# taz.de -- Klima-Reparationszahlungen auf der COP: Wer soll das bezahlen? | |
> Wer etwas kaputt macht, muss dafür aufkommen – das wollen arme Staaten | |
> auch für die Klimakrise gelten lassen. | |
Bild: Wer haftet für den Schaden, den dieses Mädchen und ihr Opa durch den Mo… | |
Das Wasser riss alles mit, was ihm im Weg stand. Mehr als 2 Millionen | |
Häuser demolierte der ungewöhnlich starke Monsunregen in Pakistan in diesem | |
Sommer, mehr als 1.500 Menschen verloren ihr Leben. Ein Drittel des Landes | |
stand unter Wasser. Krankenhäuser, Schulen, Straßen – alles kaputt. Fast | |
eine Million Nutztiere starben, die Ernten wurden vernichtet. Der Monsun | |
ist wieder vorbei, das Elend bleibt. | |
Das ist die Botschaft, mit der Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif auf | |
die Weltklimakonferenz [1][COP 27 in Scharm al-Scheich] angereist ist. „In | |
meinem Land gehen Millionen von Menschen in den Winter ohne Unterkunft, | |
ohne Einkommen“, sagte er am Montag auf dem Gipfel. Manche Länder, darunter | |
Pakistan, seien dem Klimawandel stärker ausgesetzt als andere. Dabei hat | |
das Land nur einen winzigen Bruchteil dazu beigetragen. | |
Sharif fordert Schadenersatz. Er verweist auf Kosten von 30 Milliarden | |
US-Dollar. Wenn es nach ihm geht, sollten diejenigen für den gigantischen | |
Schaden zahlen, die ihn durch hohe Treibhausgasemissionen hauptsächlich | |
verursacht haben. Länder wie Deutschland. | |
## Der ultimative Verlust | |
Wer in welcher Form für solche Schäden und Verluste aufkommt, steht in | |
Scharm al-Scheich erstmals auf der offiziellen Tagesordnung eines | |
Klimagipfels. [2][Es ist ein später Verhandlungserfolg der Länder des | |
Globalen Südens.] Manche von ihnen fordern schon seit Jahrzehnten | |
Klima-Reparationszahlungen. Zu ihnen gehören die pazifischen Inselstaaten, | |
die Gefahr laufen, vom Meer geschluckt zu werden – der ultimative Verlust. | |
Jetzt steht das Thema also auf der Agenda. Und es plätschern sogar schon | |
kleine Finanzversprechen ein: Schottland war auf dem Weltklimagipfel im | |
vergangenen Jahr Vorreiter und stellte 2 Millionen Pfund zur Verfügung, | |
jetzt in Scharm al-Scheich hat Regierungschefin Nicola Sturgeon auf 7 | |
Millionen erhöht. Dänemark hat kürzlich 13,4 Millionen Euro in Aussicht | |
gestellt. | |
Österreich will über die kommenden vier Jahre 50 Millionen Euro | |
bereitstellen. [3][Und Bundeskanzler Olaf Scholz brachte das Versprechen | |
von 170 Millionen Euro mit] – das sind knapp 0,5 Prozent des Volumens des | |
Ahrtal-Hilfsfonds. Aufsummiert würden das Geld nicht einmal reichen, um | |
auch nur für die pakistanische Flutkatastrophe aufzukommen. Es sind | |
symbolische Anfänge. | |
Schließlich wird in Scharm al-Scheich ja auch erst einmal diskutiert, ob es | |
solche Zahlungen überhaupt systematisch geben soll und in welcher Form sie | |
fließen dürfen. Der Globale Süden wünscht sich eine internationale | |
Finanzeinrichtung, die einen Schadenersatzfonds verwaltet. Die | |
Industrieländer wollen am liebsten nur Klima-Risikoversicherungen | |
subventionieren, die bei Extremwetter greifen – auch wenn nicht alle | |
Klimawandelfolgen überhaupt versicherbar sind. Einen Schaden, der mit | |
nahezu hundertprozentiger Sicherheit eintritt, packt keine Versicherung an. | |
Trotzdem haben die Industriestaaten als Anmerkung zur Tagesordnung extra | |
festgehalten, dass die Diskussion „keinen Schadenersatz oder Kompensationen | |
beinhaltet“. | |
Die Philosophin Angela Kallhoff, Professorin für Ethik an der Uni Wien, | |
hält es für evident, dass Schadenersatz fließen muss. „Die vom | |
Klimageschehen an Leib und Leben Geschädigten sind Klimaopfer und haben | |
gegenüber den Klimatätern einen nicht zu leugnenden Haftungsanspruch“, | |
erklärt sie. Die Klimaschuld eines Landes zu bemessen, sei aber nicht | |
einfach: „Die Debatte um Klimagerechtigkeit und -ethik ist kompliziert.“ | |
Keine Philosophin könne die Forderungen auf einen einfachen Schlüssel | |
zurückführen. | |
Nur im Grundsatz ist die Lage einfach: Großbritannien, Deutschland und Co. | |
haben durch ihre Industrialisierung die Klimakrise vorangetrieben, ihren | |
Reichtum aufgebaut und das Modell durch die Kolonialisierung in die ganze | |
Welt getragen. Selbst wenn man diese historische Sicht ausblendet: Noch | |
2020 waren die G7-Staaten für rund 20 Prozent der globalen Emissionen | |
verantwortlich, obwohl dort nur ein Zehntel der Weltbevölkerung lebt. | |
Die Details sind aber verworren. Geht es beispielsweise um die Folgen von | |
Extremwetterereignissen, ist das Problem: Sie sind selten ausschließlich | |
auf die Erderhitzung zurückzuführen. Es gab zwar schon Hitzewellen, etwa | |
die im Westen Nordamerikas vor einem Jahr, die Klimaforscher:innen | |
ohne Klimakrise praktisch für unmöglich hielten. In vielen Fällen aber geht | |
es darum, dass die Klimakrise einen gewissen Anteil hat. | |
Das zeigt das Beispiel Pakistan. Ein Team um die Klimaforscherin Friederike | |
Otto vom Imperial College in London hat das Unwetter untersucht. Das | |
Ergebnis: Für die besonders betroffenen Provinzen Sindh und Belutschistan | |
zeigten Modellrechnungen, dass die Regenmenge über einen Fünf-Tage-Zeitraum | |
bis zu 50 Prozent höher war, als es ohne Klimawandel der Fall gewesen wäre. | |
„Wir können mit großer Sicherheit sagen: Die Chance, dass so etwas | |
passiert, wäre ohne Klimawandel geringer gewesen“, sagte Otto bei der | |
Präsentation der Ergebnisse im September. Aber hätte es ohne Klimawandel | |
überhaupt keine Schäden gegeben? Und sollte es eine Rolle spielen, dass der | |
Regen nur so viel Schaden anrichten konnte, weil Pakistan ein schlechtes | |
Wassermanagement hat? Und kann man dabei wiederum außer Acht lassen, dass | |
dieses auf die britische Kolonialherrschaft zurückgeht? | |
Fragen über Fragen. „Gleichwohl gilt: Wenn ein Schaden für Personen durch | |
das eigene Handeln willentlich und wissentlich in Kauf genommen wird, hat | |
die betroffene Person das Recht, eine Kompensation zu fordern“, meint | |
Ethikerin Kallhoff. Und dass hohe Treibhausgasemissionen in die Klimakrise | |
führen, ist seit Jahrzehnten hinlänglich bekannt. Mit Millionenbeträgen | |
dürfte es dabei nicht getan sein. Im Jahr 2050 werde die Summe, die der | |
Globale Süden für seine Klimaschäden benötigt, jährlich zwischen 1,1 und | |
1,8 Billionen US-Dollar liegen, errechneten Wissenschaftler:innen der | |
London School of Economics schon vor vier Jahren. | |
Abgesehen davon, welche Schäden man der Klimakrise zurechnet, steht auch | |
zur Debatte: Wer muss dafür aufkommen? „In diesem Zusammenhang werden | |
insbesondere drei Prinzipien diskutiert“, meint der Philosoph Christian | |
Baatz, Juniorprofessor für Klimaethik an der Uni Kiel. Man könne danach | |
gehen, wer am meisten zu einem Problem beigetragen hat, wer am meisten | |
profitiert hat oder wer am meisten zahlen kann. | |
„Wie viele andere KlimaethikerInnen bin ich der Auffassung, dass eine | |
Kombination dieser Prinzipien am überzeugendsten ist“, sagt Baatz. „Sehr | |
vereinfacht gesagt sollen Staaten gemäß ihren Emissionen seit circa 1990 | |
und gemäß ihrem aktuellen Wohlstand für Verluste und Schäden aufkommen.“ | |
Für ein Land wie Deutschland ist es fast egal, welches der drei Prinzipien | |
man ansetzt. Die Bundesrepublik gehört in jedem Fall zu den hauptsächlich | |
Verantwortlichen. | |
12 Nov 2022 | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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