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# taz.de -- Klimakrise in Kanada: Alberta gleicht einem Räucherofen
> Rauch und Smog statt klarer kühler Luft: Der Klimawandel zerstört die
> Idylle des kanadischen Westens. Und tötet dort Menschen.
Bild: Spielen an der frischen Luft? In Alberta grad eher nicht
Sind wir noch zu retten? [1][Die Welt, wie wir sie kennen, geht unter].
Mehr noch als bislang in Deutschland kann man zurzeit in Kanada erleben,
welche dramatischen Folgen die Klimakrise im Alltag haben kann. In dem
riesigen Land, dessen nördliche Territorien weit in die Arktis reichen,
vollzieht sich die Erderwärmung doppelt so schnell wie im Rest der Welt.
Plötzlich gibt es hier Tornados. Es entstehen Dürreperioden, die ganze
Flüsse austrocknen lassen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch
Überschwemmungen, wie 2013 in Calgary, jener Stadt in der westkanadischen
Provinz Alberta, in der ich seit einigen Jahren lebe und arbeite. Die
historische Flut überschwemmte die gesamte Innenstadt und verursachte
finanzielle Schäden in der Höhe von 6 Milliarden Dollar. 80.000 Menschen
mussten evakuiert werden und verloren teils ihr gesamtes Hab und Gut.
Die 1875 auf dem Territorium der [2][indigenen Ureinwohner der Blackfoot],
der Tsuut’ina und der Stoney Nakoda gegründete Pioniersiedlung ist den
meisten Deutschen, die alt genug sind, oft nur von den Olympischen
Winterspielen von 1988 her ein vager Begriff. Heute ist es eine rasant
gewachsene Metropole mit weit über einer Million Einwohnern.
Von zwei kristallklaren Gebirgsflüssen, dem Bow und dem Elbow River,
durchquert, liegt Calgary fast doppelt so hoch wie Innsbruck, an der Grenze
zwischen der weiten kanadischen Prärie im Osten sowie den Foothills und den
Rocky Mountains im Westen – jenem ewigen [3][Sehnsuchtsgebirge deutscher
Karl-May-Leser und Winnetou-Fans], das von der Stadt aus in nur einer
knappen Autostunde bequem erreichbar ist.
Die Sommer sind hier normalerweise gemäßigt warm, die Winter lang und hart.
Temperaturen von minus dreißig Grad sind vom Herbst bis weit ins Frühjahr
hinein keine Seltenheit. Das Klima ist dabei jedoch extrem trocken. Fast
das ganze Jahr über ist der Himmel strahlend blau. Calgary ist die
sonnenreichste Stadt ganz Kanadas.
## Nach dem Eis der Waldbrand
So weit die frühere Regel. Neuerdings ist jedoch auch hier nichts mehr so,
wie es einmal war. Die Kältephasen werden härter und länger, gefolgt von
Hitze-, Starkregen- und Trockenperioden. Die Gletscher in den Rockies tauen
ab. Doch damit nicht genug. In Alberta scherzt man, es gebe jetzt nur noch
zwei alternierende Jahreszeiten – Winter, Rauch und Winter. Tauchen doch
plötzlich Wald- oder Präriebrände in einem Ausmaß auf, an das sich die
Locals aus ihrer Kindheit und Jugend nicht erinnern können.
2016 drohte ein solches gigantisches Feuer mit Flammenwänden von über 100
Meter Höhe die gesamte, von weiten Wäldern umgebene Stadt Fort McMurray
einzuäschern, eine von der Ölsandindustrie lebende, circa 700 Kilometer
nördlich von Calgary gelegene Gemeinde. 88.000 Menschen wurden damals
evakuiert, Tausende verloren ihre Häuser.
Dabei handelte es sich um keinen historischen Einzelfall mehr, sondern
einen Vorboten kommender Normalität. In den Jahren 2017, 2018 und 2019
brannten abermals weite Flächen der Provinz ab. Es wird immer wärmer. Im
August 2018 wurde in Calgary an einem Tag mit 36,4 Grad Celsius ein
absoluter neuer Hitzerekord gemessen.
Hoch im Norden wird es jetzt jährlich sogar noch schneller und früher heiß
als im Süden der Provinz. Von März bis Ende Juli 2019 verbrannten in
Alberta durch bislang 644 Feuer 803.393 Hektar Land, vor allem in der
Umgegend der nördlichen Kleinstadt High Level. Bereits bis Mai dieses
Jahres mussten dort ca. 10.000 Menschen evakuiert werden.
## Alltägliche Sorge um das eigene Haus
Was man in den deutschen Nachrichten vor allem von den Bränden in
Kalifornien her kennt, geschieht, bei uns weitgehend unbemerkt, längst auch
im Norden des Kontinents – in einem Land, das Deutsche vor allem mit
spektakulären Skiurlauben und idyllischen Bergwander-Bildern verbinden. Die
Ruhe, mit der die betroffenen Kanadier ihres Schicksals harren, erstaunt.
Man stelle sich vor, in Deutschland würde einer ganzen Stadt von der
Größenordnung Marburgs mitgeteilt, alle Einwohner hätten ab sofort auf
gepackten Koffern zu sitzen und auf eine jederzeit mögliche Behördenwarnung
hin umgehend ihre Häuser zu räumen, um auf Wochen in Frankfurter Turnhallen
zu kampieren und still abzuwarten, ob ihr eigenes Haus abbrennt oder nicht.
In Alberta ist dies mittlerweile Alltag.
Die Luftverschmutzung der Brandkatastrophen gleicht derjenigen riesiger
CO2-Schleudern, welche die Klima-Aufheizung weiter verschärfen. Je nachdem,
wie der Wind steht, kann die Luftqualität in Calgary binnen Minuten auf den
10+-Rang des Air Quality Health Index fallen, einen Extremwert, der vor
akuten Gesundheitsgefahren und Langzeitfolgen warnt, insbesondere für
Kinder, ältere Menschen oder Kranke. Tausende sind bereits an diesen
Klimaverhältnissen gestorben, Tendenz steigend.
## (Fast) kein Fluchtweg
Konsternierte Touristen sahen sich im August 2018 von Vancouver an der
Pazifikküste in British Columbia über die Rockies bis hin nach Calgary
einer einzigen dichten Smog-Wand gegenüber. Die Berge waren von Calgary aus
nirgends mehr zu sehen.
Auch für mich waren diese Erfahrungen einschneidend. Sie haben mir
klargemacht, wie es sich anfühlt, wenn man angesichts solcher Verhältnisse
keinerlei Kontrolle und keine Fluchtmöglichkeit mehr hat – es sei denn, man
setzt sich in eine Maschine und fliegt weit weg, in ein anderes Land.
Der dichte Smog bedeckte ganz Alberta, eine Provinz, in die Deutschland
zweimal hineinpassen würde. Der Rauch ist einfach überall. Er verpestet die
Büros auf dem Uni-Campus, die Bibliothek, die Shopping-Mall, die eigene
Wohnung. Ohne die Installation besonderer Luftfilter, die es nirgends gibt,
kann man sich keinen Rückzugsort mit atembarer Luft mehr schaffen. Die
Klimaanlage einzuschalten, verschlimmert nur alles. Sie pumpt den Rauch von
außen nach innen.
Blickt man aus dem Fenster, hat die Luft eine bräunlich-gelbliche Färbung.
Sie wirkt wie ein dichter Nebel, der selbst nahe Gebäude verschluckt. Es
riecht nach kaltem Kamin. Die gesamte Stadt gleicht einem monströsen
Räucherofen. Fährt man mit dem Fahrrad zur Arbeit, muss man sich eine
Atemmaske aufsetzen, die aber eher symbolische Funktion hat, als dass sie
Abhilfe schüfe. Von derartigen körperlichen Betätigungen im Freien wird
ohnehin dringend abgeraten. Joggen oder wandern ergibt keinen Sinn, weil
es der Konsumierung mehrerer Pakete Zigaretten gleichkäme.
## Trotzdem: Die Leute wählen für die Ölwirtschaft
Man sitzt in Innenräumen herum, atmet flach – wissend, dass das nichts
bringt, weil die toxischen krebserregenden CO2‑Wirkstoffe aus der Luft
ohnehin in die eigene Blutbahn gelangen. Die Atemwege sind gereizt, die
Augen brennen, man bekommt Kopfschmerzen.
Die menschliche Ignoranz gegenüber solchen Bedrohungen ist trotz allem
schwer zu überwinden. Die Albertaner haben 2019 die Regierung der linken
New Democratic Party (NDP) abgewählt und stattdessen der konservativen
United Conservative Party (UCP) zur Macht verholfen. Deren Premier Jason
Kenney ignoriert die Klimakrise vollkommen.
Mit markigen Versprechungen und aggressiven Slogans möchte er dafür
kämpfen, dass die schwächelnde albertanische Ölwirtschaft auf die Beine
kommt – auch wenn die starke Sonne und die Föhnwinde im kanadischen
Redneck-Staat Nummer 1 geradezu nach alternativen Energiequellen rufen.
Bald könnte sich die politische Lage in ganz Kanada gravierend ändern. Am
21. Oktober 2019 werden die Unterhauswahlen stattfinden, bei denen Andrew
Scheers Conservative Party of Canada, die der Republikanischen Partei in
den USA sehr nahesteht, die [4][von internen Skandalen gebeutelte liberale
Regierung Justin Trudeaus] ablösen könnte. In den Umfragen liegen beide
Parteien derzeit gleichauf.
## Der Aufschwung wird nicht kommen
Es ist wie in den USA. Anstatt zu handeln, stimmte die Mehrheit der
albertanischen Bürger gegen ihre eigenen Interessen, für einen
[5][konservativen Klimapolitik-Backlash à la Donald Trump]. Die Wähler
wollten endlich wieder einen Job und keine CO2-Steuer mehr bezahlen, um
ihre großen Pick-up-Trucks weiter billig durch die Landschaft steuern zu
können.
Am Ende werden sie die versprochene Arbeit kaum bekommen und obendrein auch
noch ihre Gesundheit verloren haben. Nirgendwo macht dieses traurige
Schauspiel so verzweifelt wie hier, inmitten einer der schönsten
Naturlandschaften der Welt.
Wer in Deutschland künftig Urlaub in den Rockies plant, sollte vorher auf
jeden Fall einen Blick auf [6][firesmoke.ca] werfen – und dringend darüber
nachdenken, was all das, was er dort sieht, für seine eigene Zukunft
bedeutet.
10 Aug 2019
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Klimawandel/!t5008262
[2] /Nach-Amoklauf-in-Muenchen/!5327565
[3] /Dreiteiliges-Remake-von-Winnetou/!5366326
[4] /Regierungskrise-in-Kanada/!5576406
[5] /Klimapolitik-von-Donald-Trump/!5433420
[6] http://firesmoke.ca/
## AUTOREN
Jan Süselbeck
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