute ärgert es ja tatsächlich, | |
dass so ein Bursche, „der in seinem Leben sicherlich noch nicht gearbeitet | |
hat“, mit so einem teuren Auto herumkurvt. | |
Mit so einem Auto, das sich der selbst anständig arbeitende Kommentar-Klaus | |
nicht leisten kann. Der selbst anständig arbeitende Kommentar-Klaus kann | |
sich nur einen Jahreswagen von VW leisten. Einen Golf fährt er, einen | |
vernünftigen Wagen. Und dafür hat er gespart. Oder „spart“ im Nachhinein. | |
Und dann sieht dieser Kommentar-Klaus diese Jungen, noch grün hinter den | |
Ohren, mit solchen Wagen herumkurven, ganz frech, ganz laut. Und sie sagen | |
diesem Kommentar-Klaus, dass ihr Auto viel größer ist, viel lauter als | |
seines, obwohl sie es sich nicht verdient haben können, wie er es sich | |
verdient hat, mit seiner anständigen Arbeit. | |
## Kommentar-Klaus will Rache | |
Und das kann der Kommentar-Klaus nicht leiden. Er wünscht sich Rache. Er | |
wünscht sich eine Soko, die diese Burschen bestraft. Die die Regeln nicht | |
einhalten. Die Regeln sind, du sollst anständig arbeiten, damit du dir | |
irgendwann ein mittelgroßes Auto leisten kannst, das dich immerhin nach | |
außen mittelerfolgreich wirken lässt. | |
Am Sonntag fand in Hamburg der Haspa-Marathon statt. Und es ärgerten sich | |
manche Autofahrer, dass sie an diesem Sonntag nicht Autofahren konnten. Man | |
möge den Marathon doch mehr abseits legen, nicht mitten in die Stadt, damit | |
man ungestört in der Stadt Autofahren könne, hieß es in den Kommentaren. | |
Dass sie nun an diesem Sonntag den Läufern die Straßen überlassen mussten, | |
die sonst ihnen gehörten, das ärgerte die Autofahrer ganz ungemein. Das | |
machte sie richtig wütend. Sie finden nämlich, dass es ihr Recht ist, an | |
jedem Tag im Jahr, ungestört Auto zu fahren. Obwohl sie mit diesem Auto | |
auch laut sind. Obwohl sie mit diesem Auto Abgase abgeben. Obwohl sie mit | |
diesem Auto eine Gefahr darstellen. | |
Natürlich sind sie in geringerem Maße laut und weniger gefährlich, als die | |
Autoposer. Und sie fahren ja sinnvoll irgendwohin, sie müssen ja | |
Autofahren. Sie fahren zum Kaffeetrinken, zum Friseur, zum Einkaufen, zur | |
Arbeit. Die Autoposer fahren nur so herum, um sich selbst in diesen Autos | |
sehen zu lassen, zu einem regelwidrigem Zweck. | |
## Autoposer sind Aufschneider | |
Früher hatten diese Leute Kutschen oder Pferde oder Schlösser. Es sind | |
Aufschneider. Aufschneider haben Erfolg, weil wir neidisch sind. Sie haben | |
Erfolg, weil Autos so einen hohen Wert in unserer Welt haben. | |
Wenn ein Auto nicht für einen Kommentar-Klaus so einen Wert hätte, wenn er | |
nicht so neidisch wäre, dann würde es keine Autoposer geben. Es gibt ja | |
auch keine Rollstuhlposer. Es gibt Rollstuhlfahrer – es fällt mir ein , | |
weil ich letztens in Wandsbek einen sah – die ungeheuer elegant und | |
kraftvoll mit ihrem Rollstuhl durch die Stadt sausen. | |
Ich bewundere das. Aber man kann damit nicht angeben. Man kann auch nicht | |
mit seinen trainierten Füßen angeben, obwohl das viel mehr von einem selbst | |
fordert. Angeben kann man nur mit einem Statussymbol. Die Soko „Autoposer“ | |
kann also einigen Fünfjährigen für eine gewisse Zeit das Auto aus dem | |
Verkehr ziehen, aber sie werden sich neue Autos besorgen. Sie werden nicht | |
verschwinden. Solange nicht, wie das Auto der Schwanz der Nation bleibt. | |
2 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Katrin Seddig | |
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