# taz.de -- Kinder von Rechtsextremen: Das rechte Wohl des Kindes | |
> Nach der Scheidung von Neonazi Markus Privenau und ihrem Ausstieg | |
> versucht Tanja Privenau die gemeinsamen Kinder von Vater und Neonazis | |
> fernzuhalten. | |
Bild: Gefährliches Umfeld: Auch Rechtsextreme haben Kinder. | |
BERLIN taz | Darf ein geschiedener Neonazi Kontakt zu seinen Kindern haben? | |
Ja, sagt das Oberlandesgericht (OLG) Dresden. Nein, das könnte riskant | |
sein, sagt Exit. Die Initiative betreut seit dem Jahr 2000 Aussteiger aus | |
der rechtsextremen Szene. Der Streit um die Frage, ob und wie Kinder von | |
Neonazi-Eltern gefährdet sind, entzündet sich gerade an einem Fall, der von | |
allen Seiten als „äußerst schwierig“ beschrieben wird. Es geht um die | |
„Causa Privenau“. | |
Tanja und Markus Privenau waren mal ein Paar. Seit 2008 sind sie | |
geschieden, seit sieben Jahren hat der Vater seine drei Söhne nicht | |
gesehen. Warum? Die Mutter verhindert das, sagt der Vater. Der Vater tut | |
den Kindern nicht gut, sagt die Mutter. Jetzt hat sich Markus Privenau das | |
Umgangsrecht für seine Kinder erstritten, im Juni haben die Dresdner | |
Richter gesagt: Der Vater darf seine Kinder sehen. | |
Es kommt häufig vor, dass sich Eltern vor Gericht um ihre Kinder streiten, | |
wenn sie sich getrennt haben und einander nicht mehr trauen. Im Fall | |
Privenau mischt sich in diese private Ebene aber eine politische, die das | |
Familiendrama zusätzlich auflädt: Vater und Mutter haben sich in der | |
rechtsextremen Szene kennen gelernt. | |
Tanja Privenau war 13, als sie einstieg. Sie leugnete den Holocaust, trat | |
der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) bei, die 1995 verboten | |
wurde, warb aktiv neue Mitglieder. Sie verliebte sich in Markus Privenau, | |
einen kräftigen, durchsetzungsfähigen Mann, ein richtiger Kerl eben. Der | |
ist in der Szene als „Jägermörder“ bekannt. | |
## Selbsternannter Gauleiter | |
Mitte der Achtzigerjahre hatte er bei Schießübungen im Wald einen Jäger | |
angeschossen, der später an seinen Verletzungen starb. Sein Verteidiger | |
damals: der mittlerweile verstorbene Nazi-Anwalt Jürgen Rieger. In Bremen | |
galt Privenau, 46, als selbsternannter FAP-Gauleiter, noch heute hat er | |
enge Kontakte zur rechtsextremen NPD. | |
Tanja Privenau, 43, aber ist 2005 ausgestiegen. Seitdem ist sie oft | |
umgezogen und hat mit Hilfe der Behörden mehrfach ihre Identität und die | |
der Kinder verändert. Weil ihr Exmann sie bedrohe, sagt sie. Sie wolle mit | |
ihm nichts mehr zu tun haben. Seitdem tobt ein Krieg zwischen den | |
Ex-Eheleuten, die früher als Familie, wie Tanja Privenau sagt, beim | |
völkisch-rassistischen Verein „Artgemeinschaft Germanische | |
Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung“ waren und ihre Kinder | |
zur „Heimattreuen Deutschen Jugend“ schickten. Das Politische sei privat | |
weitergeführt worden. „Unser Fall ist nicht bloß ein Familienrechtsstreit�… | |
sagt Tanja Privenau zur taz. | |
Die Parteien widersprechen sich. „Er wird die Kinder in die Szene | |
zurückführen“, fürchtet Tanja Privenau. Seine Exfrau habe die Kinder einer | |
Gehirnwäsche unterzogen, meint Markus Privenau. Nach dem Gespräch mit der | |
taz will er nicht, dass etwas davon in der Zeitung steht. Das Gericht sagt: | |
Es gibt keine Bedrohung durch den Vater. Bernd Wagner von Exit sagt: „Frau | |
Privenau fühlt sich verfolgt. Das Urteil hat die Sicherheitslage nicht | |
berücksichtigt.“ | |
Während es für erwachsene Aussteiger Anlauf- und Beratungsstellen gibt, | |
existieren fast keine Beratungsangebote für Ausstiege mit Kindern. Wie weit | |
hat der Staat hier eine Fürsorgepflicht? Wann darf er sich einmischen? | |
„Eltern haben grundsätzlich das Recht, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie | |
das wollen“, sagt Eva Prausner von der Berliner Initiative „Eltern gegen | |
rechts“, die mit Müttern und Vätern rechtsradikaler Kinder arbeitet. | |
## Körperliche und seelische Beeinträchtigungen | |
„Eine Kindeswohlgefährdung ist nicht allein durch das Aufwachsen im | |
rechtsextremen Milieu gegeben“, sagt die Rechtswissenschaftlerin Kati Lang | |
von der Technischen Universität Dresdnen. Nur wenn die körperliche und | |
seelische Entwicklung beeinträchtigt sei, könne und müsse der Staat | |
handeln. Wann ist das so? Wenn die Kinder geschlagen und vernachlässigt | |
werden? Oder reicht es schon, wenn sie sich ihre Freunde nicht selbst | |
aussuchen und nur mit Kindern aus der Szene spielen dürfen? „In meinen | |
Augen können sich Kinder dann nicht mehr ausreichend entwickeln“, sagt Eva | |
Prausner: „Aber das ist schwer nachzuweisen.“ | |
Diese Erfahrung macht Cornelia Neumann vom Regionalzentrum für | |
Demokratische Kultur in West-Mecklenburg häufig. „Eine rechtsextreme | |
Einstellung wird bei Gericht oder bei den Jugendämtern nicht als | |
kindesgefährdend eingeschätzt“, sagt sie. | |
Für Kitas, Schulen und Vereine ist das eine große Herausforderung. Im Raum | |
Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) sollen 60 Kinder rechter Familien leben. | |
Bislang gibt es keinen Präzedenzfall, der zeigt, ob und wie die freie | |
Entwicklung Minderjähriger durch eine rechtsextremistische Erziehung | |
eingeschränkt ist. | |
## Einblicke ins Familiensystem | |
Der „Fall Privenau“ ist offensichtlich selbst für Fachleute schwer zu | |
durchdringen. „In vielen Fällen ist bei näherer Betrachtung nichts, wie es | |
scheint“, sagt die Psychologin Ursula Kodjoe. Die anerkannte | |
Sachverständige in konfliktreichen Familienfällen wurde vom Gericht in | |
Dresden als Gutachterin für den „Fall Privenau“ bestellt. Daher habe sie | |
Einblicke in das gesamte Familiensystem. Ihrem Ermessen nach sei Markus | |
Privenau derzeit politisch nicht aktiv. | |
taz-Recherchen zufolge aber war Markus Privenau im vergangenen Jahr für die | |
NPD unter anderem im Wahlkampf für die Bremer Bürgerschaft auf der Straße. | |
Im April 2011 besuchte er eine interne NPD-Veranstaltung in einer Bremer | |
Gartenkolonie, auf der Ex-NPD-Chef Udo Voigt gesprochen haben soll. In | |
einer Neujahrs-E-Mail wünschte Markus Privenau allen Angeschriebenen ein | |
„siegreiches Kampfjahr 2011“. | |
Anfang Oktober soll der Vater seine Söhne das erste Mal nach sieben Jahren | |
wiedersehen – für zwei Stunden und im Beisein eines Sozialarbeiters. Die | |
Jungen sind jetzt elf, zehn und acht Jahre alt. Wenn das ein Jahr lang gut | |
läuft, soll der Umgang erweitert werden. Dagegen will die Muttter vorgehen. | |
„Ich werde alle rechtlichen Mittel nutzen“, sagt Tanja Privenau. | |
2 Sep 2012 | |
## AUTOREN | |
S. Schmollack | |
A. Speit | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Neonazis | |
Rechtstextreme | |
Kindeswohl | |
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