# taz.de -- Kältehilfe Caritas in Berlin: Die Charity Lady vom Bundesplatz | |
> Die Wärmestube der Caritas am Bundesplatz ist bei Menschen, die von Armut | |
> betroffen sind, sehr beliebt. Das liegt auch an Angelika Kaljic. | |
Bild: Angelika Kaljic kann, wenn es sein muss, auch klare Ansagen machen | |
BERLIN taz | Bei frostigen Temperaturen kommt es vor, dass Gäste schon vor | |
der offiziellen Öffnungszeit vor der Tür stehen. Dann mache sie eben früher | |
auf, sagt Angelika Kaljic. „Ich lasse niemanden draußen warten.“ Seit 30 | |
Jahren existiert die Wärmestube der Caritas am Bundesplatz, seit 2020 ist | |
Kaljic die Leiterin. [1][Dass die Einrichtung bei bedürftigen Menschen so | |
beliebt ist], hat viel mit der fröhlichen Frau mit den grauen Locken zu | |
tun. Kaljic macht manches anders, als es in Einrichtungen dieser Art üblich | |
ist. Sie begrüßt jeden Gast persönlich, merkt sich Vornamen und | |
Lebensgeschichten. Wer Essen oder ein Getränk möchte, muss nicht anstehen, | |
an den Tischen wird serviert. „Es geht um Respekt“, sagt Kaljic. | |
Die Caritas-Wärmestube ist Teil der Berliner Kältehilfe – ein Angebot, das | |
bedürftigen Menschen bis zum 31. März helfen soll, durch den Winter zu | |
kommen. Im Unterschied zu Notübernachtungen, Nachtcafés und Suppenküchen im | |
Rahmen der [2][Kältehilfe handelt es sich bei der Caritas-Wärmestube um ein | |
reines Tagesangebot.] Die Einrichtung am Bundesplatz ist immer montags bis | |
freitags von 15 bis 18 Uhr geöffnet. | |
Der von Schaufensterscheiben eingerahmte Laden ist schon von weitem zu | |
erkennen. Ein roter Teppich mit schwarzen Punkten bedeckt den Boden, Tische | |
und Stühle bilden Sechser- und Achtergruppen. Das Mobiliar mit dem | |
ausgeblichenen Blumenmuster stammt aus einem Altenheim der Caritas. Hinter | |
einer Vitrine befindet sich die Küche. Ehrenamtliche bereiten dort gerade | |
die Ausgabe des Essens vor. Shepherd’s Pie steht an diesem Nachmittag auf | |
dem Speiseplan. Das Essen wird von einem Caterer vor Ort frisch zubereitet, | |
jeden Tag gibt es eine andere Mahlzeit. | |
Eine Portion gibt es pro Nase. Später, wenn noch genug übrig bleibt, ist | |
ein Nachschlag möglich. Essen, Kaffee, Tee und Wasser sind umsonst. Mit | |
einer Kaffeekanne geht Kaljic zu den Tischgruppen, schüttelt hier eine | |
Hand, wechselt dort ein paar Sätze. 80 Plätze sind vorhanden und fast alle | |
sind besetzt. | |
## Weit über die Hälfte sind Stammgäste | |
Es ist angenehm warm. Stimmengemurmel erfüllt die Luft. Die meisten im Raum | |
sind Männer, in der Mehrzahl älter als 65. Nur die Gruppe der Polen, die an | |
einem der hinteren Tische Karten spielt, und die Bulgaren sind deutlich | |
jünger. Anders als die meisten Gäste haben die Polen und Bulgaren keine | |
Wohnungen, schlafen in der Notübernachtung, wie Kaljic erklärt. Meist sei | |
es so, dass einer der Truppe „erst mal zum Gucken“ in die Wärmestube komme. | |
„Wenn es ihm gefällt, bringt er die anderen mit.“ | |
Die Tür geht auf, mit neuen Gästen kommt ein Schwall kalte frische Luft | |
herein. Was, wenn es keinen Platz mehr gibt, werden dann Leute abgewiesen? | |
„Irgendeiner geht immer, das kriege ich schon hin“, sagt Kaljic. | |
[3][Weit über die Hälfte sind Stammgäste.] Auch Sigrid, Brigitte, Klaus und | |
Jürgen gehören dazu. Klaus, 74, lebt in Lankwitz im betreuten Einzelwohnen. | |
Brigitte, 73, hat kaum noch Zähne im Mund. Nuschelnd erzählt sie, dass sie | |
früher im Palast der Republik gearbeitet hat – „Einlass, Aufsicht und | |
Kontrolle“. Seit 20 Jahren sei sie obdachlos. Zurzeit habe sie ein festes | |
Bett in einer Notübernachtung, im Sommer schlafe sie auf einer Parkbank. | |
Die meiste Zeit, die sie in der Wärmestube verbringt, ist Brigitte über ein | |
Heft gebeugt und schreibt. Worüber sie schreibe? „Dass ich jeden Tag | |
gefoltert werde“ – Brigitte ist sich sicher, sie wird verfolgt. Die | |
Folterteile, so ihre Theorie, müssten vernichtet werden, sie säßen überall, | |
alle Nationen seien beteiligt, erklärt Brigitte. | |
Jürgen, 79, Schiebermütze auf dem Kopf, kommt jeden Tag mit der S-Bahn aus | |
Wartenberg zum Bundesplatz. Er habe eine Wohnung, sagt er. „Aber mit der | |
Wand kann ich mich nicht unterhalten.“ Sigrid, eine 84-Jährige mit | |
Wollmütze, sitzt still am Ende des Tisches und blättert in der Morgenpost. | |
Sie wohne in Lichtenrade, leide an Parkinson, könne nicht mehr selbst | |
kochen. Mittag esse sie immer in Kirchengemeinden, zum Kaffee komme sie | |
dann in die Bundesallee. Viele Bedürftige nutzen so wie sie die | |
Infrastruktur der Kältehilfe, das ist Kaljic bewusst. | |
## Die meisten seien liebe, nette Leute, aber „irre“ | |
Sie sei eine Einzelkämpferin, sagt Sigrid. Die meisten Besucher der | |
Wärmestube seien liebe, nette Leute, aber „irre“. Außer „guten Tag“ u… | |
„auf Wiedersehen“ könne sie mit denen nichts anfangen. Abgesehen von Leuten | |
wie „Buddha“, räumt Sigrid ein. Mit dem könne man sich noch unterhalten. | |
Buddha, der seinen Spitznamen wohl seiner Körperfülle verdankt, sitzt an | |
einem reinen Männertisch am Eingang. Der 70-Jährige, früher | |
Maschinenschlosser, gehört zu den Stammgästen. „Was soll ich alleine zu | |
Hause rumsitzen? Hier kann man sich unterhalten und bekommt einen | |
kostenlosen Kaffee dazu“, sagt er. Jeder im Raum habe seine Geschichte, | |
„ziemlich viele sind angeschlagen“. Warum so wenig Frauen in die Wärmstube | |
kommen? „Vielleicht trauen sie sich nicht?“ | |
Angelika Kaljic hat eine andere Erklärung. Frauen seien zumeist sortierter, | |
kämen besser alleine klar als Männer. Sie wolle nicht wissen, wie es bei | |
den Männern zum Teil zu Hause aussehe, sagt Kaljic. Sie wisse um Männer, | |
die Messis waren und deshalb ihre Wohnungen verloren hätten. | |
Am Tisch von Buddha entwickelt sich eine politische Diskussion. Ein Mann | |
mit Mütze und Daunenjacke, auf der ein Logo der Obdachlosenzeitung | |
Straßenfeger prangt, wettert auf den Staat. „Den Ukrainern wird alles in | |
den Arsch geschoben. Und die Deutschen bleiben auf der Strecke.“ Die | |
Regierung sitze alles aus. „Das ist die schlechteste Regierung, die wir je | |
hatten“, auch Buddha sieht das so. | |
## Früher hat Kaljic bei der Caritas als Suchtberaterin gearbeitet | |
Immer wieder treten Ehrenamtliche an die Tische heran, fragen, ob sie | |
Kaffee nachschenken können. Das Team besteht aus 24 Leuten, vier bis fünf | |
Leute bestreiten zusammen mit Kaljic die einzelnen Schichten. Das | |
Schiller-Gymnasium schickt regelmäßig Schülerinnen und Schüler als Helfer, | |
ein Student ist dabei, ein Arbeitsloser, eine Zeichnerin. Seit einem Jahr | |
mache sie das, sagt die Zeichnerin, die Anfang 60 ist. Jeder müsse sich | |
einbringen in die Gesellschaft, denn immer mehr Menschen bräuchten Hilfe. | |
Mit einem Feuerzeug geht Kalijc von Tisch zu Tisch und zündet die | |
Teelichter an. Draußen ist es inzwischen dunkel, die Kerzen spiegeln sich | |
in den Fensterscheiben. So herzlich wie sich die Frau in dem eleganten | |
Wollkleid ihren Gästen zuwendet, wirkt sie wie die gute Fee in einem | |
Märchen. | |
Wenn man die Gäste zu Kaljic befragt, kommt als Antwort durchweg Lob und | |
Anerkennung. Sie könne sehr klare Ansagen machen, habe stets gute Laune und | |
immer ein offenes Ohr. Sich jeden Tag volllabern lassen, „ich könnte das | |
nicht“, sagt Buddha. Warum Kaljic diesen Job wohl mache? „Oh“, sagt ein | |
Mann mit Mütze und Hund, der sich unter dem Tisch verkrochen hat. „Das | |
haben wir sie überhaupt nicht gefragt“. | |
Früher hat Kaljic bei der Caritas als Suchtberaterin gearbeitet. In | |
Coronazeiten hat sie den Foodtruck für Obdachlose organisiert. Das mit der | |
Wärmestube habe sich danach ergeben. Sie habe immer Charity Lady sein | |
wollen, sagt Kaljic und lacht. Das Bild der Charity Lady passt zu ihr. „Es | |
gibt mir sehr viel, Menschen zu helfen, wenn sie es wollen“, sagt sie. | |
„Einem obdachlosen Syrer haben wir schon einen Job und eine Wohnung | |
ermöglicht.“ | |
## Kaljic habe schon immer Charity Lady sein wollen | |
Bevor die Gäste aufbrechen, reicht Kaljic noch einen Karton mit Handschuhen | |
und Mützen herum. Wer etwas braucht, kann sich bedienen. Auch die Hemden, | |
die anfangs auf einem Tisch lagen, sind am Ende des Tages vergriffen. | |
Auf dem Weg zum Ausgang spricht ein 70-jähriger Mann mit bunter Wollmütze | |
die Reporterin an. Er sei früher Lkw-Fahrer gewesen, sagt er. Er komme | |
finanziell klar, rauche und trinke nicht. „Aber jeden Tag einen Kaffee | |
trinken zu gehen, das könnte ich mir nicht leisten.“ Er sei sehr gerne in | |
der Wärmestube, auch weil er Gesellschaft suche. Was er aber vermehrt | |
beobachte, auch in anderen Einrichtungen für Bedürftige, sei eine | |
zunehmende Hetze gegen Ausländer. Überall greife der „braun-blaue Sumpf“ … | |
sich. „Das stinkt mir“, der Mann ist sichtlich betroffen. | |
Es gebe Leute, die stänkern mal ein bisschen, sagt Angelika Kaljic. | |
Wirkliche Probleme gebe es in der Bundesallee nur selten. „Und wenn es | |
nicht klappt, mache ich eine klare Ansage.“ Wer andere aufhetze, beleidige | |
oder Prügel androhe, fliege raus. Hausverbot habe sie in den vier Jahren | |
aber nur drei Mal erteilen müssen. „Wenn man einen Stamm von Gästen hat, | |
passen die auf sich und die Störenfriede auf“, sagt Angelika Kaljic. | |
Die Wärmestube am Bundesplatz freut sich immer über eine Spende unter | |
diesem [4][Link] . | |
22 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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