| # taz.de -- Kolumne Besser: Aspirin, Vitamin, Kokain – und Gauck | |
| > Gauck sprach in Rostock mal wieder über sein Lieblingsthema: sich selbst. | |
| > Und Lance Armstrong sollen alle Tourtitel aberkannt werden. Ein Stück | |
| > über Heuchelei. | |
| Bild: Gauck will sich gefragt haben, warum die Staatsmacht damals nicht eingrif… | |
| Der [1][eitle Zonenpfaffe] Joachim Gauck, der es dank der [2][Schnapsidee] | |
| eines früheren Mitglieds des Kommunistischen Bundes – na gut, sagen wir: | |
| dank einer glücklichen [3][Fügung] – zum Bundespräsidenten geschafft hat, | |
| redet vor dem Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, kann es aber nicht | |
| unterlassen, wieder über sein Lieblingsthema zu sprechen: über sich. | |
| Dem veröffentlichten [4][Manuskript] zufolge sagt er bei seiner [5][Rede] | |
| zum 20. Jahrestags des Rostocker Pogroms 22mal das Wort „ich“. Das klingt | |
| dann beispielsweise so: „Wo blieb die Staatsmacht, fragte ich mich. Wo | |
| blieben ausreichende Polizeikräfte, die imstande gewesen wären, die | |
| Gewalttäter festzunehmen, die aggressive Menge zu zerstreuen und | |
| Menschenleben zu schützen?“ | |
| Wer sich an die Zeit erinnert, wird zurückfragen: Wann hat er sich das | |
| gefragt? Und: Wo? Ein öffentlicher Satz des gebürtigen Rostockers, der in | |
| jenen Jahren vom Menschen zur Behörde mutierte und für sich die Rolle des | |
| DDR-Chefinterpreten reklamierte, zum täglichen Ausländerklatschen in der | |
| Zone ist nicht überliefert. | |
| Seine [6][Rede] vom Sonntag wird er nicht selbst geschrieben haben. Und | |
| doch gibt es einige Stellen, bei denen sich der Verdacht aufdrängt, als | |
| hätte Gauck da selbst letzte Hand angelegt. Hier etwa: „Es erzürnt mich | |
| […], dass Anwohner den Mob anfeuerten, die Gewalttäter vor der Polizei | |
| schützten und klammheimliche Freude darüber empfanden, dass es ’den | |
| Ausländern mal so richtig gezeigt wird‘ – dabei handelte es sich um | |
| Menschen, die selber Opfer unguter Umstände waren.“ | |
| Selten war diese, aus dem [7][Brief] des Göttinger [8][„Mescalero“] | |
| stammende und längst zur Phrase geronnene Formulierung so dämlich | |
| platziert. Denn dem Rostocker Pack kann man [9][vieles] vorhalten, aber | |
| gewiss nicht, nur „klammheimlich“ Freude empfunden zu haben. | |
| Aber Gauck hält dieses Leute ja heute noch für Opfer, womit er unfreiwillig | |
| seine Frage beantwortet, warum die Staatsmacht seinerzeit [10][nicht] | |
| eingriff: weil es ein politisches Interesse gab, das Grundrecht auf Asyl | |
| einzuschränken und dafür die noch zögernde sozialdemokratische Partei | |
| weichgekocht werden musste, was bald danach auch gelang. Deshalb war man im | |
| August 1992 nur zu gern bereit, für das mordlüsterne Pack jede Menge | |
| Verständnis aufzubringen und darin „Opfer unguter Umstände“ zu erkennen �… | |
| Opfer der „Überfremdung“, Opfer der DDR, Opfer der Arbeitslosigkeit. | |
| Gaucks Rede war die wohl verlogenste zur Sache seit dem [11][Auftritt] des | |
| ehemaligen [12][Wehrmachtsoffiziers] Richard von Weizsäcker im November | |
| 1992 in Berlin. | |
| ## Und jetzt zu Armstrog | |
| Anderes Thema: Der siebenfache Toursieger Lance Armstrong soll wegen | |
| Dopings seine Titel [13][abgeben]. Fragt sich bloß: [14][An wen?] Und: | |
| Warum? Hochleistungssport ist nämlich weder gesund noch natürlich, sondern | |
| die Dressur des menschlichen Körpers zu Leistungen, zu denen er sonst nicht | |
| imstande wäre. Dafür braucht es Maßnahmen und Medikamente, von denen einer | |
| willkürlichen (und wechselnden) Definition zufolge manche erlaubt sind und | |
| andere nicht. | |
| Im Wunsch nach einem „sauberen Sport“ steckt, so [15][schrieb] Martin Krauß | |
| einmal, „die Vorstellung, der menschliche Körper sei von Natur aus schön, | |
| kräftig und leistungsstark und dürfe nicht durch üble gesellschaftliche | |
| Einflüsse beeinflusst, gar verändert werden“. | |
| Dabei gehört es zum Wesen der bürgerlichen Gesellschaft, Menschen zu | |
| unnatürlichen Dingen zu trimmen. Nirgends wird das offensichtlich wie im | |
| Leistungssport. Und gerade deshalb soll der Sport als unverfälscht | |
| erscheinen, wo der Alltag alles andere als drogenfrei ist: Betablocker und | |
| Prozac, mit denen man sich fit für den Beruf macht, Bier, Viagra und | |
| Kokain, die das Vergnügen vergnüglicher machen, Nikotin, Vitamin und | |
| Aspirin für Zwischendurch. | |
| Das ist nicht immer schlimm. Es gehört zu den Vorzügen der bürgerlichen | |
| Gesellschaft, die Zwänge der ersten Natur eingeschränkt zu haben. Aber | |
| welche Stimulanzien als zulässig gelten und welche nicht, wird von Zufall | |
| bestimmt. Nur zugeben will man das nicht. | |
| Besser: Gauck hält die Klappe. Und Armstrong bleibt Toursieger. | |
| 28 Aug 2012 | |
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| [6] http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2012… | |
| [7] http://www.n-tv.de/politik/Der-anonyme-Mescalero-Brief-article146962.html | |
| [8] /1/archiv/archiv/ | |
| [9] http://az-koeln.org/files/2011/06/tumblr_krh4guB1cC1qzafsno1_400.jpg | |
| [10] /!100212/ | |
| [11] http://www.youtube.com/watch?v=f82TErkDuw4 | |
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| [15] http://jungle-world.com/artikel/2003/36/11338.html | |
| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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