# taz.de -- Kohleausstieg in Berlin: Kohleausstieg mit Hindernissen | |
> Am Montag wurde die lang erwartete „Machbarkeitsstudie Kohleausstieg“ | |
> vorgestellt – selbst das beste Szenario ist KlimaaktivistInnen nicht gut | |
> genug. | |
Bild: Fridays-for-Future-Demo im August im Berliner Invalidenpark | |
Der Moment war ein besonderer und sollte in einem entsprechenden Ambiente | |
stattfinden: Zur Vorstellung der lange erwarteten „Machbarkeitsstudie | |
Kohleausstieg“ hatten die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und | |
Klimaschutz sowie die Vattenfall Wärme Berlin AG (VWB) ins historische | |
Hauptgebäude des Heizkraftwerks Moabit eingeladen. Vor der Kulisse einer | |
riesigen alten Dampfturbine präsentierten Senatorin Regine Günther (Grüne) | |
und VWB-Chefin Tanja Wielgoß die Ergebnisse eines zweijährigen Prozesses. | |
Den endgültigen Kohleausstieg Berlins (genauer: den Kohleausstieg | |
Vattenfalls als einzigem Großproduzenten von Strom und Wärme) hat | |
Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag festgeschrieben – wobei die Landespolitik | |
das Geschäftsgebaren eines Energiekonzerns nicht wirklich diktieren kann. | |
Herausgekommen ist denn auch bei nüchterner Betrachtung nur eine Art | |
Selbstverpflichtung von Vattenfall. Die zudem auf Voraussetzungen beruht, | |
die der Senat nicht selbst erbringen kann, weil sie auf Bundesebene | |
entschieden werden. | |
An drei Standorten im alten Westberlin wird heute noch Steinkohle | |
verfeuert: Rund 1,2 Millionen Tonnen wandern jährlich in die Kessel der | |
Heizkraftwerke Reuter, Reuter West und Moabit, wobei Reuter West in | |
Siemensstadt mit seinem weit sichtbaren Kühlturm den Löwenanteil ausmacht. | |
Mehr als die Hälfte der erzeugten Energie wird als Fernwärme genutzt, und | |
auf diesen Anteil kommt es an: Denn noch immer ist es technisch eine viel | |
größere Herausforderung, nachhaltig Wärme zu erzeugen als Elektrizität. | |
„Endlich reden wir über Wärme, nicht nur über Strom und Mobilität“, fre… | |
sich denn auch Regine Günther. Dabei beläuft sich der Kohle-Anteil an der | |
Vattenfall-Fernwärme lediglich auf 21 Prozent – und sogar nur auf 5 Prozent | |
der gesamten, zentralen wie dezentralen, Wärmeerzeugung in Berlin. | |
Allerdings erzeugt Kohle deutlich mehr klimaschädliches Kohlendioxid als | |
beispielsweise das ebenfalls fossile Erdgas: Derzeit sind es 13 Prozent des | |
gesamten Berliner CO2-Ausstoßes. | |
Michael Ritzau vom Consultingbüro BET, das die Studie angefertigt hat, | |
erläuterte verschiedene Szenarien eines Kohleausstiegs, von denen der | |
konsequenteste auf dem Ziel einer 95-prozentigen CO2-Reduktion zum Niveau | |
des Wendejahrs 1990 beruht. Für den Senat entspricht das der viel | |
beschworenen „Klimaneutralität“, von der KlimaaktivistInnen allerdings | |
deutlich radikalere Vorstellungen haben. | |
Klar ist: Auch bei diesem Szenario würde im Jahr 2030 der heutige | |
Kohle-Anteil zu 58 Prozent durch Erdgas ersetzt werden und nur 42 Prozent | |
durch nicht-fossile Alternativen. Bei Letzteren spielt die deutlich | |
verstärkte Nutzung von Abwärme eine tragende Rolle: Wärmepumpen sollen die | |
nötigen Grade aus dem Rauchgas der Ruhlebener Müllverbrennungsanlage, aber | |
etwa auch aus der benachbarten Kläranlage ziehen. | |
## Mehr Wärmedämmung | |
Hinzu kommt das Prinzip „Power-to-Heat“, bei dem vor allem überschüssiger | |
Windstrom zu Wärme verwandelt wird, und in geringerem Umfang ein geplantes | |
Biomasse-Kraftwerk auf dem Standort Moabit. Ebenso im Portfolio, aber | |
praktisch zu vernachlässigen ist die Erdwärme-Nutzung: „In Berlin haben wir | |
einfach nicht die entsprechenden Voraussetzungen für Geothermie“, so | |
Ritzau. | |
Damit alles funktioniert, müssen sich aber viele Rahmenbedingungen massiv | |
verändern. Die Senatorin brachte es auf den Punkt: „Wir brauchen vor allem | |
weniger Wärme, und das übersetzt sich ganz simpel in Wärmedämmung. Wir | |
müssen also die Sanierungsraten drastisch erhöhen.“ Das 95-Prozent-Szenario | |
der Studie setzt denn auch eine Gebäudesanierungsrate von jährlich 2,2 | |
Prozent voraus, aktuell sind es gerade einmal 0,6 Prozent. | |
Dafür muss aber der Bund an vielen Stellschrauben drehen. Die Forderung | |
nach steuerlichen Anreizen für Modernisierungsmaßnahmen, aber auch nach | |
einer wirksamen CO2-Bepreisung oder dem Wegfall des „Photovoltaik-Deckels“ | |
leiteten Günther und Wielgoß gleich an die Adresse des am Freitag tagenden | |
Klimakabinetts weiter. | |
## „Abschalten!“-Rufe vor der Tür | |
Vor dem Gebäude demonstrierten derweil rund 20 AktivistInnen mehrerer | |
Klimaschutzorganisationen mit Transparenten und lauten „Abschalten!“-Rufen. | |
Die Umstellung auf Gas halten sie für eine Mogelpackung, wie ein Vertreter | |
der Initiative „Gastivists“ sagte: „Erdgas ist genauso klimaschädlich wie | |
Kohle, wenn nur drei Prozent während des Transports durch die Pipelines | |
entweichen.“ Hinzu kämen Menschenrechtsverletzungen durch Umweltschäden in | |
den Herkunftsgebieten, wo die Förderung sogar Erdbeben auslösen könne: „Das | |
sollte ein Grund sein, das Erdgas im Boden zu lassen!“ | |
Auch drinnen gab es kritische Töne: Julia Epp vom Landesvorstand des BUND, | |
der neben anderen zivilgesellschaftlichen Organistationen zum | |
„Begleitkreis“ der Machbarkeitsstudie gehörte, würdigte zwar die allgemei… | |
Zielrichtung, wollte aber nicht zugestehen, dass damit das Berliner | |
CO2-Budget gemäß den Pariser Klimazielen einzuhalten sei. Konkret monierte | |
Epp die Komponente „Abwärme aus Abfallverbrennung“, die sich mit der | |
Zero-Waste-Strategie des Senats beiße: „Auch Plastikmüll ist ein fossiler | |
Energieträger, und Vermeidung ist wichtiger als Verbrennung. Es wäre ein | |
großer Fauxpas, wenn wir Müll produzieren müssen, um ihn verbrennen zu | |
können.“ | |
Wie – und ob – Vattenfall die Empfehlungen der Studie am Ende umsetzt, | |
bleibt sowieso abzuwarten. Auf Fragen nach konkreten Schritten wollte sich | |
Tanja Wielgoß nicht in die Karten schauen lassen: „Transparenz ist das | |
eine, aber den Investitionsprozess müssen wir jetzt erst mal | |
innerbetrieblich starten und dabei im Gespräch mit Stockholm bleiben.“ Denn | |
die ganz großen unternehmerischen Entscheidungen des schwedischen | |
Staatskonzerns werden auch weiterhin nicht in Berlin getroffen, und schon | |
gar nicht im Senat. | |
16 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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